Klassik Schweiz - Suisse classique - Swiss classic
Das Swiss-Classic-Journal
Ein virtuoser Pianist und ein vortreffliches Verbier Festival-Kammerorchester
Junge und sehr junge Interpreten
Freudvolles Spiel Serge Babayan und Daniil Trifonov im Duo
Gefeierter Künstler Rezital Arcadi Volodos
Die sechs Brandenburgischen Konzerte mit Reinhard Goebel
Eine Beethovenabend mit Evgeni Kissin
Präsenz und Klangsinn Klavierrezital Christian Budu
Brahms's ernste Gesänge und Bruckners Geist
Klavierkunst in mehreren Ausprägungen
Klavierkunst in mehreren Ausprägungen
Heute war mein letzter Tag. Da gab es drei Pianisten zu hören, vormittags und nachmittags in der Kirche den aus Sibirien stammenden Sergei Redkin und den Schweizer Louis Schwizgebel, abends in der salle des Combins den russischen Altmeister Grigory Sokolov. Es war in jedem Fall grosse Klavierkunst wiewohl in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Sergei Redkin hat einen kräftigen Anschlag, erzeugt aber einen guten Klang und kann auch sehr differenziert und - wie es scheint - mit viel Überlegung arbeiten. Er gefiel in einem rein russischen Programm mit der Dunka op. 59 von Tschaikowsky, der 6. Klaviersonate op. 82 von Serge Prokofiev und den neun Etudes-Tableaux op. 39 von Serge Rachmaninoff. Die erste der drei Kriegssonaten von Prokofiev klang sehr authentisch, kraftvoll und mit grosser Energie aber wohl dosiert. Bei Rachmaninoff fühlte er sich auch in seinem Element, es waren sowohl technisch wie klanglich und musikalisch überzeugende Darbietungen.
Louis Schwizgebel ist von ganz anderem Holz, er nahm das Publikum mit sehr fein empfundenen filigranen "Estampes" und zwei weiteren Stücken von Claude Debussy ein, wahre Delikatessen. In der Folge bot er die "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgsky sehr stringent, klar und farbig, ohne Kraftübung aber im "Grossen Tor von Kiev" doch mit Macht ohne Brutalität. Ein paar harte Akzente da und dort, dafür sehr lockere und klare rasche Bilder (Markt von Limoges, Kücken, Tuileries), insgesamt eine gut abgestimmte und klanglich reichhaltige Darbietung.
Abends der Grossmeister Grigory Sokolov in der ersten Hälfte mit Beethoven o^, in der zweiten Hälfte mit Brahms. Von Beethoven ein Frühwerk, die Sonate C-Dur op.2/3 und die späten Bagatellen op. 119. Von Brahms die späten Klavierstücke des Opus 118 und des Opus 119. Es war eine meisterliche Demonstration von Klavierkunst in allen Dimensionen, wobei das rein Äusserliche und Blendende aussen vor blieb. Eine konzise Klaviersonate, die Bagatellen liebevoll in den Details gepflegt. Die Brahms-Stücke (Intermezzi, Ballade, Romanze) waren ein wahrer Genuss in den klanglichen Schattierungen und mannigfachen Nüancen ohne geschmäcklerisch zu werden. Neben zarten Stücken gibt es auch die energischen und zugriffigen. Sokolov wusste den ganzen Reichtum dieser späten Stücke auszubreiten. Wie üblich folgten eine ganze Reihe von Zugaben für das fast zu fordern applaudierende Publikum, Schubert, Chopin, ein Rondeau von Rameau und wieder Brahms...Ein sehr bereichernder Abend.
Brahms's ernste Gesänge und Bruckners Geist
Es war ein Abend zweier gegensätzlicher Meister der Spätromantik, Brahms und Bruckner. Von beiden gelangten die spätesten Werke zur Aufführung. Von Brahms die „Vier ernsten Gesänge“, von Anton Bruckner die neunte und letzte – unvollendete – Sinfonie. Beides eine Herausforderung für ein Orchester aus jungen Musikern, würde man meinen. Herausfdorderung ja, aber sie wurde mit dem finnischen Dirigenten Hannu Lintu vorzüglich gemeistert.
Mathias Goerne sang die „Vier ernsten Gesänge“ op. 121 mit intensivem und vollkommenem Ausdruck. Sie erklangen in einer hervorragenden Orchesterversion, wobei nicht angegeben wurde, wer die Bearbeitung verfasst hat, es gibt eine Orchestrierung von Günther Raphael. Jedenfalls klang das Orchester ausgesprochen brahmsisch, die Streicher und die Hörner und die Posaunen fügten die „ernsten“ und warmen Klänge auserlesen schön und passend bei. Es war eine ergreifende Aufführung.
Gespannt durfte man auf das Vermächtnis Bruckners, seine neunte Sinfonie in d-moll, die mit einem sehr ausgiebigen, in gewaltigen Dimensionen sich bewegenden langsamen Satz endet. Das Werk beginnt ähnlich wie Beethovens Neunte in unbestimmten Urwelten mit wispernden Streichern, Mollterzen, dann Quinten in den Bläsern und schliesslich einem gewaltigen Aufstieg und Ausbruch im vollen Orchester. Die formalen Weiten des ersten Satzes sind schon riesig, der Satz endet wie oft bei Bruckner in einem triumphalen Fortissimo des ganzen Orchesters. Es war aber spannend zu verfolgen, wie der finnische Dirigent Hannu Lintu (der Franz Welser-Möst ersetzte) mit wenig gestischem Aufwand die Proportionen sowohl dynamisch wie in den Tempi wahrte und auch fast immer ein gutes Gleichgewicht innerhalb der Orchestermassen (12 erste Violinen) erzielte. Das Scherzo hatte Wucht im Hauptteil und Präzision und Delikatesse im Trioteil. Schliesslich der langsame Satz, der auch das Finale bildet (es gibt Versuche, den vierten Satz zu rekonstruieren, aber keiner ist überzeugend). Die aufsteigende None zu Beginn symbolisiert gleichsam die Weite und Grösse dieses sinfonischen Gebildes, das in mehreren Anläufen zu gewaltigen Steigerungen führt, sich vor der Reprise in einem vielstimmigen dissonanten Akkord (sind es zwölf Töne?) entlädt und schliesslich im Pianissimo verklingt. Erwähnen muss man unbedingt die hervorragenden Soli der Holzbläser und des ersten Horns, wie auch die Klänge der Hörner- und Wagnertubengruppe und der Posaunen mit der Tuba, dazu die glanzvollen Trompeten. Da gab es kleine Intonationstrübungen in den schwierigen chromatischen Klanggebilden, die den guten Gesamteindruck nicht beeinträchtigten. Es war eine überzeugende Tat von Orchester und Dirigent. Herausforderung angenommen und mit Bravour im Sinne von Anton Bruckners Geist bewältigt.
Präsenz und Klangsinn
Klavierrezital Christian Budu
Das Vormittagskonzert in der Kirche Verbier war am Donnerstag dem brasilianischen Pianisten Christian Budu vorbehalten. Er hat 2013 den Clara Haskil-Wettbewerb in Vevey gewonnen, scheint aber beim Publikum noch nicht so bekannt zu sein, die Kirche war bloss etwa halbvoll. Er ist in der Schweiz bereits mehrmals aufgetreten, aber hat sich vor allem auch in Brasilien und den USA einen Namen geschaffen. Er begann sein Programm mit einem Stück des Brasilianers Heitor Villa-Lobos geprägt von Folklore und impressionistischer Harmonik. Es folgten die „Kreisleriana“ op. 16 von Robert Schumann. Ein eigentliches Prüfstück für die musikalischen Qualitäten eines Pianisten. Christian Budu bewies mit seinem manchmal kräftigen, einen vollen Klavierklang begünstigenden Anschlag, aber auch mit sehr feinen Differenzierungen gepaart mit viel Verständnis für die mannigfachen Schattierungen und Brechungen des Werks von Schumann auch musikalische Intelligenz. Auch die 24 Préludes von Frédéric Chopin verlangen vom Pianisten rasche Stimmungswechsel, viel Präsenz und sowohl Klangsinn wie technische Sicherheit. Der Pianist erfüllte auch hier alle Anforderungen und mit Kraft wie mit Feinsinnigkeit und Sinn für die grossen Stimmungswechsel. Das Publikum zeigte sich denn auch am Schluss zu Recht begeistert. Christian Budu ist ein sehr interessanter Pianist, den man im Auge behalten muss.
Eine Beethovenabend mit Evgeni Kissin
Evgeni Kissin im grossen Saal mit einem
Beethoven-Programm. Die Programmwahl war geschickt mit drei
Sonaten und den leider nicht so oft gespielten
„Eroica“-Variationen op. 35. Die „Pathétique „ op. 13 schien
etwas belanglos, ausser, dass Kissin die langsame Einleitung
viel zu langsam und zu zerdehnt spielte. Sonst hätte man kaum
erahnen können wieso die Sonate „Pathétique“ heisst. Aber es war
doch eine im Ganzen klare und geradlinige Wiedergabe.
Die Variationen waren wieder einmal eine Entdeckung, die
Beethovens
geniale Variationskunst bereits in relativ frühen Jahren ins
Licht stellte. Vieles gemahnt an die viel später entstandenen
„Diabelli“-Variationen. Die Interpretation war kongenial und
traf die Vielzahl an Charakteristiken vom einfachen Beginn bis
zur finalen Fuge, die sich bald in weitere Variationen bis zum
verklingenden Schluss auflöst. Unprätentiös und werkdienlich
stellte Kissin sein technisches Können auch in den schwierigen
Variationen in den Dienst des Werks.
Nach der Pause die „Sturm“-Sonate op. 31 Nr. 2 und die
„Waldstein“ op. 53. Auch hier schien die Bezeichnung „Sturm“
etwas gekünstelt, denn im Ganzen überwiegen die sanften Töne in
dieser Sonate. Immer wieder aber staunt man, wie Beethoven in
jeder Sonate neue Möglichkeiten der Form und des Klavierklangs
erkundet. Und Kissin war ein hervorragender Verwalter der
Beethoven'schen Klavierkunst mit einer trefflichen Klangkultur,
mit Formsinn und mit vielen Abstufungen ohne ins Gekünstelte zu
verfallen. Er war einfach ein vortrefflicher Vermittler der
bekannten Meisterwerke ohne Allüren und Mätzchen, dem Ausdruck
verpflichtet und nicht der Zurschaustellung von Virtuosität, die
ist bei Kissin als Voraussetzung ohnehin vorhanden. Seine
Behandlung des Klaviers ist vorbildlich, der Klang ist sanglich
oder klar, kräftig oder sanft und weich, je nachdem und immer im
Dienst des Werks. So hörte man drei der bekanntesten Sonaten von
Beethoven als wie neu und man hörte gerne und aufmerksam z
Die sechs Brandenburgischen Konzerte mit Reinhard Goebel
Sechs Brandenburgische Konzerte an einem Abend. Da braucht es Einiges an Personal, auch wenn man in kleinen und kleinsten Bestzungen auftritt. Das wurde einem so richtig bewusst, als alle Beteiligten in der4 Salle des Combins in Verbier zum Schlussapplaus antraten. Die meisten Musikerinnen und Musiker konnten aus dem Festival Chamber Orchestra, dem Kammerorchester aus ehemaligen Mitgliedern des Festival Orchestra (für das ja eine Altersgrenze von 28 Jahren gesetzt ist). In allen Konzerten wirkte Roberto Gonzales Monjas, auxch Konzertmeister des Chamber Orchestra, als sehr tüchtiger und überzeugender Solo-Violinist. Die Oboisten, der Solo-Flötist im fünften Konzert, die Bratschistinnen im sechsten Konzert oder auch im dritten Konzert, die Hornisten und der Fagottist stammten aus der Formation des Kammerorchesters. Einzig die zwei Blockflötisten im vierten Konzert und der Blockflötist im zweiten Konzert, der Solo-Trompeter im zweiten Konzert und die Gambistinnen im sechsten Konzert und natürlich die Cembalisten wurden von aussen zugezogen. Der Barock-Spezialist Reinhard Goebel gab den Musikern so etwas wie barockes Feeling, wobei sich das vor allem in den teilweise sehr raschen – aber scheinbar mühelos bewältigten – Tempi äusserte. Ansonsten musste man nicht eine aus historischer Aufführungspraxis basierte Aufführung erwarten. Die Musiker spielten im grossen Ganzen auf modernen Instrumenten, wobei die ersten Geiger gelegentlich, aber nicht durchwegs, mit Barockbögen spielten. Insgesamt war es ein erfreulicher Abend, wenn auch nicht für Spezialistenohren, es mussten doch einige stilistische Kompromisse eingegangen werden. Aber die instrumentalen Darbietungen, ob beim Trompeter, den Blockflöten, den Cembalisten (insbesondere natürlich im fünften Konzert, der Solo-Oboe und der Solo-Flöte waren durchs Band auf vortrefflichem Niveau und aus dieser Sicht blieben keine Wünsche offen. Reinhard Goebel dirgierte alle Konzerte durch und pausierte nur bei wenigen Solo-Stellen, wobei er für mein Empfinden fast zu viel Aufwand betrieb. Es war sicher sein Bestreben, lebendige Aufführungen sicher zu stellen, wobei die Musiker dies wohl auch mit weniger gestischem Aufwand erreicht hätten.
Gefeierter Künstler
Rezital Arcadi Volodos
Das Klavierrezital von Arcadi Volodos in der Kirche Verbier war sozusagen ausverkauft und besetzt mit vielen Kennern besetzt die Volodos schon nach Paris oder irgendwohin nachgereist sind. Die Urteile waren dennoch etwas durchzogen, von „zu maniriert“ bis zu restloser Bewunderung. Die erste Programmhälfte war Franz Schubert gewidmet und gab schon Anlass zu gewissen Überlegungen. Was hätte Schubert zu dieser Interpretation gesagt, gedacht? Hätte er sich gefreut oder hätte er sich gewundert? Es begann mit einer Sonate D 157 in E-Dur, der ersten Klaviersonate Schuberts überhaupt. Dazu scheint sie noch unvollendet, denn sie schliesst mi einem Menuett (Scherzo) in B-Dur. Die Wiedergabe war erfrischend und gibt zu keinen Diskussionen Anlass. Anders die sechs „Moments musicaux“ D 780, die mindestens teilweise dem Spätwerk nahestehen und im Todesjahr veröffentlicht wurden. Die technischen Anforderungn sind nicht sehr hoch, so dass fast jeder Klavierschüler das eine oder andere oder alle Stücke gespielt hat. Arcadi Volodos noch fast mehr als Grigory Sokolov versieht sie mit einer bis ins feinste verästelten und differenzierten Anschlagskunst mit gelegentlich fast ins Unhörbare reichendem drei- oder vierfachem Pianissimo. Das stört die Einen, die eine schlichtere Spielart vorziehen und betört Andere, welche die Klangwelt des russischen Pianisten bewundern.
Von Serge Rachmaninoff erklangen nach der Pause fünf Stücke aus verschiedenen Zyklen, das bekannte Prélude cis-moll aus op. 3. ein Prélude aus op. 23 und eines aus dem Opus 32, die Sérénade aus op. 3 (das einzige etwas lebhafte Stück) und eine Etude.Tableau aus op. 33. Volodos, der sich vom einstigen Virtuosen und Titanen zum verinnerlichten Künstler gewandelt hat, war in seinem Element und wiederum konnte man seine Klangvielfalt bewundern, diesmal Fortissimi, die nicht gehämmert sind, sondern den Flügel noch klingen lassen. Als Letztes spielt er sechs kurze Stücke von Alexander Skrjabin, die ihn ebenfalls als gereiften und grossen Interpreten erscheinen liessen. Der Künstler wurde gebührend gefeiert.
Freudvolles Spiel
Serge Babayan und Daniil Trifonov im Duo
Sonntagabend wieder ein Konzert des Festival Chamber Orchestra mit Gábor Takács-Nagy am Pult. Das Orchester hatte diesmal weniger beizutragen und überzeugte auch nicht ganz hundertprozentig. „Stars“ des Abends waren die Pianisten Sergei Babayan und sein ehemaliger Schüler Daniil Trifonov. Sie enttäuschten auch nicht. Das Konzert für zwei Klaviere BWV 1062 (nach dem Konzert für 2 Violinen in d-moll) wurde gediegen vorgetragen, mit etlichen Verzierungeen über die man sich immer streiten kann. Ich glaube, Albert Schweizer hat in seiner Bach-Biografie die Übertragung des Konzerts für zwei Cembali als Sünde bezeichnet, vor allem wegen des zweiten Satzes, in dem die Violinen in Melodien schwelgen, während das trockene Cembalo diese kaum wiedergeben kann. Auf dem modernen Flügel ist es wiederum etwas anders, den kann man auch zum Singen bringen. Das war aber nicht die Hauptabsicht des illustren Klavierduos, das blieb eher im schlichten Klangkleid und versuchte die Melodik durch konsequent durchgehaltene Verzierungen zu beleben. Auch die Streicher versuchten nicht, eine „historisch informierte“ Praxis zu erreichen, einzig die zügigen, aber vertretbaren Tempi zeugten ein bisschen davon.
Das Konzert für zwei Klavier Es-Dur KV 365 von Mozart hatte mehr Impetus. Die Pianisten warfen sich die Einsätze sehr lustvoll zu und ergänzten sich in Lebendigkeit und Klarheit vortrefflich. Wir zwei Tage zuvor beim „Jeunehomme“ -Konzert von Mozart wählten sie einen schlanken Klavierklang, wogegen die Hörner des Orchesters ein paar wenige Male etwas zu dick auftrugen. Der Klang der Flügel und der Klang des Orchesters schien mir nicht ganz kongruent. Babayan schmiss im letzten Satz in einem absteigenden Lauf (entschuldbar bei dieser wohltuenden Spontaneität des Spiels), worauf der letzte Satz wiederholt wurde (wenn das Konzert später dutzende Male in Fernsehstationen ausgestrahlt wird, will man nicht solche Fehler stehen lassen). Die Wiederholung war blitzblank sauber und genau so wagemutig spontan wie vorher (wenn nicht noch ein Mü mehr).
Wunderbar die selten gespielten Variationen für zwei Klavier von Robert Schumann (normalerweise noch mit zwei Celli und einem Horn besetzt was noch etwas romantische Farbe bringt). Die auch hier nicht allzu überschwengliche und klanglich zurückhaltende aber fein differenzierte Interpretation war ein Genuss. Als wirkliche Zugabe ganzt am Schluss folgte noch ein Finale einer Klaviersonate vierhändig von Mozart, ziemlich rasant, aber blitzblank sauber. Im Ganzen kein aussergewähnliches Konzert, aber eine Freude für das Publikum .
Beinahe hätte ich es vergessen : zu Beginn erklang die Uraufführung eines „Concerto dolce“ für Viola, Streicher und Harfe von Rodion Shchedrin . Eine Belanglosigkeit mit ein paar schönen Momenten, in der man den roten Faden erfolglos suchte, aber vom Bratschisten Lawrence Power hervorragend gespielt.
Junge und sehr junge Interpreten
Am dritten Festivaltag begegnete man vormittags in der Kirche einem jungen Streichquartett und erlebte spannende wie schöne Stunden. Das Arod Quartett (Jordan Victoria, Alexandre Vu, Violine, Tanguy Parisot, Bratsche, Samy Rachid, Cello) hat etliche Preise gewonnen, darunter den ARD-Wettbewerb in München, und überraschte durch die Feinheit und Reinheit ihres Spiels. Die vier Musiker begannen mit dem spätromantisch übersteigerten „Langsamen Satz“ von Anton Webern und betörten mit einer ebenfalls fast übersteigerten Sensibilität. Rauher und kräftiger ging es im vierten Streichquartett von Béla Bartók zu. Das nicht ganz leicht zugängliche Werk voller Schroffheiten, in dem jedoch jeder Ton richtig und nötig scheint, beeindruckte durch den zupackenden und doch sehr präzisen Zugriff in dem vor allem auch rhythmisch sehr vertrackten Werk. Es war eine wohldurchdachte aber nichtsdestotrotz sehr spontan wirkende Interpretation. Noch mal einen anderen Zugang fanden die jungen Musiker zum zweiten Streichquartett a-moll von Johannes Brahms. Es ist ein eher verhaltenes Werk ohne grosse Leidenschaften, aber von zarter und leichter Schönheit. Hier bewunderte man die vielfachen Klangschattierungen innerhalb des Wohlklangs und der Reinheit. Ein Quartett, dem man sehr gerne wieder begegnen wird.
Am Nachmittag brillierte der vierzehnjährige Yoav Levanon in einem anspruchsvollen Klavierrezital. Ich habe es bei medici.tv verfolgt und gehe deshalb nur summarisch bdarauf ein. Der Eindruck: da ist ein sehr frühreifer junger Pianist am Werk, der technisch versiert ist und auch musikalisch etwas zu sagen hat. A suivre.
Abends, ebenfalls in der Kirche, das aussergewöhnliche Konzert des Pianisten Daniil Trivonov mit einer Anthologie der Klaviermusik des zwanzigsten Jahrhunderts von Alban Bern über Serge Prokofiev, Béla Bartók, Aaron Copland, Olivier Messiaën, György Ligeti, Karlheinz Stockhausen, John Adams zu John Corigliano. Eine ausverkaufter Saal. Mit etwas Glück konnte ich die zweite Hälfte verfolgen. Es brauchte etwas Mut, in Verbier ein solches Programm zu stemmen, aber es hat sich gelohnt. Es gab wenige Zuhörer, die in der Pause das Konzert verliessen, der grösste Teil blieb aufmerksam bis am Schluss, bis zu der Zugabe mit dem „Werk“ 4'33'' von John Cage, und auch da war es mucksmäuschenstill in der Kirche. Auf die Interpretationen will ich nicht eingehen, Daniil Trivonov wirkte die ganze Zeit sehr überlegen und erntete – natürlich auch von den jungen Academy-Teilnehmern – begeisterten Applaus.
Ein virtuoser Pianist und ein vortreffliches Verbier Festival-Kammerorchester
Am Freitag vormittag spielte der Pianist Behzod Abdumairov aus Usbeskistan zwei gewichtige Klavierwerke, die Sonate h-moll von Franz Liszt und die „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky. Er spielt nicht zum ersten Mal in Verbier und ich hatte ihn eigentlich in guter Erinnerung. Nun, diesmal fiel er in erster Linie durch eine sichere Virtuosität und in zweiter Linie durch ein hartes und knalliges Fortissimo auf. Die Liszt-Sonate hatte durchaus ihre schönen Seiten sowohl in den glitzernden Passagen wie auch im langsamen Teil mit den gesanglichen Melodien. Doch er geht insgesamt zu wenig haushälterisch mit der Dynamik um und landet meist viel zu schnell im Forte und Fortissimo. Und da hätte er noch zu lernen, wie ein Flügel funktioniert und wie man die Saiten zum Klingen bringt ohne zu stark auf die Tasten zu hauen. Ein agressvîves Spiel verhindert nämlich das Ausschwingen der Saiten und damit ist man zwar laut, aber ohne den erwünschten Klang.
Die Bilder von Mussorgsky erklangen insgesamt recht schön, aber mit den bekannten Einschränkungen, einige Sätze (Tanz der Kücken, Markt von Limoges) waren sehr rasch, verloren aber an Klarheit. Die Zugabe von Rachmaninov versöhnte mich ein bisschen mit dem noch jungen Pianisten, da war nichts zu exzessiv.
Abends im grossen Saal wartete das Festival-Kammerorchester unter Gábor Takács-Nagy mit einem sozusagen perfekten Konzert auf. Zu Beginn die „Titus“-Ouvertüre von Mozart, dann bereits Umbau für das Klavierkonzert Nr 9 „Jeunehomme“ des Salzburgers. Am Flügel Sergei Babayan, von dem man gleichentags in der Zeitung „Le Temps“ lesen konnte, wie er Daniil Trifonov 2011 für den Tschaikowsky-Wettbewerb coachte, namentlichb für ein Mozart-Klavierkonzert. Da konnte man gespannt sein, wie er das frühe, aber so geniale Es-Dur-Konzert in Angriff nahm. Man wurde nicht enttäuscht, im Gegenteil. Es war ein Mozart der leichten Töne, aber in Phrasierung , Artikulation und Agogik absolut vorbildlich (ohne gelehrsam zu wirken). Sehr genussvoll zuzuhören und ohne jegliche falschen Akzente, die er seinerzeit bei Trifonov noch zu korrigieren hatte.
Nach der Pause die zweit Sinfonie D-Dur von Johannes Brahms in kleiner Besetzung mit acht ersten Geigen. Das Resultat: man sollte Brahms immer so spielen. Die Balance zwischen Bläsern und Streichern war immer vortrefflich gewahrt und ganz am Schluss des Finale liess Gábor Takács-Nagy das gesamt Blech aufstehen für die glanzvollen Fanfaren. Das war berechtigt und führte logischerweise auch zum losbrechenden Beifall. Aber auch sonst war das Werk voller Leben mit schönem Streicherklang, wundervollen Soli der Holzbläser und des Horns einem lustvoll präzisen Scherzo und einer bei aller Lebendigkeit klaren und durchsichtigen wie akzentreichen Gestaltung. Mit einem Ungarischen Tanz von Brahms rissen die jungen Interpreten das Publikum noch einmal zu Beifallsstürmen hin.
Eindrückliches Eröffnungskonzert
Es war ein glanzvolles Eröffnungskonzert in Verbier heute abend. Es gab zuerst natürlich Ansprachen, neben dem Direktor Martin T. Engström und dem Stiftungspräsidenten Peter Brabeck auch von Bundesrat Ignazio Cassis. Alle preisten den hohen Stellenwert, den das nun 26-jährige Verbier Festival weltweit geniesst, mit Ausnahme der Deutschschweiz wo es offenbar noch nicht den entsprechenden Ruf geniesst. Was immer wieder von allen hervor gehoben wird, ist der musikpädagogische Wert des Festivals mit dem Orchester aus jungen Musikern zwischen 18 und 28 Jahren, dem Kammerorchester aus Ehemaligen des Sinfoneiorchesters, der Akademie mit auserlesenen Teilnehmern aus der ganzen Welt und dem Junior-Orchester aus 15- bis 17-jährigen Teilnehmern, die ebenfalls weltweit ausgesucht werden.
Die hohe Qualität, die es in den Rang hervorragender Sinfonieorchester der Welt hebt, hat das Orchester am Eröffnungsabend bewiesen. Zuerst gab es eine wundervolle Aufführung des zweiten Violinkonzertes von Béla Bartók mit dem ungarischen Geiger Kristóf Baráti. Dabei gefielen vor allem die lyrischen Passagen, die vom Violinisten ungemein sensibel gespielt wurden und in denen das Orchester in den zarten und raffinierten Klangfarben und Klangmischungen des Klangzauberers Bartók aufhorchen liess. Nach der Pause dirigierte Valery Gergiev die fünftte Sinfonie von Dmitri Shostakovitch, eine Wiedergabe, die keine Wünsche offen liess. Das Werk gefiel wiederum in den geradezu magisch schönen Piani und Pianissimi im ersten und dritten Satz und den schrioffen und burschikosen Seiten des zweiten und auch den triumphalen Passagen des vierten Satzes, in denen das Blech glanzvoll auftrumpfen durfte. Wunderschöner Streicherklang und ausgezeichnet gespielte Bläsersoli waren weitere Glanzpunkte einer das Publikum begeisternden und den Gehalt der Sinfonie trefflich wiedergebenden Interpretation.