Klassik Schweiz - Suisse classique - Swiss classic
Das Swiss-Classic-Journal
Verbier Festival&Academy 2017
Künstlerische Highlights voller Spannung
Ein Quartett das Grenzen sprengt und Mendelssohn in Vollkommenheit
Ein junger Solist und junge Chorsänger
Eröffnung mit Strauss und einem Abschied von Charles Dutoit
Künstlerische Highlights voller Spannung
In den letzten Tagen gab es noch einige Highlights auch für anspruchsvolle und kritische Festivalbesucher. Leider musste sich Leonidas Kavakos entschuldigen und der Ersatz im Rezital mit Yuja Wang war bei weitem nicht auf derselben Höhe. Aber mit James Ehnes aus Kanada lernte man einen sehr tüchtigen und soliden Geiger kennen, mit kraftvollem Ton und tadelloser Technik. Begleitet vom nicht bloss zuverlässigen sondern als gleichwertiger Partner auftretenden Julien Quentin schätzte man die erste Rhapsodie von Béla Bartók und Fünf Melodien op. 35bis von Serge Prokofieff. Und ebenso schätzte man die Begegnung mit zwei eher selten gespielten Werken der Violinliteratur, der Sonate op. 82 von Edward Elgar und der Sonate op. 75 von Camille Saint-Saëns. Mit der gross angelegten Elgar-Sonate bestätigte sich, dass England auch in der Spätromantik einen grossen Komponisten hatte, und die Sonate von Saint-Saëns wirkte in der Wiedergabe von Ehnes und Quentin ebenfalls als wertvolle Kammermusik.
Am späten Nachmittag gefiel der noch junge Alexei Grynyuk in Sonaten von Domenico Scarlatti, einem Nocturne von Chopin und der 2. Sonate von Sergei Rachmaninov. Er wies sich durch ein manchmal etwas zu kräftiges aber sicheres und nüancenreiches Spiel aus. Ich musste das Konzert vorzeitig, vor zwei Nummern von Franz LIszt, verlassen um rechtzeitig im grossen Zelt für das Sinfoniekonzert mit
Der
Freitag der letzten Woche war ebenfalls grossartig mit einem sozusagen perfekten
Rezital der russischen Stars Vadim Repin und Nikolai Luganski. Noch einmal die
"Fünf Melodien" von Prokofieff, aber in einer anderen Färbung des Geigentons als
zwei Tage zuvor, dann folgte die Sonate in G-Dur von Maurice Ravel, untadelig
und den Charakter des Werks weitgehend treffend, obwohl der "Blues" und das
abschliessende "Mouvement perpetuel" noch etwas mehr die Grenzen des Schönen in
Richtung Aberwitz hätten überschreiten dürfen. Abschliessend die
"Kreutzer"-Sonate op. 47 von Beethoven, auch hier perfekt aber vielleicht gerade
deswegen etwas wenig aufregend. Antonio Pappano am Pult und Yefim Bronfman am
Flügel anzukommen. Das 2. Klavierkonzert von Johannes Brahms wurde von Yefim
Bronfman würdig vorgetragen wie man es von diesem Herrn erwarten konnte, das
Orchester mit Pappano etwas schwerfällig und oft leicht dem Klavier nachhinkend.
Dafür holten die noch jugendlichen Orchestermusiker mit dem italienischen
Maestro kräftig auf in der sinfonischen Dichtung "Ein Heldenleben" von Richard
Strauss. Das war in jeder Beziehung meisterlich und man konnte einmal mehr über
die Qualität des aus jungen Musikern aus der ganzen Welt zusammengesetzten
Orchesters staunen.
In
jeder Hinsicht aufregend war hingegen der Abend in der Kirche. Janine Jansen,
Violine, Mischa Maisky, Cello, und der junge Lucas Debarque, Klavier, fanden
sich zu einem ebenbürtigen Ensemble in dem Mischa Maisky sozusagen um Kopf
und Kragen spielte und die beiden andern mitriss zu einer aussergewöhnlich
dichten, spannungsvollen Interpretation, gelegentlich am Rande des Irrsinns. In
der zweiten Hälfte gesellten sich der Cellist Torleif Thedéen und der
Klarinttist Martin Fröst zu Janine Jansen und Lucas Debarque und in dieser
Besetzung kam das "Quatuor pour la fin du Temps" von Olivier Messiaen zu einer
ebenfalls ausserordentlich intensiven, sowohl spannungsvollen wie auch im
Cellosollo und im abschliessenden Violinsolo überirdisch gelösten Wiedergabe.
Das war ein grosses Erlebnis in einer übervollen Kirche, die gebannt lauschte
und am Schluss eine stehende Ovation darbrachte. Eine "Carte blanche" für
Leonidas Kavakos am Samstag konnte in dieser Art nicht stattfinden und am
Sonntag gab es ein recht konventionelles Abschlusskonzert mit Janine Jansen als
Solistin und Mikhail Pletnev am Pult, aber da war ich schon abwesend und am
Schreiben dieses Schlussberichtes.
Der Pianisten-Wettstreit
Das Verbier Festival gewährt wie selten einen
Vergleich verschiedenster Künstler in kurzer Zeit. So sind bislang die Pianisten
Denis Kozhukhin, Barry Douglas, Grigory Sokolov, Sergei Babayan, Andras Schiff,
Francesco Piemontesi, Evgeny Kissin, George Li, Kirill Gerstein, Ji Liu, Richard
Goode, Nikolai Luganski, Lucas Debarque, Vladimir Feltsman, Yuja Wang
aufgetreten. Mikhail Pletnev und Yefim Bronfman kommen noch dazu. . Manche
gehören zu den Dauergästen in Verbier, etliche sind zum ersten Mal da. Sergei
Babayan, der Lehrer von Daniil Trifonof weilt im dritten Jahr hier und war für
das hiesige Publikum eine Entdeckung.
Nikolai Luganski; Foto Aline Paley
Eine wahrhafte
Entdeckung ist auch
Vladimir Feltsman, der zum ersten Mal wohl in Westeuropa auftrat und der in
gewisser Weise die alte russische Schule vertritt. Er spielte die selten
gespielten Balladen op. 10 von Brahms wie ein Altmeister, eine Wohltat, und
verströmte in den „Bildern einer Ausstellung“ von Mussorgski eine Authentizität,
welche den Zyklus wie neu erstehen liess. Daneben verblassen die jungen
Zirkuspferde etwas. Yuja Wang kennt man inzwischen mit ihren Äusserlichkeiten
und trotz verblüffender Virtuosität immer noch mit Oberflächlichkeit.
Vladimir Feltsman; Foto Aline Paley
George Li,
Preisträger des Tschaikowski-Wettbewerbs 2015 versetzt das Publikum mit
Zirkusnummern wie der „Don-Juan“-Reminiszenz von Liszt in Erstaunen, weist aber
in andern Werken wie der „Appassionata“ von Beethoven trotz feiner Abstufungen
wenig Tiefgang aus. Das ist das Manko vieler heutiger junger Virtuosen und der
Preisträger grosser Wettbewerbe: sie machen Karriere aufgrund ihres effektvollen
Spiels und dabei bleiben andere junge Pianisten mit geistiger Substanz und dem
Willen, das Werk und den Komponisten in den Vordergrund zu stellen, auf der
Strecke. Es gibt sie, aber sie bleiben im grossen Konzert- und Festivalbetrieb
oft Randerscheinungen.
George Li; Foto Aline Paley
Vielleicht ist der junge Franzose Lucas Debarque eine
Ausnahme, obwohl auch er sich durch ein genialisches Gehabe, aber immerhin mit
Interpretationen von Substanz, im Gespräch hält. Der Schweizer Franceso
Piemontesi gehört auch in die Kategorie der ernst zu nehmenden jungen
Interpreten. In den vergangenen Jahren waren das auch Jan Lisiecki oder Adam
Laloum. Die älteren Meister wie Andras Schiff, mit dem man nicht immer
einverstanden sein muss, Sergei Babayan mit seinen romantisierenden aber
spannenden Bach-Interpretationen, der solide Kirill Gerstein und der schon fast
altersweise Richard Goode bleiben sichere Werte.
Lucas Debarque; Foto Aline Paley
Ein Quartett das Grenzen sprengt und Mendelssohn in Vollkommenheit
Es gibt viel zu berichten aus
Verbier seit dem letzten Blog. Da spielte am Donnerstag, 27. Juli, in der Kirche
das Quatuor Ebéne. Man kann das Spiel der drei jungen Herren, die neuerdings an
der Bratsche durch eine ebenbürtige Frau ergänzt wurden, kaum beschreiben. Ich
habe es spontan als "ausserirdisch" bezeichnet, denn die herkömmlichen Vokabeln
reichen kaum aus. Es ist faszinierend anders als gewohnt,manchmal schroffer,
akzentuierter, dann auch wieder zärtlicher, sie schöpfen die ganze Bandbreite
der Dynamik vom vierfachen
Pianissimo bis zum vierfachen Fortissimo aus, und
dennoch bleiben sie den gespielten Werken treu, ja finden vielleicht die ganze
Wahrheit die da drin steckt. Mozarts d-moll-Quartett KV 421 und Beethovens op.
95 klangen wie neu, immer sowohl aufregend wie beglückend. Im Quartett von
Maurice Ravel überboten sie sich selber. Gegenüber der früheren Aufnahme klang
alles noch viel differenzierter bis in die feinsten Verästelungen und
gleichzeitig wurden sie dem ungemeinen Reichtum dieser Partitur aufs
Vollkommenste gerecht. Das war ein Ereignis, das kaum zu überbieten ist.
Einige Tage danach erstaunte das Quatuor Ebène erneut
mit einer kraftvollen Interpretation des Quartetts in f-moll op. 80 von Felix
Mendelssohn. Das Spätwerk entspricht nicht dem Klischee des immer heiteren und
lebensfrohen Mendelssohn. Nach dem überraschenden Tod der Schwester komponiert,
weist das Werk auch Schroffheiten und schmerzliche Züge auf, die von den
Spielern des Quartetts nicht kaschiert wurden. Auch das Quintett op. 87 ist eine
reife Komposition, sogar noch komplexer als das vorangehende Quartett. Joshua
Bell führte ein Ensemble an, das vielleicht etwas weniger akzentuiert als das
Quatuor Ebène agierte, aber ebenso eine ausdrucksstarke Interpretation lieferte.
Zum Schluss an diesem Mendelssohn-Abend vereinigten sich die zwei Ensemble zum
Oktett, und das Meisterwerk des 16-Jährigen geriet ihnen zum beglückenden
Ereignis, auch wenn dieses Werk neben schwungvollem Elan und einem elfenleichten
Scherzo auch einige schmerzlichere Züge zeigt, die meist verkannt und überhört
werden. Aber auch hier lieferten die Spieler des Quatuor Ebène die notwendigen
Impulse, welche die Wiedergabe zu einer an Vollkommenheit grenzenden Ausdeutung
machten.
fen die ganze Bandbreite der Dynamik vom vierfachen
Pianissimo bis zum vierfachen Fortissimo aus, und dennoch bleiben sie den
gespielten Werken treu, ja finden vielleicht die ganze Wahrheit die da drin
steckt. Mozarts d-moll-Quartett KV 421 und Beethovens op. 95 klangen wie neu,
immer sowohl aufregend wie beglückend. Im Quartett von Maurice Ravel überboten
sie sich selber. Gegenüber der früheren Aufnahme klang alles noch viel
differenzierter bis in die feinsten Verästelungen und gleichzeitig wurden sie
dem ungemeinen Reichtum dieser Partitur aufs Vollkommenste gerecht. Das war ein
Ereignis, das kaum zu überbieten ist.
Einige Tage danach erstaunte das Quatuor Ebène erneut
mit einer kraftvollen Interpretation des Quartetts in f-moll op. 80 von Felix
Mendelssohn. Das Spätwerk entspricht nicht dem Klischee des immer heiteren und
lebensfrohen Mendelssohn. Nach dem überraschenden Tod der Schwester komponiert,
weist das Werk auch Schroffheiten und schmerzliche Züge auf, die von den
Spielern des Quartetts nicht kaschiert wurden. Auch das Quintett op. 87 ist eine
reife Komposition, sogar noch komplexer als das vorangehende Quartett. Joshua
Bell führte ein Ensemble an, das vielleicht etwas weniger akzentuiert als das
Quatuor Ebène agierte, aber ebenso eine ausdrucksstarke Interpretation lieferte.
Zum Schluss an diesem Mendelssohn-Abend vereinigten sich die zwei Ensemble zum
Oktett, und das Meisterwerk des 16-Jährigen geriet ihnen zum beglückenden
Ereignis, auch wenn dieses Werk neben schwungvollem Elan und einem elfenleichten
Scherzo auch einige schmerzlichere Züge zeigt, die meist verkannt und überhört
werden. Aber auch hier lieferten die Spieler des Quatuor Ebène die notwendigen
Impulse, welche die Wiedergabe zu einer an Vollkommenheit grenzenden Ausdeutung
machten.
Ein junger Solist und junge Chorsänger
Man verpasst immer etwas am
Verbier Festival. Nicht nur weil, wenn man stark erkältet ist, man auf Konzerte,
die man eigentlich besuchen wollte, verzichten muss, auch schlicht weil viel los
ist und lohnende Konzerte gleichzeitig stattfinden. So kann ich nicht berichten
über die Rezitals von Denis Kozhukhin und Andras Schiff, noch das zweite Konzert
des Pavel Haas-Quartetts oder heute abend das Rezital von Evgeny Kissin, weil
ich mich für das Konzert des King's College Choir aus Cambridge entschieden
habe. Wieder einmal a capella-Chormusik auf hohem Niveau, darüber werde ich
morgen berichten können. Am Dienstagabend hingegen habe ich mich für
Daniel
Lozakovich entschieden, dessen Werdegang ich seit drei Jahren verfolge. Er hatte
das Violinkonzert g-moll von Max Bruch im Programm, ein Stück das jeder
einigermassen fortgeschrittene Violinstudent spielt. Umso gespannter war ich auf
die Aufführung. Der jetzt Sechzehnjährige verfügt über eine unfehlbare Technik,
einen schönen Ton und eine makellos reine Intonation. Was mich an ihm fasziniert
ist seine immer noch fast kindliche Natürlichkeit und eine Musikalität, die jede
Phrase, ja jeden Ton auskostet. Dabei ist er gleichzeitig intelligent genug, die
Linie und das Formgefühl nicht zu verlieren. Kurz: die Wiedergabe war vom ersten
bis zum letzten Ton ein Genuss und auch sehr differenziert. Dasselbe bei der
Zugabe mit dem 24. Caprice von Paganini, das wiederum tadellos, ohne Fehl und
Tadel dargeboten wurde. Es ist eine Freude, die Entwicklung von Daniel
Lozakovich zu erleben, auch weil er ein hoch intelligentes Bürschchen ist, das
auf keine Klischees hereinfällt. Begleitet wurde er vom Festival Chamber
Orchestra unter dem jungen Lahav Shani, der in der Ouvertüre zu „Figaros
Hochzeit“ und dann in der grossen C-Dur-Sinfonie von Franz Schubert als straffer
Orchesterleiter einerseits positiv auffiel, aber insgesamt zu sehr belebten
Tempi neigt, wodurch auch bei der sehr hohen Qualität des Orchesters einige
Details doch zu kurz kamen. Interessant der Vergleich mit der
Orchesterbesetzung. Hatte am Vorabend das Festivalorchester ein
Mozart-Klavierkonzert mit zwölf ersten Geigen begleitet, so spielte das Chamber
Orchestra die Schubert-Sinfonie mit acht ersten Geigen und trotzdem war das
klangliche Resultat trotz stärkerer Bläserbesetzung hervorragend.
Erfreulich heute morgen in der Kirche das Rezital des
Pianisten Francesco Piemontesi. Ein abwechslungsreiches Programm mit der sehr
lebendig vorgetragenen Sonate C-Dur KV 330 von Mozart, zwei Stüclen von Liszt
und vier Préludes von Debussy. Das war alles bereits hochstehende Klavierkunst,
doch die abschliessende Sonate A-Dur D 959 übertraf
alles an Feinfühligkeit, Formsinn und Ausdruckskraft bis in feinste
Verästelungen. Das war ganzgrosse Schule und rief zu Recht grosse Begeisterung
beim Publikum hervor.
Am Abend dann in der prallvollen Kirche der Clloge
Chor aus Cambridge mit einem namenlosen Dirigenten, einem bescheidenen älteren
Herrn. Die Boys schätzungsweise zwischen zehn und neunzehn Jahren alt, künftige
Bankchefs oder Richter, aber jetzt Sänger in einem Chor von dreissig Stimmen.
Sie begannen mit altenglischen Motetten von Thomas Thomkins und William Byrd, es
folgten geistliche Gesänge von Johannes Brahms und Anton Bruckner. Nach der
Pause Motetten von Claudio Monteverdi und Henry Purcell und gegen Schluss neuere
englische Komponisten wie Ralph Vaughan-Williams, Herbert Howells und Edward
Elgar, als Zugabe Hymne an die Jungfrau von Benjamin Britten. Dazwischen zwei
Orgelstücke von Couperin und Bach auf einer schitteren elektronischen Orgel. Das
Publikum war begeistert, die Leistung des Chors beachtlich, notensicher in
komplizierten kontrapunktischen bis zu achtstimmigen Sätzen, auch in kühnen
Harmonien völlig intonationssicher. Stimmlich oder in Bezug auf Chorklang gab es
Einschränkungen. Die ungebrochenen Stimmen der Soprane und Altstimmen klangen
rein wie eben geschulte Knabenstimmen. Bei Tenor und Bass fehlte etwas dien
stimmliche Reife. Man muss reine Knabenchöre mit dem speziellen Timbre lieben um
uneingeschränkt zuzustimmen. Namentlich bei den spätromantischen Werken waren
Vorbehalte abgebracht. Aber doch, alles in allem war es ein gutes und
vielseitiges Erlebnis.
Sehr erfreulich auch das Kammermusikkonzert in der
Kirche heute Vormittag mit drei jungen Musikern, Pablo Ferrandez, Daniel
Lozakovich und George Li. Ferrandez und Li spielten die Cellosonate op. 40 von
Schostakovitch sozusagen unübertrefflich, Ferrandez zeigte sich als Meister der
schönen Töne und auch als angriffslustig, und George Li war ein ebenbürtiger
Partner. Etwas weniger Übereinstimmung bei der Sonate von César Franck mit
Lozakovich und Li. Der fabulöse junge Geiger spielte mit schlankem, reinem Ton
und doch sehr emphatisch, während George Li hier zu stark dominierte, obwohl ja
der Klavierpart sehr im Vordergrund steht und man froh ist, wenn er von einem
wirklichen Pianisten und nicht von einem „Begleiter“ gespielt wird. In dem Fall
wollte sich das ideale Gleichgewicht nicht ganz einstellen. Wogegen sich die
drei Musiker im Klaviertrio Nr. 1 d-moll von Felix Mendelssohn in hervorragender
Übereinstimmung fanden. Der Pianist hatte die von Mendelssohn geforderte
Lockerheit bei aller Brillanz und die Streicher konnten sich ohne Anstrengung
auf gleicher Höhe durchsetzen. Das war nun absolut Spitze und ein grosses
Vergnügen für die natürlich begeisterten Zuhörer.
Eröffnung mit Strauss und einem Abschied von Charles Dutoit
Das erste Wochenende
des Verbier-Festival ist vorüber und stürzte den Besucher bereits in
eine reiche Vielfalt. Der erste Abend war der konzertanten Aufführung
der Oper „Salome“ von Richard Strauss gewidmet. In ein paar Tagen wird
„Elektra“ der andere grosse Einakter von Strauss folgen.
Am Samstag konnte man Renaud Capuçon mit
Denis Kozhukhin in einem Rezital hören, abend Andras Schiff im ersten
Klavierkonzert von Brahms und gleichzeitig in der Kirche das Pavel
Haas-Quartett mit dem Pianisten Barry Douglas in einem anderen
Brocken von Brahms, dem Klavierquintett op. 34. Am Sonntag lag ich mit
einer Erkältung im Bett und verpasste so das Rezital von Grigory
Sokolov, wogegen ich mich am Montagabend aufraffte um die Neunte von
Gustav Mahler mit Daniel Harding am Pult nicht zu verfehlen.
Charles
Dutoit gab mit „Salome“ sein Abschiedskonzert als Chefdirigent des
Verbier Festival Orchesters und wurde vom Publikum wie auch vom
Orchester entsprechend gefeiert. Die Oper war mit einer herausragenden
Solistenbesetzung auch ein Ereignis, atemberaubend gute Gun_Brit Barkmin
als Salome, ebenbürtig Jane Henschel als Herodias, Egils Silins als
Jochanaan und Gerhard Siegel umwerfend als Herodes. Das Orchester,
angefeuert von Charles Dutoit entfaltete alle Farben dieser grossartigen
Partitur. Ein grosser Abend, wie man zu sagen pflegt, in jeder Hinsicht
tadellos und begeisternd.
Drei Tage später zeigte sich das junge
Orchester erneut in Hochform, in allerdings völlig entgegengesetzten
Werken. Der junge Joshua Weilerstein dirigierte mit Sergei Babayan am
Flügel das Klavierkonzert C-Dur KV 503 von Mozart. Orchester und Pianist
von grosser Lockerheit und Transparenz, schön artikuliert, ein
gepflegter, gefälliger Mozart, aber doch sehr lebendig mit schönen
Holzbläser-Einwürfen. Dann übernahm Daniel Harding das Szepter anstelle
von Gianandrea Noseda. Die Neunte von Mahler ist sperrig, keine
Klangorgien, häufig dünn orchestriert, kurze Motive übereinander getürmt
und miteinander verflochten, kaum eine längere zusammenhängende Melodie,
nicht einmal im abschliessenden Adagio. Nichts also zum Schwelgen. Die
Wiedergabe war jedoch auf der Höhe des Werks auf der Schwelle zur
Moderne und allem Verführerischen abhold. Daniel Harding erreichte eine
Transparenz des Klanges auch in den grossen Ballungen und es war
trotzdem keine abstrakt analysierende Aufführung sondern hielt die Mitte
zwischen Überschwang und Klarheit. Dabei auch klangliche Extreme und
Schärfe nicht scheuend. Die einzelnen Orchesterregister alle untadelig,
sowohl Hörner wie Trompeten und Posaunen und die Holzbläser. Die
Streicher konnten sich vor allem im langsamen Schlusssatz mit warmen
Klängen hervortun und der im Pianissimo verklingende Schluss gelang
eindrucksvoll und ergreifend.
Verbier Festival&Academy 2016
Grossartige Orchesterwerke und füllige Kammermusik
Fremdes und Naturhaftes in einem Spannungsfeld
Eindrucksvolles Orchester unter Paavo Järvi
Lise de la Salle, eine musikalische Gestalterin
Eine bejubelte Enttäuschung
Musikalische Weihestunden
Gegensätzliche Violinisten
Ein Gigant am Klavier
Interessante Vergleiche unter Pianisten
Spannendes und allzu Schönes
Authentischer Mozart
Musikalisches Erlebnis im Vordergrund
Eröffnung mit Glanz und orchestraler Virtuosität
Grossartige Orchesterwerke und füllige Kammermusik
Am
Wochenende ging das Verbier Festival mit der dritten Sinfonie von Gustav Mahler
unter der Leitung von Michael Tilson Thomas zu Ende. Etwas mehr als 30 000
Eintrittskarten waren verkauft worden, rund 12 500 Personen besuchten die
Zusatzangebote wie die Masterclasses, die Konzerte der Masterclass-Teilnehmer im
Kinosaal und die öffentlichen Proben der Orchester.Am Donnerstag hatte
das Festival Orchester in grosser Besetzung unter Ivan Fischer seinen Auftritt
in Ausschnitten von Richard Wagners Opern. Die "Meistersinger"-Ouvertüre, der
"Karfreitsgszauber" aus Parsival, Vorspiel und Isoldes Liebertod mit der
Sopranistin Anja Kampe, die auch in der Schlussszene der "Götterdämmerung"
begeisterte. Dazwischen lagen noch Siegfrieds Rheinfahrt und Siegfrieds
Trauermarsch. Ivan Fischer verstand es die jugendlichen Orchestermusiker zu
höchst beachtlichen Leistungen anzuspornen, vor allem war der Ausgleich unter
den Registern auch im grössten Fortissimo immer gewahrt und die feinen Klänge in
der "Tristan"-Oper gehörten vielleicht zu Besten was das Orchester an diesem
Festival geboten hat.
Am Freitag fanden noch drei Rezitals in der Kirche statt. Am Vormittag mit dem Violinisten Roman Simovič und Itamar Golan am Klavier in Werken von Arvo Pärt, Sergei Prokofieff, Francis Poulenc und Maurice Ravel. Beide etwas ausladend in der Tongebung. Die Violinsonate von Poulenc, aber auch die Sonate von Prokofieff mit zu viel Espressivo beladen. Auch die Tzigane von Ravel mit einem etwas fettigen Ton, Itamar Golan am Flügel häufig etwas zu laut im Vergleich zur Violine.
Am
Nachmittag spielte der noch junge Russe Lukas Geniušas ein Klavierrezital mit
Robert Schumanns "Faschingsschwank aus Wien", sechs Mazurken von Frédéric Chopin
und der zweiten Klaviersonate von Sergei Prokofieff. Obschon auch dieser noch
als Nachwuchspianist gehandelte Russe über alle technischen Fähigkeiten verfügt,
erfreut er den kritischen Zuhörer mit einem charakteristischen Klang, Schumann
tönt nach Schumann, Chopin tönt nach Chopin, eine Fähigkeit zur Klanggestaltung
die nur wenige der jungen Virtuosen beherrschen. Auch sonst ist man von seinen
gestalterischen Fähigkeiten angetan, er kann eine Melodielinie schön durchhalten
und verfügt über reiche Klangschattierungen. Ein junger Künstler dem man gerne
wieder begegnet und dessen Laufbahn zu verfolgen sein wird.
Am Abend spielten einige bereits arrivierte Musiker mit dem Cellisten Mischa Maisky im Zentrum zwei sehr unterschiedliche Klaviertrios. Roman Simovič , Mischa Maisky und Lise de la Salle nahmen sich das Klaviertrio von Maurice Ravel vor. Man hatte vielleicht auch hier einen etwas zu dicken Klang befürchtet, wurde aber angenehm überrascht. Die Streicher hielten sich zurück und erschafften teilweise ätherische Klänge. Einzig im Finalsatz wurde der orchestrale Gesamtklang nicht erreicht. Das Trio von Anton Arenski, gespielt von Liana Isakadze, Violine, Mischa Maisky, Cello, und Behzod Abduraimov, Klavier, erklang in seiner ganzen späromantischen Klangfülle. Hier konnten die Musiker aus der russischen Musikkultur aus dem Vollen schöpfen und das gut gebaute und üppige Werk zur Geltung bringen.
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Fremdes und Naturhaftes in einem Spannungsfeld
Ein für das Verbier Festival sehr ungewöhnliches Programm fand einerseits weniger Zuhörer, aber destotrotz grosse Zustimmung vor allem des jüngeren Publikums, das sich aus den Teilnehmern der Academy rekrutiert. Michael Tilson Thomas dirigierte eingangs die sehr sublimen „Seasons“ von John Cage, ein relativ frühes und unmittelbar zugängliches Werk. Tilson Thomas ist ein Kenner dieser Musik und konnte dies dem Festival Chamber Orchestra übermitteln und so entstand eine sozusagen perfekte, wunderschön abgestimmte Aufführung mit ausgezeichneten Soli der Holzbläser, der Perkussion, des Klaviers, der Celesta und der Harfe.
An zweiter Stelle im Programm stand das Violinkonzert
von György Ligeti mit Christian Tetzlaff als Solist. Auch hier fand
vom
Orchester und vom Solisten unter der kundigen Führung des Dirigenten eine
denkbar adäquate Aufführung des fünfsätzigen Werks statt. Christian Tetzlaff
bewältigte die sehr besonderen Schwierigkeiten des Soloparts mit Bravour und die
Musiker des Orchesters waren auch den Eigenarten dieses Stils von Ligeti sehr
gewachsen und partizipierten mit sichtlicher Begeisterung an den sehr
ungewohnten Klängen. Ligeti arbeitet hier mit Mikrointervallen, teils mit
Naturtönen und mit Überlagerung von Rhythmen. Ausser den avantgardistischen
Elementen greift er auf volkstümliche Melodik und Rhythmik zurück und komponiert
das Ganze zu teils sehr komplexen und auf Anhieb schwer durchhörbaren Komplexen,
hinwiederum aber auch zu sehr einfachen und eingänglichen Gebilden. Bei den
Freunden dieser Musik löste die gekonnte Aufführung stürmische Zustimmung aus,
für einen Grossteil des Publkums war die Musik zu fremd und unverständlich.
Sie wurden hoffentlich versöhnt durch eine mustergültige Aufführung der sechsten
Sinfonie „Pastorale“ von
Beethoven.
Durch die kleine Orchesterbesetzung ergab sich eine ideale Transparenz des
Klangs. Michael Tilson Thomas wählte relativ moderate Tempi, pflegte jedoch alle
Details der Motivik und dadurch hob er geradezu das „Ländliche“ der Thematik im
ersten Satz hervor. In den ersten zwei Sätzen konnten wiederum neben den
Streichern die Holzbläser und die Hörner glänzen und die beiden nachfolgenden
Sätze, das ebenso ländliche Scherzo wie das folgende Gewitter hatten Energie und
Schwung, während das Finale in sehr schön abgestimmten Klängen schloss. Eine
vorbildliche Beethoven-Interpretation, die einerseits den lieblichen und
naturnahen Beethoven ins Licht setzte und andererseits undoktrinär den neueren
Erkenntnissen der Aufführungspraxis entsprach. Viel sehr verdienter Beifall auch
hier.
Bilder: Christian Tetzlaff in Ligeti; Michael Tilson Thomas in Beethoven (Fotos Aline Paley)
Eindrucksvolles Orchester unter Paavo Järvi
Das
Konzert mit Paavo Järvi am Pult des Verbier Festival Orchestra zeigte, dass auch
sehr gute Musiker noch kein Ensemble machen. Das vielseitige Programm mit
Debussys „Iberia“, Brahms' Doppelkonzert für Violine und Violoncello und der 5.
Sinfonie von Prokofieff hatte so seine Stärken und Schwächen. Am besten gelang
die Sinfonie von Prokofieff und man hatte den Eindruck, dass der Hauptteil der
Probenzeit auf dieses für das Orchester schwierige Werk verwendet worden war.
Das Orchester des Verbier Festivals, das darf man nie vergessen, besteht aus
über hundert jungen Musikern, die zum ersten Mal mit den gespielten Werken
konfrontiert
werden, und rund ein Drittel des Orchesters wechselt jedes Jahr. So gesehen, war
die Wiedergabe dieser Sinfonie, die mit Schwierigkeiten jeder Art gespickt ist,
eine sehr respektable Leistung. Der unbedingte Einsatz jedes Registers war
unmittelbar und physisch spürbar. Die einzelnen jungen Musiker sind alles Könner
ihres Fachs und geben alles. In zwei Wochen haben sie fünf äusserst schwierige
Programme zu bewältigen und grosse Abstriche an der Qualität müssen die Zuhörer
keinesfalls hinnehmen. Aber bei „Iberia“ von Debussy fehlte der typisch
französische und typisch „debussy'sche“ Klang. Es wurde sauber und auch exakt
gespielt aber nicht mehr. Höchstens im zweiten Satz spürte man einen Hauch von
impressionistischem Flair und vom Parfum dieser Musik.
Das Doppelkonzert von Brahms war mit den Solisten Leonidas Kavakos und Alexander Buzlov sehr gut besetzt, hier gab es gelegentlich kleine Mängel im Zusammenspiel innerhalb der Streicher, und generell waren die Streicher zu gross besetzt und der Klang deshalb zu massiv.
Die Sinfonie von Prokofieff war auch nicht ganz perfekt aber sehr eindrucksvoll und man hörte die gründliche Probenarbeit am Resultat. Hier brillierten besonders die Bläser und speziell das Blech mitsamt den Hörnern und das reich besetzte Schlagzeug konnte sich ganz besonders ins Rampenlicht stellen.
Lise de la Salle, eine musikalische Gestalterin
Am
Dienstag vormittag war die französische Pianistin Lise de la Salle in der leider
relativ spärlich besetzten Kirche zu hören. Diese Pianistin verfügt über die
gleiche Virtuosität wie ihre Kolleginnen Yuja Wang und Lisa Buniatishvili,
übertrifft sie aber meiner Meinung nach um Längen an Einfühlsamkeit und an der
Fähigkeit zu
klanglicher
Gestaltung. Sie begann mit der Busoni-Fassung der Chaconne für Violine solo von
Bach, die bereits erhebliche pianistische Anforderungen stellt. Sie ist eine
freie Umgestaltung der Vorlage von Bach, im Gegensatz zu der Bearbeitung von
Brahms, die sich viel stärker an die originale Vorlage hält. Den Abschluss
bildeten die Variationen über ein Thema von Händel von Johannes Brahms, auch die
eine beträchtliche Herausforderung. Einzelne Tempi waren hier vielleicht
überspitzt und in einzelnen Variationen konnte man über die Auffassung geteilter
Meinung sein, aber es war doch eine hervorragende Leistung. Ohne Einschränkungen
konnte man die Wiedergabe von sechs Préludes aus dem ersten Heft von Debussy und
den Zyklus „Gaspard de la nuit“ von Maurice Ravel gutheissen. Vor allem der
„Gaspard“ beeindruckte weil Lise de la Salle nicht die Brillanz – etwa im
„Scarbo“ - in den Vordergrund stelle, sondern bei aller technischen
Überlegenheit Zeit fand, das Gespenstische und die Fantastik der Musik
darzustellen. Es war ein eindrückliches Rezital, das die Pianistin mit einer
„Etude tableau“ von Rachmaninoff und mit der Liszt-Fassung des „Ständchen“ von
Schubert als Zugaben beschloss.
Eine bejubelte Enttäuschung
Eigentlich war man gespannt und doch nicht gespannt
auf das Konzert für Klavier und Orchester des jungen Starpianisten Daniil
Trifonov. Einige Male hatte er das Publikum schon mit Zugaben aus eigener
Produktion überrascht. Da wusste man bereits, dass das meist ein Verschnitt aus
Strawinsky, Rachmaninoff, Prokofieff und Schostakovitch war, einfach Elemente
aus der russischen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts neu gemischt. Somit
ahnte man was als erste grosse Komposition etwa zu erwarten war. Und so war es
denn auch. Es begann zwar verheissungsvoll mit dunklen Klängen der
Bassklarinette und des Fagotts und zumindest die Klangfarben schienen noch
originell. Aber spätestens nach dem Einsatz des Solo-Klaviers war
klar,
wer hauptsächlich Pate des Konglomerats sein würde: Übervater Rachmaninoff. Es
hörte sich über weite Strecken wie ein fünftes Klavierkonzert von Rachmaninoff
an, nur wurde nichts Neues ausgesagt, was nicht bereits in den vier Konzerten
des russischen Nachromantikers ausgedrückt worden wäre. Einzig die Thematik war
leider banaler und erreichte nicht die melancholische Vornehmheit des Vorbildes,
sondern näherte sich der trivialen Melodik süffiger Filmmusik aus dem Hollywood
der dreissiger Jahre. Im letzten Satz überbot sich der junge Komponist an
angehäufter Bombastik, so dass es für den Musikkenner, der nichts Neues, aber
immerhin etwas einigermassen Originales erwartet hatte schon fast peinlich
wurde. Auch in Sachen Klaviertechnik brachte Trifonov die Formen und Floskeln
wie sie bereits bei Rachmaninoff und Prokofieff zu finden sind, einfach zuweilen
noch angehäuft mit Schwierigkeiten. Fazit: Daniil Trifonov hat sich ein Vehikel
geschaffen, womit er seine pianistische Virtuosität
vorführen und demonstrieren kann aber keinen Beitrag zur Geschichte des
Instrumentalkonzertes geleistet. Die Ausführung durch Solist und Orchester war
natürlich blendend und der Applaus des grossmehrheitlichen Publikums gewaltig.
Vor der Erstaufführung gab Gabor Takács-Nagy mit dem Verbier Festival Chamber Orchester eine auch nicht sehr aussagekräftige Hamlet-Suite von Dimitri Schostakovitch und zum Schluss eine sehr pointierte und akkurate zweite Sinfonie – die „Klein-Russische“ - von Peter Tschaikowsky womit der Abend einigermassen gerettet war.
Bild: Daniil Trifonov Foto Nicolas Brodard
Musikalische Weihestunden
Das Verbier
Festival bot am Wochenende zwei erwähnenswerte Konzerte in der Kirche von
Verbier. Der Pianist Sergej Babayan – Lehrer von Daniil Trifonov – spielte die
24 Präludien und
Fugen
des Wohltemperierten Klaviers“ von Johann Sebastian Bach Er hatte sich vor zwei
Jahren mit den „Goldberg“-Variationen als undoktrinärer und interessanter
Bach-Interpret ausgewiesen. In fast völliger Dunkelheit nur mit einem kleinen
Leselicht liess er die reiche und vielgestaltige Welt von Bachs Kunst des
Präludiums und der Fuge vorüberziehen. Als Zuhörer und Kenner genoss man die
klare Darstellung der Vielfalt und schierer Unerschöpflichkeit dieser Werke.
Manche Tempi waren rascher als gewohnt, aber immer mit Bedacht gewählt. Babayan
wählte fast immer ein Non-Legato mit einem lockeren Anschlag, was vielleicht
etwas altmodisch wirkte aber man schätzte die kluge Artikulation und die
übersichtliche und muikalisch logische Darstellung der Fugen. Und wichtig: es
waren nicht bloss formal-technische Demonstrationen sondern wirkliche
lebendigeMusik. Es waren zwei Weihestunden ohne allzu grosse Ehrfurcht aber mit
viel Respekt vor den Werken und der Interpretation.
Am
Sonntag vormittag stand der Violinist Christian Tetzlaff allein auf dem Podium
in der Kirche un d spielte drei Solo-Sonaten von Eugène Ysaÿe, Johann Sebastian
Bach und Belá Bartók. Bei der ersten Sonate Vorbild Bach orientiert, schätzte
man die zugriffige und intensive Art des Spiels, in der Sonate in C-Dur war die
lineare Gestaltung auch in den Doppelgriffen und den Akkorden auffallend, was
vor allem der ausgedehnten Fuge zum Vorteil gereichte. In der Sonate von Bartók
konnte er alle dynamischen und klanglichen Feinheiten ausreizen, nebst
Bewältigung der technischen Schwierikeiten im Doppelgriffspiel und den Terz- und
Sextgängen. Es war alles in allem eine sehr überlegene Gestaltung und ein sehr
eindrückliches Rezital.
Verbier Festival: Spannendes und allzu Schönes
Das Verbier Festival dauert
jetzt schon eine Woche. Es gab Highlights und einige weniger interessante
Ereignisse. Zu den Highlights zählen die Retitals von Daniil Trifonof, Grigory
Sokolov, Marc-André Hamelin und für mich auch der Auftritt des
jungen Daniel Lozakovitch und das Debüt-Rezital des Geigers Benjamin Beilmann. In positiver
Erinnerung bleibt das Mozart-Konzert unter Gabor Takács-Nagy mit der Messe in
c-moll. Weniger
beeindruckend war das Rezital von Yuja Wang. Sie
beeindruckt zwar das
Publikum
mit ihrer unwahrscheinlichen Technik, aber sowohl diie "Kreisleriana" von Robert
Schumann, wie der "Scarbo" von Maurice Ravel und vor allem die
"Hammerklavier"-Sonate op. 106 von Beethoven wurden gewogen und zu leicht
befunden. Es fehlte das Tiefgründige bei Beethoven und das Hinergründige bei
Schumann und Ravel. Ein Liederabend mit dem Bariton Christian Gerhaher mit
zwanzig Liedern von Franz Schubert war auch schön aber letztlich zu gediegen um
auf Dauer zu fesseln.
Yuja Wang Foto
Nicolas Brodard
Etliche Konzerte, darunter Klavierkonzerte mit András Schiff und die Opern "Carmen" und "Falstaff" musste ich auslassen. Dafür kam ich in den Genuss des Quartett-Abends mit dem Quatuor Ebène in Quartetten von Haydn, Debussy und Beethoven. Das war hoch interessant und spannend, wiewohl man mit den Extremen, die das Quartett heute anstrebt, zwischen fast unhörbaren Pianissimi und abrupten wie brutalen und ruppigen Fortissimo- Ausbrüchen, vielleicht etwas Mühe hat. Es gab auch im mittleren Bereich schöne und interessant abgetönte Klänge und und langweilig wird es mit den vier Franzosen jedenfalls nie.
Quatuor Ebène (Foto AlinePaley)
Gegensätzliche Violinisten
Ausser dem jungen Benjamin Beilmann, der einen ausserordentlich guten Eindruck hinterliess, waren in den ersten Tagen zwei weiter Geiger zu hören, die aber gegensätzlicher nicht sein könnten. In der Kirche von Verbier Village spielte der Ungar Kristóf Baráti am Dienstag vormittag die drei Sonaten für Violine solo und am nachmittag die drei Partiten von Johann Sebastian Bach. Unfehlbare Technik, die speziell bei den drei Fugen in den Sonaten positiv zur Geltung kam, da war die Stimmführung klar zu verfolgen. In den übrigen Sätzen überwog das geigerisch virtuose (auf hohem Niveau) über das Verständnis des Notentextes. Die meisten Tempi besonders der Schlusssätze aber auch etwa des Prélude in der E-Dur Partita waren viel zu rasch. Aber auf das Publikum machte das Eindruck. Und gut, alle Sonaten und Partiten zu hören war es allemal.
Am nächsten Vormittag trat in der
Kirche von Verbier der 15jährige Daniel Lozakovitj in seinem ersten
Verbier-Rezital auf. In Verbier war er bislang meist in Virtuosenstücken
aufgetreten, anderswo, etwa in
Saanen
spielte er auch schon höchst eindrücklich das Violinkonzert Beethoven und
zusammen mit Renaud Capuçon die Violinkonzerte von Bach. Nun eröffnete er sein
Rezital gleich mit der Partita in d-moll von Johann Sebastian Bach. Und das war
eine andere Welt als am Vortag. Der sehr junge Geiger hat ein sehr grosses
Verständnis für die Musik von Bach, was heisst, er spielt mit einer absolut
beherrschten Technik aber dazu braucht er noch den Verstand. Das ist schon im
Wettstreit mit Renaud Capuçon in aufgefallen, wie Daniel Lozakovitj Sinn für
Agogik und richtige Artikulation hat und die immanente Mehrstimmigkeit der
einstimmigen Linien in der Partita sehr sinnvoll gestalten kann. Dazu hat er von
seinem Instrument her einen nicht zu grossen Ton, setzt das Vibrato sparsam ein,
alles in allem hat er gegenüber dem Virtuosen vom Vortag nach Punkten gewonnen
und dem Kenner enorm viel Freude gemacht. Das Rezital ging weiter mit einer
ebenso erfreulichen Sonate in G-Dur KV 301 von Mozart und der dritten Sonate in
d-moll von Johannes Brahms, welcher der Geiger gegnüber den Klangmassen des
Klaviers meist den Kürzeren zog.
Bild Daniel Lozakovitj; Foto Nicolas Brodard
Ein Gigant am Klavier
Es ist wohl altmodisch von
Giganten am Klavier zu sprechen. Aber irgendwie altmodisch ist auch das
Auftreten von Grigory Sokolov in seinem zu weiten und zu langen Frack und dazu
passt auch wie er mit seinen Pranken auf die Tasten haut, so dass in der ersten
Reihe wohl die zulässige Dezibelzahl überschritten wird. Aber sein Spiel hat
auch einen ganz eigenen Charakter wie man ihn bei all den zwar guten aber
vielleicht weniger persönlichkeitsbetonten Pianisten findet.
Man
kann mit den Interpretationen Sokolovs einverstanden sein oder nicht, aber
gleichgültig lassen sie einen nicht. Das war auch in der Kirche von Verbier so.
Er begann harmlos mit einer Arabeske op.18 von Robert Schumann sozusagen als
geistige Vorbereitung auf die unmittelbar anschliessende Fantasie in C-Dur op.
17. Nach der eher spielerischen Arabeske begann er die Fantasie stürmisch,
wechselte bald in poetischere Töne und türmte daraufhin die Akkorde übereinander
und schuf so ein vielgestaltiges Bild des ersten Satzes. Der zweite Satz war
ebenfalls sehr kraftvoll und markant, ein kräftiger Krieger, der ausholt ganze
Länder zu erobern und nicht ein feiner Ritter, der auf seinem Rösschen auszieht,
eine eine holde Maid zu bezirzen, um in Bildern zu sprechen. Rein
musikalisch betrachtet war es eine eigenwillige aber letztlich schlüssige
Version.
Ähnlich erging es der Sonate Nr. 2 in b-moll von Frédéric Chopin die wiederum von zwei Nocturnes vorbereitet wurde. Es war eine sehr emotionelle Interpretation, welche den Nerv traf und unter die Haut ging. Zwar auch wiederum mit sehr kraftvollen Tönen aber auch poesiereichen Zwischentönen, wobei Sokolov eine Stringenz entwickelte, die - etwa im Trauermarsch und im Finale - zwingend wirkte und sehr eindrücklich war. Es gehört zu den Gepflogenheiten Sokolovs mehrere Zugaben zu spielen und so kamen die tobenden und kreischenden Zuhörerinnen nach dem regulären Programm in den Genuss von fünf der sechs "Moments musicaux" von Schubert, eines wurde durch eine Mazurka von Chopin ersetzt. Doch, es war ein grosser Abend.
Bild: Grigory Sokolov Foto: Nicolas Brodard
Interessante Vergleiche unter Pianisten
Am Montag konnte man die Pianisten
Marc-André Hamelin und Roland Pöntinen in zwei Rezitals hören. Im
Vergleich zum Vorabend gab es da wiederum neue Aspekte. Marc-André
Hamelin gilt als vielseitig und auch dem Unbekannten zugewandt, er
ist nicht das erste Mal in Verbier. Er spielte am Vormittag die vier
Impromptus D 935 von Franz Schubert und die Sonate in h-moll von
Franz Liszt. Er ist in einem Alter in dem er es nicht mehr nötig
hat, seine Virtuosität zu beweisen. Sein Schubert - auf
einem Bösendorfer-Flügel gespielt - kam eigentlich schnörkellos
daher, ohne klangliche Mätzchen, aber durchaus den Werken
entsprechend. Bei der Sonate von Liszt wurde das Gesagte noch
deutlicher: das Werk bekam alles, doppelte Oktaven und Klangfülle,
Versenkung und Melodieseligkeit im langsamen Teil, eine fulminante
Fuge und eine kraftvolles Finale bis zu den verklingenden letzten
Tönen im Pianissimo. Aber alles wirkte notwendig und richtig, es war
auch eine spannungsvolle Interpretation eines Meisters.
Ähnliches gilt für den Schweden Roland
Pöntinen, er ist sehr vielseitig und auch der neuen Musik zugewandt,
verfügt über eine absolut sichere Technik und kann auch poetische
Töne anschlagen, etwa in der Polonaise-Fantaisie op.61 von Frédéric
Chopin oder in den zwei Stücken aus den Années de pélérinage von
Franz Liszt. Die Etüden von Claude Debussy packt er auch eher
unzimperlich an aber doch mit viel Sinn für den Klang, und in El
Albaicin aus "Iberia" von Isaac Albeniz bringt er das spanische
Kolorit genau auf den Punkt. Auch das war eine interessante
Begegnung.
Am Abend gab es noch eine schöne
Aufführung von "Die schöne Magelone" von Johannes Brahms mit dem
Bariton Matthias Goerne, der höchst erfreulich sich einfühlenden
Yuja Wang am Klavier und der Sprecherin Caroline De Bon. Im grossen
Saal lief derweil eine konzertante Aufführung von "Carmen" von
Georges Bizet in einer hervorragenden Besetzung.
Daniil Trifonov, ein junger Meister
Daniil Trifonov
zeigte sich an seinem Rezital in Verbier als junger Pianist der
Sonderklasse. Man staunte vor vier Jahren über seine musikalische
Reife. Nun erweitert er Stück sein Repertoire und erobert sich auch
Werke, in denen man nicht mit brillanter Technik imponieren kann. So
in der Salle des Combins mit der Sonate G-Dur D 894. Er leitete das
Konzert mit der Bearbeitung von Brahms der Chaconne für Violine solo
von Bach ein. Das war solide,
durchaus romantisch, so wie sich Brahms die Musik von Bach
vorgestellt haben mag. Der Klavierklang mindestens zu Beginn etwas
metallisch, was gefangen nahm war, dass Trifonov die Spannung über
die ganze Variationenkette durchhalten konnte. Nun folgte Schubert
und der Flügel klang sehr merklich anders. Da war ein durchaus
Schubert'scher Ton und Trifonov stellte sich ganz auf den lyrischen
Charakter dieses Werks ein. Der erste Satz ist auch ohne
Wiederholung der Exposition fast unendlich lang doch Trifonov liess
sich auch in der Durchführung zu keinen Temposteigerungen verleiten
und hielt ein eh schon sehr ruhiges Tempo fast stoisch durch wobei
man seiner Interprtation gerne folgte. Auch die beiden mittleren
Sätze sind vorwiegend liedhaft und lieblich. Im Finale liess der
Pianist dann dem heiter tänzerischen Charakter des Satzes freien
Lauf. Insgesamt eine sehr gelungene Deutung, die dem Werk sehr
gerecht wurde.
In
den Paganini-Variationen von Johannes Brahms konnte Trifonov vor
allem ein technisches Feuerwerk entfalten, kein Klavierwerk von
Brahms ist dermassen auf Virtuosität ausgerichtet wie diese
Variationen. Und in der Erfindung pianistischer Figuren wetteifert
Brahms mit dem Geiger Paganini, ab und zu wirde es hals- und
fingerbrecherisch. Kein Zweifel, dass Daniil Trifonov den
Anforderungen tadellos gewachsen war.
Nach der Pause
spielte er – statt der ursprünglich vorgesehenen
„Hammerklavier“-Sonate von Beethoven – die erste Sonate op. 28 in
d-moll von Sergej Rachmaninoff. Das Werk ist musikalisch nicht so
ergiebig wie die zweite Sonate und wird auch seltener aufgeführt.
Viel Passagenwerk und viele Akkordbrechnungen scheinen blosses
Füllwerk und die Harmonik ist nicht immer gleichermassen
interessant. Doch Trifonov ist vielleicht der Pianist, welcher der
oft etwas leer scheinenden Hülse Leben einhauchen kann, er hat die
Technik und die physischen Kräfte und wohl auch das psychische
Vermögen, die Steigerungen bis zur Ekstase durchzuhalten. So wurde
die Aufführung doch zu Recht vom Publikum begeistert applaudiert.
Als Zugabe gab es ein Stück des Pianisten – etwas unverbindliche
Musik, ich bin von den kompositorischen Fähigkeiten Trifonovs noch
nicht überzeugt und erwarte auch nichts Umwerfendes von seinem
Klavierkonzert, das er in ein paar Tagen hier spielen wird.
Authentischer Mozart
Authentisch nicht im Sinne der
historischen Aufführungspraxis, aber in ihrem Geist. Gabor Takacs-Nagy und das
Verbier Festival Chamber Orchestra boten am 2. Festivaltag in der Salle des
Combins die erste und die letzte Sinfonie von Mozart in einer so
lebendigen,
nüancenreichen und differenzierten Art, dass man seine helle Freude haben
konnte. Sogar Temposchwankungen und verlängerte Pausen lagen im Sinne einer
"sprechenden" Wiedergabe und einer sinnvollen Agogik drin. Gabor Takacs-Nagy
bekräftigte musikalisch was er vorher in einem Gespräch gesagt hatte: "Mozart
kann man nur von der Oper her verstehen". Auch der Gegensatz zwischen
akzentuierten und singenden Phrasen - oftmals von einem Takt zum andern
wechselnd - wurde sehr schön beinahe zelebriert. Es war nicht bloss ein grosses
Vergnügen, sondern auch ungemein spannend. Sehr gut auch wie der Dirigent im
langsamen Satz der Jupiter-Sinfonie trotz einem Andante die melodische Linie zur
Geltung brachte und erfreulich, wie in allem auch beim dichten Forte im Finale
der Orchesterklang transparent blieb.
Die anschliessende Grosse Messe in c-moll knüpfte an die Instrumentalwerke an. Das Orchester auch hier hervorragend disponiert, ein grosser Chor "Mastervoices", der in den schnellen Tempi gut mithielt und sowohl die leisesten Töne wie auch die kraftvollen Stellen stimmlich gut meisterte, bloss in den komplexeren und fugierten Teilen etwas undurchsichtig wirkte. Dazu hervorragende Solisten insbesondere bei derSopranistin Emöke Baráth und der Mezzosopranistin Ann Hallenberger, die einzeln und im Duett unforciert Glanzleistungen erbrachten, wie auch beim Tenor Bernard Richter und dem etwas spärlich behandelten Stephan Genz. Ein in sich geschlossener Mozart-Abend von sehr hoher Qualität.
Musikalisches Erlebnis im Vordergrund
Am andern Vormittag stand mit dem Violin-Rezital des
jungen Amerikaners Benjamin Beilmann und dem Pianisten Alessio Bax das
musikalische Erlebnis im Vordergrund. In Beethovens zweiter Violinsonate war das
kammermusikalische Zusammenspiel der Beiden wunderschön zu hören, in der Sonate
von Maurice Ravel bekam man den doppelten Boden
vor
allem im Blues und im abschliessenden Perpetuum mobile eindrücklich vorgeführt
und die Fantasie in C-Dur von Franz Schubert entfaltete ihren ganzen Zauber,
wobei auch hier in den durchaus sehr virtuosen Violinpassagen das
Zurschaustellen technischen Könnens nie im Vordergrund stand. Benjamin Beilmann
lernte man als sehr ernst zu nehmenden Künstler kennen, bei dem anscheinend
nicht seine Person, sondern das Vermitteln von Musik auf höchstem
interpretatorischem Niveau das zentrale Anliegen ist. Beide Künstler wurden zu
Recht mit frenetischem Jubel bedacht. Wobei ein kleines Missgeschick beim
Programmdruck zu Verwirrung führte: Beethovens Sonate bekam die drei Sätze der
Ravel-Sonate zugedacht und Ravel wurde vergessen, so dass die uniformierten
Leute schon nach dem Beethoven in die Pause gingen und beim Ravel dafür etwas
ratlos waren.
Eröffnung mit Glanz und orchestraler Virtuosität
Das
Verbier Festival wurde mit einem Konzert des Festival-Orchesters unter der
Leitung seines Chefs Charles Dutoit eröffnet.Das hat Tradition. Solistin war die
Koranerin Kyung Wha Chung im Violinkonzert D-Dur von Johannes Brahms. Es war
kein aufregender Brahms. Die Solistin solide mit einigen schönen Momenten aber
doch in bewährtem Rahmen,
der
Mittelteil des langsamen Satzes zum Beispiel zu schön und zu lieblich und ohne
Leidenschaft. Als Begleiter präsentierte sich Dutoit als alter Routinier, dabei
gab sich das Orchester alle Mühe und bot unter anderem schöne Oboensoli im
zweiten Satz. Die Symphonie fantastique Charles Dutoit die Glegenheit sich als
Showmaster zu präsentieren. Er spornte das Orchester dabei zu Höchstleitungen
an, die Präzision und die Virtuosität etwa des Blechs und der Perkussionsten war
bewundernswert. Aber man vermisst das Sentiment, die Emphase die es bei Berlioz
halt auch braucht.
Charles Dutoit, Foto Nicolas Brodard
Medienkonferenz, Vorschau auf das Programm 2016
Ein Fest der Musik in den Walliser Alpen
Das Verbier Festival stellte in Lausanne sein Programm für Sommer 2016 vor. Festivaldirektor und Gründer Martin T.Engström griff vorab auf die Gründerzeit vor 23 Jahren zurück und zeigte ein paar nostalgische Fotos mit den Stammgäste Evgeny Kissin, Martha Argerich, James Levine in den frühen Jahren des Festivals. Manche von ihnen sind dem Festival treu geblieben bis heute. Evgeny Kissin und Martha Argerich sind letztes Jahr ausgeblieben und fehlen auch dieses Jahr, doch für 2017 haben sie versprochen, wieder zu kommen. Es sind auch Künstler, die nicht bloss für ein Konzert in die Walliser Berge reisen, sondern wie Kissin oder der Cellist Mischa Maisky jeweils für die ganzen zwei Wochen , die das Festival dauert, bleiben.
Konzerte mit grossen Dirigenten
Auch diesen Sommer gibt es fast nur Höhepunkte.
Den Auftakt macht Charles Dutoit mit dem Festival-Orchester
und der Geigerin Kyung Wha Chung im Violinkonzert von Brahms und mit der
„Symphonie fantastique“ von Berlioz. Charles Dutoit wird auch eine halbszenische
Aufführung von „Carmen“ mit Kate Aldrich in der Titelrolle leiten. Eine weitere
Opernaufführung ist Verdis „Falstaff“ mit Jesús López-Cobos am Pult und Bryn
Terfel in der Hauptrolle. Iván Fischer wird einen Wagner-Abend leiten mit der
Sopranistin Anja Kampe in Isoldes Liebestod. Michael Tilson Thomas kommt nach
mehreren Jahren Abwesenheit erneut nach Verbier und dirigiert die dritte
Sinfonie von Gustav Mahler, aber auch ein interessantes Programm mit John Cage,
dem Violinkonzert von György Ligeti, gespielt von Christian Tetzlaff, und der sechsten Sinfonie von Beethoven.
Gábor Takács-Nagy wird mit dem Verbier Chamber Orchestra unter anderem ein
Mozart-
Programm
mit der Grossen Messe in c-moll aufführen. Und Daniel Harding übernimmt im
dritten Jahr die künstlerische Leitung des Verbier Festival Junior Orchestra und
dirigiert unter anderem mit dem Bariton Stephan Genz die Rückert-Lieder von
Mahler. Paavo Järvi dirigiert Debussy, das Doppelkonzert von Brahms mit Leonidas
Kavakos, Violine, und Alexander Buzlov, Cello. sowie die 5. Sinfonie von
Prokofieff. Emmanuel Krivine begegnet man in
einem französischen Programm mit den Solisten Joshua Bell, Violine, und George
Li, Klavier. András Schiff spielt und dirigiert das d-moll Klavierkonzert von
Bach und das fünfte Klavierkonzert von Beethoven. Marc Minkowski schliesslich
wird sich mit dem Verbier Chamber Orchestra in einem spanischen Programm
profilieren. Solist ist der Gitarrist Milos Karadaglic im Concerto d'Aranjuez
von Rodrigo.
Nachwuchspflege
Talentförderung
Eine Reihe junger Solisten tritt erstmals in
Verbier auf oder wiederholt den Ersterfolg vom Vorjahr. Der
Pianist
Behzod Abduraimov gehört dazu, auch der Geiger Benjamin Beilman, die Pianisten
Lukas Geniušas und George Li und der 15-jährige „Wundergeiger“ Daniel
Lozakovitj. Von den alten Stars wird man dem Pianisten Grigory Sokolov erneut
begegnen, auch Marc-André Hamelin, Sergei Babayan und Roland Pörtinen, der
Bariton Matthias Görne, die Geiger Christian Tetzlaff und Joshua Bell, die Cellisten Mischa
Maisky und Nicolas Altstaedt, Gautier Capuçon und weitere, die nicht unbedingt
solistisch, aber in verschiedensten Kammermusik-Besetzungen teilnehmen. Wiederum
ein äusserst reichhaltiges und dicht gedrängtes Programm, das die Auswahl oft
sehr schwer macht. Vor allem wenn man noch die jungen Teilnehmer der Academy in
den Disziplinen Klavier, Violine, Viola, Cello, Kammermusik und Gesang verfolgen
und die vielleicht herausragendsten Talente ermitteln möchte.
Das Festival dauert vom 22. Juli bis 7. August.
Alles Wissenswerte auch auf www.verbierfestival.com
Musikalische Ereignisse und das Werden von „Stars“
Künstlerisch und menschlich bereichernd
Zwei grosse Pianisten im Vergleich
Alltag auf höchstem Niveau
Es gibt nicht alle Tage ein aussergewöhnliches Ereignis, Zwischendurch herrscht sozusagen Alltag auch an einem hochkarätigen Festival. Immerhin war das Konzert mit dem Festivalorchester und Manfred Honeck am Pult ein hochstehender Genuss. Das Orchester zeigte sich prächtig auf der Höhe der Aufgaben in der Rosenkavalier-Suite von Richard Strauss und der achten Sinfonie in G-Dur von Antonin Dvořak. Dazu lernte man im 3. Klavierkonzert von Sergei Prokofieff den jungen Pianisten aus Usbekistan Behzod Abduraimov von der besten Seite kennen. Ein Name, den man zweifellos im Auge behalten muss.
Kluger Gestalter
Sehr gut gefallen hat dem Publikum auch das
Rezital mit dem Cellisten Truls Mørk und Jan Lisiecki am Klavier. Der Cellist
bekräftigte seinen guten Ruf in Werken von Beethoven, Schumann und Chopin. Der
junge Pianist erwies sich als kluger Begleiter und setzte damit einen Markstein
in seiner musikalischen Reife. Mit der Auswahl seiner Programme und jetzt als
Partner in einer Beethoven-Sonate und den Fantasiestücken op.73 von Schumann und
der Cellosonate von Chopin wirkt er nicht nur als junger Virtuose, sondern immer
mehr als kluger und sensibler Gestalter. Auch ihn muss man im Auge behalten.
Beeindruckendes Quartett
Statt des Artemis-Quartetts spielte am selben Abend das Schumann-Quartett, drei Mitglieder der Familie Schumann und eine Bratschistin, alle von Format. Das erste Quartett aus dem Opus 18 von Beethoven überzeugte durch forschen Zugriff, aber auch Leichtigkeit und Klarheit. Das 2. Streichquartett von Charles Yves war eine Wucht, auch für ungewohnte Hörer äusserst beeindruckend. Schliesslich das Quartett in F-Dur op. 96 von Dvořak klanglich und in der sehr gefühlten Interpretation ein herrlicher Genuss. Noch mal ein junges Quartett, dessen Entwicklung man unbedingt verfolgen muss.
Frühe Reife
Das Konzert mit dem Klarinettisten Martin Fröst und jungen Musikern, darunter das Ador-Quartett, das an der Academy teilnimmt und das vielversprechend klingt, und dem 14-jährigen Geiger Daniel Lozakovitij war vom Programm her reine Unterhaltung, von der Ausführung her auf höchstem Niveau. Tänze und Folklore, Klezmer und Tango begeisterten das Publikum in der vollen Kirche und Daniel Lozakovitj lieferte mit „Tzigane“ von Maurice Ravel wiederum einen erstaunlichen Beweis seiner frühen Reife.
Ganz anders der heutige Abend, an dem die „Auferstehungs“-Sinfonie von Gustav Mahler aufgeführt wird, da geht es dann wieder in die Höhen und Tiefen der meisterlichen Musik.
Musikalische Ereignisse und das Werden von „Stars“
Das Verbier-Festival läuft seit anderthalb Wochen auf vollen Touren mit etlichen Höhepunkten bei den Konzerten, einem Music Camp für Jugendliche, das am Wochenende zu Ende ging, und einer Academy, die sich rühmt, regelmässig kommende Stars hervorzubringen.
Bei den Konzerten war
neben bemerkenswerten Klavierrezitals mit den Pianisten András Schiff, Grigori
Sokolov und Daniil Trifonov eine Aufführung der Matthäus-Passion von Johann
Sebastian Bach das besondere Erlebnis. Thomas Quasthoff, der berühmte Bariton,
der seit einigen Jahren das Singen aufgegeben hat, gab mit dieser Aufführung
sein Dirigierdébut. Umso mehr ein Ereignis als man weiss, dass Quasthoff als
Contergan-Kind schwer behindert ist und statt Arme bloss kurze Stummel besitzt.
Mit diesen „Flügelchen“ leitete er eine Matthäus-Passion mit hochkarätigen
Solisten, dem RIAS-Kammerchor aus Berlin, einem Kinderchor aus dem Wallis und
dem ausgezeichneten Festival-Kammerorchester, die dank dem hingebungsvollen
Engagement aller Beteiligten und dem spürbaren inneren Mitgehen von Thomas
Quasthoff ausserordentlich ergreifend war.
Preisgekrönte Studenten
Fast jedes grössere Festival wird heute von einer Akademie begleitet, an der erfahrene Musiker ihr Wissen an die aufstrebende Generation weitergeben. Verbier rühmt sich auch dieses Jahr, dass zahlreiche ehemalige und heutige Studierende an bedeutenden Wettbewerben Preise gewonnen haben, so auch die Geigerin Alexandra Conunova am diesjährigen Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau. Etliche ehemalige Studierende haben es zu internationalem Ruhm gebracht.
Die Klassen Klavier, Violine, Bratsche, Cello und Gesang bestehen aus jeweils acht streng ausgesuchten Teilnehmern aus aller Welt. In der Klavierklasse sind zwei Chinesen, zwei US-Amerikaner, eine Deutsche und eine Österreicherin, eine Kanadierin und ein Georgier.
Sie alle beherrschen das Klavier technisch souverän, wie auch die täglichen Konzerte der Studierenden im prallvollen Kino von Verbier demonstrieren. Da spielt etwa der Chinese Niu Niu den Mephisto-Walzer von Franz Liszt in einem atemberaubenden Tempo, aber eben mehr verblüffend als musikalisch eindrucksvoll.
In den Klassen sitzt täglich ein zahlreiches Publikum, das die Vorträge der jungen Künstler gespannt verfolgt und von den Ausführungen der Lehrer auch etwas für das bessere Hören im Konzertsaal zu erhaschen erhofft.
Keine Zirkusschule
Oft wird die Ausbildung der hochbegabten jungen Musiker mit einer Zirkusschule verglichen: Es gilt nicht bloss absolute Höchstleistungen zu erbringen, „man muss auch ein Publikum durch seinen Auftritt überzeugen können und eine Persönlichkeit entwickeln, die einen Musiker zum Star macht“, ist in der täglichen Zeitung des Festivals zu lesen. Ist das alles? Die Lehrer in Verbier wie András Schiff, Ferenc Rados oder im Besondern Adie Vardi in der Klavierklasse, sind bemüht, den technisch bereits heraus-ragenden Teenagern oder jungen Zwanzigern mehr als bloss brillante Technik beizubringen. Vor allem Adie Vardi, Professor in Hannover, versammelt die Schüler um sich und diskutiert mit ihnen Zusammenhänge in welche das gerade gespielte Werk, die „Appassionata“ von Beethoven, die Fantasie C-Dur von Schumann, die Variationen über ein Thema von Händel von Brahms, zu stellen sind. Da versteht man plötzlich, warum Schumann Beethoven zitiert und Anklänge an „Die ferne Geliebte“ einbaut. Oder die einzelnen Variationen bei Brahms werden poetisch umschrieben und man begreift, wieso da plötzlich ein Kanon erscheint. Und prompt spielen die jungen Künstler die Musik anders. Und das Ziel ist es, nicht bloss junge Zirkuspferde für die internationale Musikarena heran zu züchten, sondern Musiker, die imstande sind, dem Zuhörer eine Botschaft zu vermitteln. Denn, wie verantwortungsvolle Künstler betonen, ein Konzert sollte nicht bloss eine Wellness-Oase sein, sondern beim Zuhörer auch etwas bewirken. So wie bei einer ereignishaften Matthäus-Passion: sie wirkt noch lange nach und verändert vielleicht im besten Fall sogar ganz sachte etwas in den Menschen.
Künstlerisch und menschlich bereichernd
Das Ereignis der letzten Tage in Verbier war bestimmt die von Thomas Quasthoff dirigierte Matthäus-Passion von Bach. Quasthoff versammelte erstklassige Sängerinnen und Sänger um sich, den hervorragenden Mark Padmore als Evangelist, dazu Manuel Walser für die Partie des Jesus, die Sopranistin Christiane Karg, Barbara Fink, Mezzo-Sopran, Mauro Peter, Tenor, Christopher Maltmann, Bass-Bariton, den RIAS-Kammerchor, die Schola von Sion und schliesslich auch beste Instrumentalisten und das sehr gut disponierte Festival-Kammerorchester. Alle gaben nicht bloss ihr Bestes, man gewann auch den Eindruck, dass alle mit Hingebung dabei waren um eine sowohl muster-gültige wie auch ergreifende und bewegende Aufführung zu gestalten. Im Mittelpunkt sass Thoas Quasthoff und hielt alles mit seinen kurzen Armen zusammen und hauchte der Aufführung seinen Geist ein. Ein künstlerisch und menschlich bereichernder Abend.
Bestätigung
Am Vormittag
des Tages spielte der junge franzö-sische Cellist Edgar Moreau, von Julien
Quentin gewohnt gekonnt begleitet, ein prächtiges Rezital mit Sonaten von
Johannes Brahms und Francis Poulenc sowie Stücken von Schumann und Chopin. Es
war schön, den hoch gelobten Cellisten live zu hören und all das gehörte Lob
aufs Schönste bestätigt zu finden.
Risiken
Stark applaudiert wurde am Samstag das Rezital der beiden Pianisten – Lehrer und Schüler – Sergei Babayan und Daniil Trifonov in der Salle des Combins. An zwei Flügeln spielten sie in bester Übereinstimmung die zwei Suiten für zwei Klaviere von Sergei Rachmaninov. Trifonov warf sich nach der Pause allein in die zwölf Etüden „d'execution transcendante“ von Franz Liszt. Er geht alle Risiken in seinem Spiel ein und stürzt sich teilweise in zu rasche Tempi und da geht sogar gelegentlich ein Ton daneben. Aber dazu hat er auch eine reiche Anschlagsspalette, hat eine unglaubliche Leichtigkeit des Handgelenks in den „Feux follets“ und in den Doppeloktaven, hat die Fähigkeit zu singender Melodik und überhaupt ein reiches Klangrepertoire, kann sich völlig in die Musik versenken, so dass trotz gewisser Einschränkungen das Musikerlebnis von starker Wirkung ist. Gewiss wird einem auch wieder bewusst, dass schnell aufsteigt, wer publikumswirksam die virtuosen und blendenden Werke spielt, während eher im Hintergrund bleibt, wer das weniger glänzende, dafür tiefsinnigere Repertoire von Schubert, Schumann und Brahms pflegt.
Zwei grosse Pianisten im Vergleich
Zwei Abende Verbier, das hiess zwei Grössen des Klaviers in der jeweils ausverkauften Kirche. Zuerst András Schiff in vier „letzten“ Sonaten, von Joseph Haydn die Nummer 52 in Es-Dur (die der Entstehung nach nicht die allerletzte ist), von Beethoven Nummer 32 op. 111, von Mozart die D-Dur KV 576 und von Schubert schliesslich die B-Dur D 960. Am Abend darauf Grigori Sokolov in einem chrononolisch aufgebauten Programm mit der ersten Partita in B-Dur von Bach, gefolgt von der Sonate D-Dur op.10 Nr. 3 von Beethoven und in der Zeiten Hälfte von Franz Schubertdie a-moll Sonate D 546 und sechs Moments musicaux.
Zur Anekdote: ob bewusst oder nicht, kleine Provokation oder Zufall: András Schiff – zum ersten Mal in Verbier spielte als Zugabe die ganze Partita in B-Dur von Bach. Da ergab sich schon ein erster Vergleich zwischen den beiden Meistern. Der nächste Vergleich drängte sich auf zwischen den beiden Schubert-Interpretationen, zumal András Schiff am Tag nach seinem Konzert in der Masterclass mit einem Studenten sehr ausführlich das Impromptu in As-Dur durcharbeitete. Schiff nimmt Schubert klanglich eher zurück und wählt sozusagen den zeitgenössischen Hammerflügel als Klangreferenz, dafür arbeitet er genauestens an den Feinstrukturen, auch an scheinbar unbedeutenden Begleitfiguren. Bei Grigori Sokolov hat man eher den Eindruck, dass er klanglich ein breiteres Spektrum auslotet und die Rubati wie die Übergänge breiter auskostet. Da versteht man nicht ganz, dass einige Leute das Spiel von Sokolov als intellektuell bezeichnen. Wiewohl: eine genaue Kontrolle über sein Spiel übt auch er aus, am stärksten zu hören in der Sonate von Beethoven aus dem Opus 10, wo er insgesamt das dynamische Spektrum einschränkt, aber doch ab und zu zu heftigen Ausbrüchen neigt. Man empfindet das Spiel von Sokolov trotz aller Kontrolle als sinnlicher als die Interpretationen von Andras Schiff ohne eine Wertung vorzunehmen. Beide Rezitals waren höchst intensiv und für die aufmerksamen Zuhörer ein starkes Erlebnis. Es sind beides Pianisten sozusagen der „alten Schule“ die sich stark mit den gespielten Werken auseinandersetzen und vom Hörer dasselbe erwarten.
Der Student in der Masterclass beruft sich auf Sokolov als sein pianistisches Idol, und so tönte das Impromptu in seinem ersten Vortrag. Andras Schiff gab ihm seine Auffassungen weiter und das Werk klang entsprechend nach anderthalb Stunden anders. Es wäre trotzdem ungerecht, Schiff vorzuwerfen, er dränge dem Schüler seine Auffassung auf. Für den Studenten war es zweifellos eine Bereicherung, und nach einiger Zeit wird der sehr begabte junge Pianist wohl sein ganz eigenes Verständnis für das Werk entwickeln.
Verbier Festival&Academy 2014
Zum Lernen nach Verbier fahren
Verbier ist neben den Konzerten auch eine grosse Werkstatt für den musikalischen Nachwuchs aus der ganzen Welt.
Daniel Andres
Verbier Festival Music Camp Orchestra dirigiert von Daniel Harding
Wie immer eröffnete das Verbier Festival mit einer Starbesetzung. Martha Argerich und das Verbier Festival Orchestra unter Charles Dutoit errangen die Gunst des Publikums mit Tschaikowskys erstem Klavierkonzert, „umrahmt“ von der Rhapsodie espagnole von Ravel und der ersten Sinfonie vor schon vorher hatten sich nen Brahms. Abeben dem über hundertköpfigen Orchester und dem Festival-Kammerorchester die Studierenden der Academy und dazu über fünfzig noch jüngere Teilnehmer am Verbier Festival Music Camp in den Walliser Alpen eingefunden. In Verbier unter der Direktion von Martin T. Engström wird die Förderung des Nachwuchses gross geschrieben. Nach zwei Altmeistern des Klaviers, Martha Argerich und Stephen Kovacevich, traten an den Folgetagen denn auch gleich zwei der jüngsten Jungstars, der Russe Daniil Trifonov und der Kanadier mit polnischen Eltern Jan Lisiecki, in Rezitals auf. Beide in der grossen „Salle des Combins“ mit 1600 Plätzen, was zeigt, dass sich der 23- beziehungsweise 19-Jährige bereits einen Rang geschaffen haben.
Talente entdecken
Manche Academy-Studierende sind bereits älter als die jüngsten Stars, doch auch dort zeichnen sich jedes Jahr ein paar Talente ab, die man gut und gerne in den folgenden Jahren auf internationaler Ebene wieder antreffen kann. Dieses Jahr unterrichten unter anderen Stephen Kovacevich Klavier, Mauricio Fuks, Zakhar Bron und Pamela Frank betreuen die Geiger, Frans Helmerson die Cellisten und Lawrence Power die Bratschisten. Seit Jahren leitet Gabor Takacs-Nagy, einst Primgeiger des berühmten Takacs-Quartetts, die Kammermusikklasse aus der unter anderen auch das heute schon sehr gefragte Quatuor Ebène aus Frankreich hervorgegangen ist. Die Kurse sind öffentlich und haben regelmässige Zuhörer, die oft sehr eng an der Entwicklung der Studierenden teilnehmen. Jeden Nachmittag findet sich ein zahlreiches Publikum im Kino von Verbier ein, um Studenten der Academy in einem einstündigen Konzert zu lauschen und die talentiertesten Jungmusiker zu entdecken.Mehrere Stiftungen und Privatpersonen stiften Preise für die besten Teilnehmer an der Academy. Und nicht zuletzt haben auch einige Absolventen, wie etwa die Pianisten Louis Schwizgebel, Adam Laloum und David Kadouch, auch die Brüder Renaud Capuçon, Violine, und Gautier Capuçon, Violoncello, schon in Biel in Solo-Rezitals oder mit dem Sinfonieorchester gespielt. Grosses für die Jüngsten Neu seit einem Jahr ist das Music Camp, an dem 15- bis 17-jährige Talente aus der ganzen Welt (aber kein Einziger aus der Schweiz) ein Orchester bilden, das in diesem Sommer unter anderem auch den Orchesterpart für eine Aufführung der Oper „L'Elisir d'Amore“ von Donizetti unter der Leitung von Jesus Lopez Cobos übernehmen wird. Auch dieses Opernprojekt ist Teil des Bildungsprogramms von Verbier in einer Zusammenarbeit mit dem „Solti Verbier Opera Project“ (in Erinnerung an den Dirigenten Georg Solti), und für die vier teilnehmenden Gesangssolisten sind die Partien der Donizetti-Oper ausnahmslos Rollendébuts. In der ersten Festivalwoche bestritt das Jugendorchester unter der Leitung von Daniel Harding und mit keinem Geringeren als dem Cellisten Frans Helmerson ein Konzert in der Salle des Combins mit der Fünften von Beethoven als Pièce de Résistance. Es herrschte Begeisterung im Saal ob der durchaus ernst zunehmenden Interpretation durch Daniel Harding und „seinem“ jugendlichen Orchester, das mit Feuer und Flamme und Hingebung, aber auch sehr qualitätvoll spielte. „Alle diese jungen Musiker der drei Orchester und der Academy sind zum Lernen nach Verbier gekommen“, betonte noch einmal Daniel Harding. Rund dreihundert junge angehende oder schon weit gediehene Künstler sind für die „Lernprogramme“ nach Verbier gekommen. Dazu zählen seit fünfzehn Jahren auch das Festival Orchester und das Festival-Kammerorchester. Zwei Klangkörper, die, von namhaften Dirigenten geleitet, weit über das Mass guter Jugendorchester reichen und in den bisherigen Konzerten bereits ihr hohes Niveau bewiesen haben, so das Kammerorchester in einer hervorragenden Wiedergabe von Beethovens „Eroica“ und das grosse Orchester in der vorbildlichen Bewältigung seiner Aufgaben in „Fausts Verdammnis“ von Hector Berlioz. So will Verbier nicht bloss ein Ort für förmliche Kunstanlässe (sie sind in Verbier bedeutend weniger förmlich als anderswo), sondern eine grosse Werkstatt für bereits fertig ausgebildete wie auch für werdende Musiker aller Altersklassen und von weltweiter Herkunft sein.
Verbier Festival&Academy 2013
Die zwanzigste Ausgabe des Verbier Festival setzt selbstverständlich auf die bisherigen Stars, aber ganz
betont auch auf junge Interpreten und den Nachwuchs.
Das grosse Festivalorchester ist aus jungen Musikern zusammengesetzt, das Kammerorchester aus Ehema- ligen des „Jugendorchesters“, das schon lange nicht mehr so heisst, weil man vielleicht automatisch die Qualitätserwartungen herabset- zen würde. Zum ersten Mal findet auch ein Music Camp statt an welchem junge Talente zwischen 15 und 18 Jahren teilnehmen und ein Orchester bilden, das mit einem Konzert in der ersten Woche einen beachtlichen Nachweis der jungen Begabungen lieferte. Am Eröffnungskonzert spielte das "grosse" Orchester Beethovens Neunte. Am zweiten Festivaltag spielte Elisabeth Leonskaja mit dem Kammerorchester das Klavierkonzert a-moll von Robert Schumann. Nun, Gabor Takacs-Nagy ist ein hervorragender Musiker um mit Kammerorchestern zu arbeiten, aber eine Solistin zu begleiten, ist eine andere Nummer, und prompt fielen Orchester und Pianistin in den rhythmisch heiklen Passagen des Finale auseinander. Dabei hätte – rein musikalisch gesehen – die Interpretation muster-gültig werden können. Vorzüglich klangen dafür die Sinfonie Nr 104 von Josef Haydn und die Sinfonie Nr 8 von Antonin Dvořak. Bei Haydn war die Artikulation wie es sich mittlerweile gehört, sehr akzentuiert, und die vor den Streichern platzierten Holzbläser kamen zu guter Wirkung. Bei Dvořak verblüffte die hervorragende Balance zwischen Bläsern, insbesondere auch dem Blech und den klein besetzten |
Streichern (bloss acht erste Violinen). Dabei mussten sich die Hörner, Trompeten und Posaunen nicht verleugnen, und insgesamt wurde bei lebhaften Tempi in den raschen Sätzen lebendig und frischfröhlich musiziert, im Adagio und im Trio des Scherzo ergaben sich auch raffinierte und wunderschöne Klangmischungen. Die populäre Sinfonie war ein Erlebnis und klang frisch wie neu. Am dritten Festivaltag konnte sich das grosse Orchester erneut bei Beethoven bewähren. Dazu kam drei drei junge Solisten, die vor nicht allzulanger Zeit in der Verbier Academy studiert hatten als Interpreten der Klavierkonzerte eins bis drei zum Zug. Das war ein beinahe un- getrübt schöner Abend. Louis Schwiz- gebel, David Kadouch und Adam Laloum sind durchaus unterschiedliche Persön- lichkeiten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie den musikalischen Gehalt vor Fingerfertigkeit stellen. So war die Wertung auch ein bisschen Geschmackssache. Unbestritten war die grossartige Interpretationsleistung von Adam Laloum, da traf man auf einen uneitlen Künstler von grosser Reife, der von Anfang bis Ende, ob im kecken Zugriff des Schlussrondos (in welchem er das spritzige Tempo wirklich auf die Stretta aufsparte), in der Dramatik des ersten Satzes oder in der Versunkenheit des Mittelsatzes Liebhaber und Kenner im Publikum hinriss. David Kadouch gab ein ziseliertes zweites Konzert mit liebevoll und berechtigt hingesetzten agogischen Freiheiten, im Mittelsatz einen tief empfundenen Vorgeschmack auf das Largo des dritten Konzerts, das Mozartische Finale leichtfüssig und verspielt. Louis Schwizgeben zu Be- |
ginn eher geradlinig im ersten Konzert, für Etliche etwas zu wenig zugriffig aber durchaus mit guten Akzenten. Der langsame Satz auch hier ver-sponnen in gutem Einklang mit der Soloklarinette, der Schlusssatz träf und keck. Auch er hat mittlerweile einen eigenen Ton gefunden und gestaltet als eigene Persönlichkeit. Einzig die Kadenz des ersten Satzes war zu weitschweifig. Und in allen drei Konzerten war Charles Dutoit oft ein wenig zu non-chalant, so dass es gelegentlich zu rhythmisch unpräzisem Zusammen-spiel zwischen Orchester und Solis-ten kam, unentschuldbar zwischen Pauken und Klavier im dritten Konzert. Aber trotz diesen kleinen Ärgernissen war es ein Abend, der viel Freude machte. Der dritte Beethoven-Abend mit den Klavierkonzert vier und fünf sowie der Chorfantasie war etwas durchzogen insofern als die zwei Pianisten für die Klavierkonzerte sich ziemlich voneinander unterschieden, aber nicht ganz das fortsetzen konnten, was die drei Vorgänger angebahnt hatten. So waren die Interpretationen eher konventionell, das, was man gemeinhin erwartet und boten kaum positive Überraschungen. Denis Kozhukhin im vierten Konzert lyrisch verspielt, Yevgeny Sudbin kehrte im fündten Konzert etwas stark die brillante Seite hervor. Für die Chorfantasie op. 80 war Elisabeth Leonskaya verpflichtet worden, vielleicht weil sich kaum einer der Jüngeren darauf einlassen wollte, dieses etwas unübliche Werk einzustudieren.
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Höhepunkte zwischen Oper und Requiem. Und eindrückliche unvergessliche Kammermusikdarbietungen.
Das grosse Orchester konnte sich unter Valery Gergiev wiederum in wuchtigen wie auch feinabgestimmten Einsätzen im ersten Akt von Verdis "Othello" und im dritten Akt von Wagners "Walküre" ein-drücklich profilieren. Mit Bryn Terfel als Wotan, Irène Theorin als Brunhilde, Aleksander Antonenko als Otello und Anna Netrebko als Des-emona standen auch von den besten Sängern in eindrücklichen Auftritten zur Verfügung. Dazu konnte man erstmals an einem Nachmittag das Orchester der ganz Jungen zwischen 15 und 18 Jahren hören, im Siegfried-Idyll von Wagner verblüffend abgestuft, im ersten Satz der achten Sinfonie von Dvořak mit jugendlicher Ungebärdig- keit. Dazwischen anrührend schön „Peter und der Wolf“ von Prokofieff. Die Schaffung dieses weiteren Orchesters ist ein weiterer Schritt von Festivaldirektor Martin T. Eng- ström in der Nachwuchsförderung, die im künstlerischen Aufstieg etlicher Absolventen der Academy, aber auch in der Platzierung vieler ehemaliger Orchestermitglieder in bedeutenden Orchestern ihre Früchte trägt. Ein Ereignis war der erstmalige Auftritt von Grigory Sokolov unter anderem in der „Hammerklavier“-Sonate op. 106 von Beethoven. Etwas durchzogener war das Re- zital von Egeny Kissin, der sich |
an der letzten Klaviersonate op. 111 von Beethoven interpretatorisch ein bisschen die Zähne ausbiss. Ein Erlebnis, das erstaunlich viele Konzertbesucher begeisterte, war das aufwühlende wie betörende „Quatuor pour la fin du temps“ von Olivier Messiaen mit Martin Fröst, Klarinette, Ilya Gringolts, Violine, Gautier Capuçon, Violoncello, und Michel Béroff, Klavier. Es wurde gefolgt von einer hinreissen- den Aufführung des „Pierrot lunaire“ von Arnold Schönberg mit Barbara Sukova, Stimme.
Es gibt auch Uraufführungen hier, etwa von der etwas modischen aber trotz hohem oder, wie man's nimmt, tief-gehendem Anspruch weitgehend inhaltsleeren Lera Auerbach oder dem auch recht erfolgreichen, doch immerhin ernst zu nehmenden Richard Dubugnon. In einer Matinee in der Kir- che konnte man auch ein Werk des Composer in Residence Edward Nesbit, geboren 1986, und Schüler von George Benjamin hören. Ein Streichquartett- satz "Night Dances" gespielt vom Cali- dore String Quartett, welcher durchaus ansprechend wirkte. Daniil Trifonof konnte die berstend volle Kirche mit seinem Programm, das er vor fast Jahresfrist bereits in Luzern geboten hatte, begeistern. Im Duo mit Renaud Capuçon wiederum vor prallvoller Kirche zeigte der hochbegabte Jungstar sich als versierter und feinfühliger Partner in Sonaten von Bach, Schubert und César Franck. Indes der andere Senk-
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rechtstarter, der 18-jährige Jan Lisiecki, in einem Mozart-Klavierkonzert punktete, im Solorezital mit etwas maniriertem Bach und Chopin Etüden op. 10 eher blass wirkte. Weitere interessante Paarungen folgten, etwa zwischen Gautier Capuçon und Yuja Wang, Leonidas Kavakos und Yuja Wang wobei Yuja Wang sich als sehr einfühlsame Begleiterin In Cellosonaten von Schostakovitsch und Rachmaninoff wie in Violinsonaten von Brahms outete. Nicholas Angelich und Adam Laloum (und eine Reihe weiterer Pianisten) waren in Solorezitals zu hören. Angelich zeigte seine hohen inter-pretatorischen Ansprüche in der Klaviersonate op. 111 von Beethoven und seine Fähigkeit, das Klavier zum Singen und Klingen zu bringen in den "Kreisleriana" von Schumann. Adam Laloum hinterliess einen tiefen Ein- druck in den Klavierstücken op. 116, 117 und 118 von Johannes Brahms. Das Quatuor Ebéne hörte ich in Quar- tetten von Haydn und Mendelssohn, wobei die vier ^bewunderswerten Mu- siker das Quartett op. 13 des jungen Mendelssohn in seiner ganzen wun- derbaren Emotionalität zur Geltung brachten. Schliesslich darf man noch das Requiem von Giuseppe Verdi erwähnen, das hoch emotional aber auch sehr ernsthaft in seiner humanen Botschaft mit dem Chor des Teatro Regio von Turin und dem Orchester unter Gianandrea Noseda zu ein-drücklicher Wirkung gebracht wurde. |
Verbier Festival&Academy 2012
25. Juli 2012 Den musikalischen Nachwuchs fördern
5. August 2012 Aufgehende und verglühte Sterne in Verbier
Den musikalischen Nachwuchs fördern
Das Verbier-Festival, welches letztes Wochenende zu Ende ging, führte seit Beginn eine Akademie mit Masterclasses, welche seit je von bedeutenden Künstlern geführt werden und auch etliche heute weltbekannte Musiker hervorbrachten.
Daniel Andres
Die Festivalbesucher sind in Verbier wie überall oft weisshaarig, die Musiker auf dem Podium aber mit Ausnahme einiger Grössen wie Martha Argerich oder Mischa Maisky sehr oft jung oder jugendlich. Für den Generaldirektor des Festivals Martin T. Engström ist es ein Anliegen, innerhalb des Festivals den Nach-wuchs zu fördern und jungen Künstlern Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen. Eine ganze Anzahl von jüngeren Interpreten, welche inzwischen Weltruf er-langt haben ist aus der Academy von Verbier hervor gegangen, Renaud Capuçon etwa hat in den neunziger Jahren noch von den Kursen Isaac Sterns pro-fitiert. Er spielt übrigens heute des- sen Guarneri. Die Pianisten David Kadouch und Denis Kozhukhin – der soeben mit grossem Erfolg in der Salle des Combins die krankheits- halber ausgefallene Yuja Wang ersetzte – haben beide Auszeich-nungen der Academy erhalten, die ihnen den Weg in die Konzertsäle ebnete. Lawrence Power hat an der Verbier Acdemy Anregungen erhal- ten und unterrichtet nun selber, das Ebène-Streichquartett nahm vor wenigen Jahren unter Gabor Tacasz-Nagy an den Kammermusikkursen teil und ist heute eine der begehrtes- ten und bejubeltsten Quartett-formationen mit Auftritten weltweit. Die Liste liesse sich verlängern.Die Kurse wie auch die Auftritte der Kursteil-
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nehmeram Nachmittag im Kino von Verbier und die Schlusskonzerte erfreuen sich übrigens eines grossen Publikumsandrangs.
Berühmte Unterrichtende
Seit Jahren unterrichten führende Pianisten, Violinisten, Cellisten wie Dimitri Bashkirov, Pamela Frank, Stephen Isserlis und oft sind es berühmte Künstler wie Alfred Brendel oder Menahem Pressler, neuerdings auch Thomas Quasthoff, die sich aus dem Konzertbetrieb zurückgezogen haben, aber ihre grosse Erfahrung an die jungen Kollegen weiter geben. Eine Besonderheit war schon letztes Jahr und auch dieses Jahr wieder, dass Künstler nicht nur in ihrem Fach unterrichteten. Der Pianist Alfred Brendel gab sein Wissen an Kammermusiker und Sänger weiter, der Sänger Thomas Quasthoff vermittelte musika-lische Erfahrung an Streicher und Pia- nisten, der Cembalist und Dirigent Massaki Suzuki unterwies Pianisten und Streicher in barocker Aufführungs-praxis. Junge Künstler, Preisträger bedeuten- der Wettbewerbe, haben oft auch ihren grossen Auftritt in Verbier und man lernt hier die kommenden Stars oft frü- her als anderswo kennen. Dieses Jahr waren es der russische Pianist Daniil Trifonov, der für Furore sorgte, aberauch der 17-jährige polnisch-kanadische Pianist Jan Lisiecki, der Franzo
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se Alexandre Thauraud, die Geiger Ray Chen und Itamar Zorman oderder armenische Cellist Narek Hakhna-zaryan hinterliessen neben all den bewährten Stars höchst positive Eindrücke.
Kommende Projekte
Seit zwölf Jahren besteht das Verbier Festival Orchestra aus jeweils um die 120 jungen Musikern aus aller Welt, seit einigen Jahren bestreitet auch das Festival Chamber Orchestra aus ehemaligen Mit-gliedern des grossen Orchesters Konzerte und Tourneen. Ein neues Projekt wird ab kommen- dem Jahr die musikalische Jugend-arbeit noch erweitern. Unter der Lei- tung des erfolgreichen jungen Dirigen- ten Daniel Harding wird ein Festival Music Camp durchgeführt. Während drei Wochen werden rund sechzig ausgewählte zwischen 15 und 17 Jahre alte Instrumentalisten Orchester- und Kammermusik-werke einstudieren. Neben Daniel Harding werden sich Ehemalige des Festival-Orchesters, die bereits Stellen in grossen Orchestern bestreiten, um den jugendlichen Nachwuchs kümmern. So ist Verbier nicht bloss ein Ort, wo man grossen Künstlern zuhören kann, sondern ebenso ein Ort der Begegnungen und der Neugier auf kommende Generationen, was auch die besondere Stimmung im Bergdorf während des Festivals ausmacht.
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Aufgehende und verglühte Sterne in Verbier
Das diesjährige Musikfestival von Verbier wartet mit einigen Überraschungen auf, eröffnet wurde es auf hohem Niveau mit dem Festivalorchester unter Charles Dutoit und den Brüdern Renaud und Gautier Capuçon.
Daniel Andres
Das Eröffnungskonzert war so wie man es von einem hochkarätigen Festival erwarten kann: ein etwas konventionelles Programm, aber das Orchester zeigte sich von den ersten Sekunden der "Euryanthe"-Ouvertüre von Carl Maria von Weber auf brillan-ter Höhe. Charles Dutoit ist immer auch ein bisschen Showman, das Klangresultat ist geschliffen, ist der Inhalt auch echt? Bei der fünften Sin-fonie von Tschaikowsky nach der Pause nahm man ihm das nicht im-mer ab, zu sehr klang es – wie schon oft gehabt – nach effektvollem Knüller. Das Doppelkonzert für Violine und Violoncello von Brahms wurde in grosser Orchesterbesetzung gespielt, klang trotzdem nicht schwerfällig. Die Brüder Capuçon sind hervorragend aufeinander eingespielt und an die-sem Abend gelang ihnen ein Wurf. Vom Orchester wurden sie hervor-ragend sekundiert, wie sie auch prächtig mit den jungen Kollegen vom Orchester harmonierten. Tags darauf zeigte Elisabeth Leons-kaya in Kammermusik von Beethoven und Schostakowitsch was für eine einfühlsame und wundersam gestal-tende Künstlerin sie ist.
Eindringliches Gedenkkonzert
Ein sehr besonderer und eindrückli-cher Anlass war das vom Geiger Da-niel Hope zusammengestellte und mit |
zahlreichen Mitwirkenden gestaltete Programm zum Gedenken an die in The-resienstadt inhaftierten und in Auschwitz oder Treblinka ermordeten Komponisten. Unter die Haut gehend waren vor allem die Liedvorträge von Sylvia Schwartz. Zum Teil wenig oder gar nicht bekannten Werken der Komponisten Erwin Schul-hoff, Hans Krasa und den sehr jung ver-storbenen Gideon Klein und Zikmund Schull konnte man in eindringlichen In-terpretationen begegnen. Von Erwin Schulhoff, einem bis heute viel zu stark unterschätzten Komponisten, wird an einem weiteren Abend das Konzert für Flöte (Violine), Klavier und Orchester aufgeführt.
Denkwürdiger „Pelléas“
Konzertante Opernaufführungen gehören nun zur Tradition von Verbier, wie es sich gehört immer mit herausragenden Sän-gerbesetzungen. Nach „Le Nozze di Figaro“ am Samstag kam am Montag Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ auf die Bühne der „Salle des Combins“. Hier war Charles Dutoit ganz in seinem Element und er holte aus dem jungen Orchester eine Fülle von lichten und vor allem auch düsteren Farben hervor. Mit Magdalena Kozena, Stéphane Degout, José van Dam und Willard White stan-den ihm für die Hauptrollen die erst-klassigsten Sänger zur Verfügung. Es war ein denkwürdiger Abend. Am nächsten Morgen ging es in der Kirche weiter mit Debussy, einer Aus-
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wahl von Préludes gespielt vom jungen Franzosen Alexandre Tharaud. Dieser brachte aber das Publikum vor allem mit zehn Sonaten von Domenico Scarlatti, der offenbar zu seinen Vorlieben zählt, zu Begeisterungsstürmen.
Nachrückende Garde
Weitere Entdeckungen von jungen Interpreten werden folgen. Es spielten oder werden noch spielen die bereits arrivierten Katia Buniatishvili, Yuja Wang, David Kadouch und das Ebène-Quartett. Soll man den jetzt siebzehn-jährigen Jan Lisiecki, der letztes Jahr schon auftrat und inzwischen bei Deutsche Grammophon zwei Mozart-Konzerte eingespielt hat? Oder Daniel Trifonov, der erstmals in Verbier spielt, aber dem ein hervorragender Ruf vor-auseilt? Freuen darf man sich wohl auf das Kuss-Quartett in zwei Program-men und die Violinisten Ray Chen und Nemanja Radulovic, wie auch auf die bewährten Stars, von Martha Argerich über Rolando Villazon, die Geiger Joshua Bell, Christian Tetzlaff und Leonidas Kavakos, den Pianisten Nikolai Lugansky, die Cellisten Steven Isserlis, Narek Hakhnazaryan und Mi-scha Maisky. Ein Star vergangener Festivals, der Bariton Thomas Quast-hoff, tritt nicht auf. Er hat das Singen aufgegeben, ist aber anwesend, un-terrichtet an der Academy und trat auch als Rezitator im Theresienstadt-Abend auf.
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Verbier Festival&Academy 2011
Das Dirigieren durch die Praxis gelernt
Ein Porträt von Daniel Harding
Der englische Dirigent Daniel Harding wurde nach zwei Konzerten im letzten Jahr diesen Sommer erneut
nach Verbier eingeladen. Er begleitete die Violinisten Joshua Bell und Renaud Capuçon und dirigierte im
zweiten Teil die sechste, die "Pastorale"-Sinfonie, von Beethoven.
Daniel Andres
An einem öffentlichen Gespräch gab der noch junge Dirigent mit einer be-eindruckend steilen Karriere, Daniel Harding, in seiner natürlichen Art Einiges über seinen Werdegang preis. So wurde er Assistent von Simon Rattle in Birmingham, weil er als 16-Jähriger den Mut oder die Frechheit hatte, mit Schulkollegen den „Pierrot lunaire“ von Arnold Schönberg, ein Schlüsselwerk der Moderne, einzu-studieren und Rattle um Rat zu fra-gen. Rattle war so beeindruckt von der Arbeit des jungen Musikers, dass er den Jüngling in Anwesenheit des Komponisten gleich einen Satz aus einer Sinfonie von Hans-Werner Henze dirigieren liess. Eigentlich war er Trompeter. "Als dritter Trompeter zählen sie dreihun-dert Takte Pause um dann einige Töne von sich zu geben, das war nichts für mich". So beschloss er, lieber Dirigent zu werden. "Ich habe nie Dirigierunterricht ge-habt“, sagt Harding lachend, "ich ha-be alles durch die Praxis gelernt". Auch das Dirigieren von Opern, das er in Aix-en-Provence, einem wichtigen Festival, mit namhaften Sängern ge-lernt habe. Er war auch Assistent bei Claudio Abbado in Berlin. „Da kam ich sozusagen nie zum Dirigieren, ich musste vor allem Orchesterstimmen einrichten, eine mühsame schriftliche Arbeit." „Dafür war ich bei allen Pro-ben von Abbado dabei und habe dabei musikalisch und menschlich enorm viel gelernt.“ Abbado spreche sehr wenig bei den Proben, er übertrage seine musika-lische Vorstellung durch die Gestik. „Ein Orchester muss einen Dirigenten auch lesen lernen“, meint Harding, „
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manchmal braucht das etwas Zeit und bei einigen Orchestern funktio-niert es auch gar nicht“.Er sagt, als Dirigent müsse man Musik mit dem Körper spüren. Gleichzeitig bemüht er sich um Klarheit, manche würden sagen er sei eher "kopflastig" als ein "Taktstock-magier" obschon er wiederum impulsiv und emotional auf den Zuschauer wirkt.
"Dirigieren kann man nicht lernen“, sagt er noch heute, obwohl er inzwischen in Wien Dirigieren unterrichtet. Aber seit Kurzem habe er einen Coach, der ihn auf falsche Körperhaltungen und -bewegun-gen aufmerksam mache. „Die besten Tennis- und Golfspieler der Welt haben einen Coach, wieso sollte ein Dirigent keinen haben“, ist seine unkonventio-nelle Ansicht.
Keine Magie im Spiel
Ist das Verhältnis zwischen Dirigent und Orchester ein Mysterium? "Nein", sagt er entschieden", es ist kompliziert und schwer beschreibbar, aber es hat nichts mit Magie zu tun.“ Harding gehört zur Generation, die sich um Genauigkeit bemüht und von der his-torischen Aufführungspraxis viel gelernt hat. Die Beethoven-Sinfonie hat er be-zeichnenderweise mit der neuen kriti-schen Werkausgabe des Bärenreiter-
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Verlags aufgeführt. Dazu war die Be-set-ung mit dem Festival-Kammer-orchester mit bloss acht ersten Vio-linen klein. Die "Szene am Bach" war strukturell durchsichtig, das Gewitter dafür mit harten Paukenschlägen und scharfen Akzenten. In einem kurzen Gespräch nach dem Konzert meinte er auf die Frage, wie er Rationalität und Emotionen zusammenbringe: „Wir Künstler auf der Bühne dürfen nicht zu viel Emotionen haben. Gefühle soll das Publikum haben, wir Musiker müssen dafür sorgen, dass die Musik möglichst genau aufgeführt wird. Das verlangt un-sere volle Aufmerksamkeit.“ Dabei hatte er für die Sinfonie den Taktstock weggelegt und gab bloss noch Einsät-ze und unterstützte da einen Akzent oder das Hervortreten einer Stimme im Orchester fast völlig ohne den Takt zu schlagen. Was sind seine Lieblings-komponisten? „Die Musik der deut-schen Romantik, Spätromantik und der frühen Moderne, aber vor allem Schu-mann“, fügt er an, „der ist so genial und da gibt es noch so viel an unbekannten Seiten zu entdecken.“ Und wendet sich wieder den zahlreichen Gratulanten zu, die ihm nach dem Konzert die Aufwar-tung machen.
Daniel Harding Geboren 1975 in Oxford. 1994 Assistent von Simon Rattle in Birmingham, 1996 Assistent von Claudio Abbado in Berlin. Chefdirigent Gustav Mahler-Kammer-orchester und Schwedisches Radio-Sinfo-nieorchester, erster Gastdirigent bei London Symphony Orchestra, künstlerischer Partner der New Japan Philharmonic. CDs bei Virgin Classics und Deutsche Grammophon.
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Nicht das persönliche Ego im Vordergrund
Das Verbier-Festival ist auch ein Piano-Festival. Seit Beginn haben acht Pianisten in der Kirche ein Rezital
gegeben, dazu sind die Stars Evgeny Kissin und Martha Argerich im Saal „Les Combins“ aufgetreten.
Es waren mit Ausnahmen intelligente Pianisten, die bei aller Spielfreude den unverstellten Blick auf das
Werk und die Komponisten suchen statt das persönliche Ego in den Vordergrund zu stellen.
Daniel Andres
Weil dieses Jahr der zweihundertste Geburtstag von Franz Liszt gefeiert wird, stand in jedem Programm auch ein Werk oder eine Werkgruppe des einst selbst als Pianist gefeierten Komponisten. Und in den Rezitals erhielt man auch noch acht der 32 Sonaten von Ludwig van Beethoven zu Gehör. Es waren meist intelli-gente Pianisten am Werk, nämlich solche, die den Dienst am Kompo-nisten über die Darstellung ihres persönlichen Egos stellen. Lars Vogt machte den Anfang , der junge Schweizer Louis Schwizgebel-Wang erweckte in einem mutigen Liszt-Programm mit Klangsinn Aufmerk-samkeit und wirkte unprätentiös und ernsthaft . Der Engländer Llyr Williams hinter-liess mit zwei Beethoven-Sonaten (op. 2 Nr.3 und „Les Adieux“ op. 81a) einen ausgezeichneten Eindruck, dazu in einem der nicht mit brillanten Fiorituren glänzenden Stück, der „Bénédiction de Dieu dans la Solitu-de“, von Liszt..... Ein weiterer Eng-l
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änder, Stephen Hough, eröffnete mit der „Mondschein“-Sonate von Beethoven und demonstrierte in der h-moll-Sonate von Liszt technische Überlegenheit und formale Übersicht. Auch Kissin und die viel gerühmte Kathia Buniatishvili hatten diese Sonate im Programm, wobei Kissin Reife zeigte, die junge Georgerin dafür unkontrollierten Überschwang.
Jan Lisiecki Eine Freude war der 16-jährige Kanadier Jan Lisiecki, der ausserhalb des Konzert-saals unkompliziert jugendlich ist, am |
Flügel jedoch erstaunlich reif und ernst-haft auf-tritt. Altmeister Stephen Kova-cevich in Beethoven (Bagatellen und Sonate op. 110) nicht ganz auf der Hö-he, dafür wundervoll in Schuberts letzter Sonate in B-Dur und zwei luziden Zu-gaben von Bach. Eher enttäuschend die am gleichen Tag auftretenden Denis Matsuev und Kathia Buniatishvili. Der Eine mit Kraftausbrüchen, die Andere mit Tempoexzessen sowohl bei Liszt wie beide in Strawinskys „Petruschka“.
Kissin begeisterte das Publikum in einem reinen Liszt-Programm, Martha Argerich im Klavierduo mit Nelson Goerner. Ein Höhepunkt in Beherr-schung und gestalterischer Kraft der Soloauftritt von Martin Helmchen unter Anderem in der „Hammer-klavier“-Sona-te von Beethoven. Intelligent und span-nend der Norweger Leif Ove Andsnes in der „Waldstein“-Sonate und der letzten, dem Opus 111, von Beethoven. Insge-samt also nicht bloss Leckerbissen, sondern auch viel Gesprächsstoff für die Liebhaber anspruchsvoller Klaviermusik. |
Begeisterung ist ansteckend
Das 18. Klassik-Festival von Verbier ist seit letztem Freitag in vollem Gange. Einige Konzerte sind
ausverkauft, andere scheinen – vielleicht wegen des starken Frankens, vielleicht wegen des garstigen
Wetters – weniger besucht als auch schon.
Daniel Andres
Der Auftakt war glanzvoll. Charles Dutoit dirigierte trotz Grippe das zu einem Drittel erneuerte Festivalorchester aus jungen Musikern. Die Qualität des diesjährigen Jahrgangs ist hoch, das war in der Bal-lettmusik zu „Petruschka“ von Igor Stra-winsky zu hören. Hervorragende Solisten im Orchester bei den Trompeten, den Holzbläsern und den Hörnern. Eine un-gemein farbige Wiedergabe der ersten Fassung für grosses Orchester aus dem Jahr 1911. Vorher spielte Nelson Freire das zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms mit auffallender Leichtigkeit und auch hier brillierte der erste Cellist mit einem aus-drucksvollen Solo im dritten Satz. Für das zweite Orchesterkonzert liess sich Charles Dutoit durch Neeme Järvi ersetzen und auch dieser fand her-vorragend vorberei-tete junge Musi-ker vor, die wie immer vor dem Festival durch Stimmführer des Orchesters der Metro-politan-Opera New York gecoacht worden waren. Auch an diesem Konzert standen grosse Brocken auf dem Programm, wel-che viele Orchestermitglieder zum ersten Mal spielen und dennoch findet das Or-chester zu einem schönen Klang und vor allem auch zu einem engagierten und hinreissenden Spiel, welches immer
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wieder auch die Gastdirigenten entzückt. Die georgische Pianistin Kathia Bunia- tishvili spielte das dritte Klavierkonzert von Rachmaninoff mit weniger Kraftauf-wand als manche ihrer Kollegen und fügte sich über weite Strecken auch in das sin-fonisch geprägte Orchestergeschehen ein. Sie holt aber etwas wenig Klangsubstanz aus dem Flügel und ihre Gestaltung wirkt keineswegs ausgereift. Wirkungsvoll am Schluss die sinfonische Dichtung „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss und zu Beginn ein Werk der Komponistin Lera Auerbach, die seit mehreren Jahren bei-nahe zur Hauskomponistin des Festivals geworden ist, mit dem Orchesterwerk "Icarus" allerdings nicht sehr originell, ja in den Wirkungen sogar abgegriffen wirkte.Neben den Sinfoniekonzerten finden jeden Tag Rezitals statt und auch zum ersten Mal ein Auftritt des Béjart-Balletts mit zwei Hauptwerken von Igor Strawinsky, dem „Sacre du Printemps“ und dem „Feuervogel“. Das Kammerorchester aus älteren und herausragenden Mitgliedern des Sinfonieorchesters begleitete mit dem faszinierenden Gabor Takacs-Nagy am Pult den Geiger David Garett im Violinkon-zert von Beethoven und wirkte in der kon-zertanten Aufführung von „Dido und
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Aeneas“ von Henry Purcell mit.
Vielfalt ist das Kennzeichen des Verbier-Festivals, neben Sinfonik und Kammermusik kommt auch die Oper zum Zug, die Kurse der Academy interessieren jedes Jahr auch viele Zuhörer, und jeden Tag finden rund zwanzig Gratisanlässe und Animationen im ganzen Dorf von morgens bis spät abends statt. Festivaldirektor Martin Engström hat die Besucher am Eröffnungstag als Familie angesprochen und so fühlt sich auch der langjährige Besucher, der jedes Jahr wieder hier einen Freundeskreis aus der ganzen Welt antrifft. Das gilt auch für die Musiker, die oft seit Jahren hier immer wieder auftreten und nicht wie an andern Festivalorten am Morgen nach dem Konzert wieder abreisen. Das ist auch das Besondere in Verbier, dass man Starsolisten in vielfältiger Kombination mit anderen Stars und auch mit Nachwuchskünstlern in Kammermusikformationen antrifft. Martin Engström „zwingt“ seine berühmten Freunde, wie etwa die Martha Argerich, so auch, Werke zu spielen, die sie sonst nie gespielt hätten. Und oft entstehen Neuerungen spontan. So kam der japanische Meistercembalist letztes Jahr erstmals für zwei Konzerte und dieses Jahr gibt er bereits einen Kurs für „alte Musik“.
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Verbier Festival&Academy 2010
Junge Aufsteiger und Altmeister auf voller Höhe
Das Verbier-Festival neigt sich dem Ende zu. In der zweiten Hälfte gab es Absagen und Enttäuschungen
ber auch positive Überraschungen.
Daniel Andres
Absagen gab es von Rolando Villazon und Hélène Grimaud, die zusammen hätten auftreten sollen. Auch Semyon Bychkov liess sich entschuldigen. Mit Daniel Har-ding fand sich am Platz aber ein mindes-tens ebenbürtiger Ersatz. Eine Enttäusch-ung waren die beiden Rezitals von Evgeny Kissin. Er schien nicht sonderlich gut ge-launt, schenkte dem Publikum kaum ein Lächeln und – für ihn ungewohnt – hatte kleine Patzer. Hat er persönliche Probleme, eine kleine oder grosse Krise? Dazu reich-ten seine Schumann- und Chopin-Interpre-tationen nicht über das Gewohnte hinaus. Den erste Satz der Fantasie C-Dur zerlegte er in Einzelteile, die Nocturnes waren klangschön aber irgendwie auch fantasie-los. Wenden wir uns lieber den positiven Überraschungen zu. Der letztjährige Preis-träger der Festival-Academy, David Ka-douch, bestätigte zumindest das positive Bild, das man von dem ernsthaften wie kraftvoll zupackenden Pianisten hatte. Er spielte Variationen von Haydn, die dritte Sonate von Schumann, Liszt und eine Auswahl der 24 Präludien von Dmitri Schostakowitsch. Unerwartet auch, wie Ilya Gringolts auf der Barockgeige zusammen mit dem japani-schen Meistercembalisten Masaaki Suzuki Bachs Sonaten für Violine und obligates Cembalo kompetent und musikalisch hoch-stehend anging.
Eine wahre Freude
Von den jüngeren Interpreten war das Quartett aus Joshua Bell und den jungen Streichern Henning Kraggerud, Lawrence Power, Bratsche, und Andreas Brantelid,
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Violoncello, eine wahre Freude. So her-vorragend die bereits preisgekrönten jun-gen Solisten waren, so mitreissend musi-zierten sie in doch eher selten gehörten Quartetten von Grieg und Mendelssohn (f-moll opus 80) und einem Terzett von Dvorak. Joshua Bell musizierte mit Yuja Wang vielleicht etwas leichtfüssig die „Kreut-zer“-Sonate von Beethoven und an-schliessend mit herrlichem Ton und seiner spontan überschwänglichen Musikalität aber durchaus nicht unüberlegt Beetho-vens Violinkonzert mit dem Festival Cham-ber Orchestra. Wobei dieses Ensemble wiederum ohne Dirigent (wie bei den Me-tamorphosen von Strauss) eine be-wun-dernswert aufmerksames Zusammenspiel und erfrischende Musizierlust an den Tag legte. Neben Joshua Bell war aus der mittleren Generation der Geiger Leonidas Kavakos ein Erlebnis im zweiten Violinkonzert von Bela Bartok. Anschliessend riss Charles Dutoit das Orchester im „Don Quichotte“ von Richard Strauss noch einmal zu klang-lich opulenten Höchstleistungen mit. Ein Genuss besonderer Art ist die Begeg-nung mit dem Quatuor Ebène aus Frank-reich. Die vier kongenialen jungen Musiker bescherten uns in zwei Konzerten je ein Quartett von Bartok und Beethoven. Be-sonders am Abend in Beethovens opus 131 waren sie fast noch grossartiger als sonst, obschon sie anschliessend anga-ben, etwas müde gewesen zu sein. Auch am folgenden Abend das Quintett von César Franck mit Nicolas Angelich am Klavier war eine Sternstunde. Angelich bewies in seinemersten Rezital in Verbier, dass er nicht "nur" ein grossartiger Kam- |
mermusiker ist. Seine "Kreisleriana" war wirklicher Schumann (das erste Stück vielleicht etwas zu rasant, wodurch die nachschlagenden Bässe nicht mehr nach-schlagend sondern auf dem Takt wirkten, was nicht ganz Schumanns Absicht ent-sprach).
Humor in der Musik
Immer ein Erlebnis sind die Altmeister, die in Verbier auftreten. Elisabeth Leonskaya vollendete im Konzertsaal statt im stim-mungslosen Kino und nun auf einem sehr guten Flügel ihren heftig applau-dierten Schubert-Zyklus. Natalia Gutmann spielte souverän und stilistisch wie musikalisch herausragend drei Cello-Suiten von Bach vor einem Publikum, in dem alle Streicher, sofern sie nicht grad selber beschäftigt waren, von Maisky, Bashmet, Kavakos, Sarah Chang bis Frans Helmerson und noch weitere sassen. Alfred Brendel spielte zwar kein Konzert, hielt aber einen hochinteressanten Vortrag mit Musikbeispielen über Humor in der Musik und unterrichtete vor vollem Kino-saal das „Wunderkind“ Kit Armstrong und das auch schon höchst erfolgreiche „Ebène“-Quartett. Übrigens erstaunlich wie auch gestandene Künstler sich in Verbier noch eine Lektion etwa beim Do-zenten für Kammermusik und Chef des Verbier Chamber Orchestra, Gabor Takacs-Nagy, holen. Den Abschluss bildete eine umjubelte konzertante Aufführung der "Salomé" von Richard Strauss mit Valéry Gergiev am Pult und einer herausragenden Deborah Voigt als Salomé.
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Blitz, Donner und eine grosse Dame des Klaviers
Das Verbier-Festival begann vor einigen Tagen mit Blitz und Donner, wobei der neue Konzertsaal, der
anstelle des bisherigen Zeltes eingeweiht wurde, seinen Härtetest bestehen musste.
Daniel Andres
Diesen Test bestand der Saal am neuen Standort nur bedingt. Der Platzregen pras-selte aufs Dach und übertönte Orchester und die Solistin Yuja Wang im zweiten Klavierkonzert von Serge Prokofieff. Krachender Donner entlud sich unmittel-bar über dem Dorf, und als das Konzert unterbrochen war, fiel auch noch der Strom in ganz Verbier aus. Es dauerte eine gute halbe Stunde bis die Stromversorg-ung wieder lief und Publikum und Orches-ter ihre Plätze erneut einnehmen konnten. Dafür prasselten nun die Akkord-Kaska-den der jungen Yuja Wang auf die Klavia-tur, und im zweiten Anlauf bewies der in China gebürtige aber seit dem 16. Alters-jahr in den USA lebende Shooting-Star neben Virtuosität und grandioser Musi-kalität auch noch Muskelkraft. In der da-rauf folgenden ersten Sinfonie von Mahler ersetzte oder ergänzte fernes Donnergrol-len noch gelegentlich die Paukenwirbel, aber ohne das Konzert mit dem Festivalor-chester unter seinem Chefdirigenten Char-les Dutoit weiter zu stören. Dutoit zeigte gleich im ersten Konzert zu welcher klang-licher Differenziertheit das junge Orches-ter fähig ist. Das diesjährige Festivalorchester besteht aus 110 jungen Musikern zwischen 16 und 26 Jah-ren, die aus 22 Nationen stammen. Ausser von Charles Dutoit wird es in kom-menden Konzerten von Rafael Frühbeck
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de Burgos, Daniel Harding, Semyon Bych-kov (er wurde kurzfristig durch Daniel Har-ding ersetzt) und Valéry Gergiev dirigiert. Neben den fast alljährlich wiederkehren- Stars unter den Solisten sind dieses Jahr wiederum eine ganze Anzahl aufstrebender junger Künstler zu entdecken. Gleich am zweiten Tag beglückte der junge unprätentiöse Franzose Adam Laloum, Clara Haskil-Preisträger 2009, das Publikum am Vormittag mit einem künstlerisch reifen Rezital. Die norwegische Geigerin Vilde Frang riss abends mit ihrem Temperament und geigerischen Können die Zuhörer unter anderem in der Solosonate von Bela Bartok mit. Und der 18-jährige Kit Arm-strong bestätigte am Montagvormittag seine Technik, seine musikalische Intelli-genz und seine betörende Anschlags-sensibilität in einem grossartigen Klavier-Rezital, wobei auch kurze, originelle eigene Werke erklangen. Abends war dann die junge georgische Geigerin Lisa Batiashvili mit Orchester zu hören. An der Academy nehmen wiederum etliche sehr vielverspre-chende Talente aus fünf Kontinenten teil.
Schubert in neun Tagen
Die "Grande Dame du piano" Elisabeth Leons-kaya zieht an neun Abenden zu später Stunde im Kino von Verbier ein zahlreiches Publikum mit der Aufführung |
sämtlicher Klaviersonaten von Franz Schubert in ihren Bann.
Viel Neues ausprobiert
Elisabeth Leonskaya, die vor einigen Jah-ren auf ihren ausdrücklichen Wunsch mit dem Bieler Sinfonieorchester beide Kla-vierkonzerte von Brahms spielte, ist - so ein Kritiker - eine Anti-Diva. Die gebürtige Georgierin lebt seit vielen Jahren in Wien. Sie tritt sehr unauffällig auf, scheint auf Anhieb fast abwesend, doch auf Fragen antwortet sie hell-wach und zeigt eine grosse Kenntnis und viel Verständnis für die Komponisten, die sie spielt. So auch bei diesem Schubert-Zyklus, sie weiss viel über Schubert, seine Werke, die Entsteh-ung der einzelnen Sonaten, worunter viele Fragmente, die Schubert unvollendet hin-terlassen hat, weil er sich freiwillig oder gezwungen anderen Aufgaben zugewen-iger wertvoll deswegen. Etwa die fis-moll-Sonate" so Elisabeth Leonskaya, "die mitten im ersten Satz ab-bricht. Sie ist eigentlich ein wundervolles Nocturne. Schubert hat etwas ganz Neues ausprobiert, und gerade deswegen spiele ich nur das Fragment ohne die Ergänzun-gen, die andere Leute später gemacht ha-ben.
lständiges Interview mit Leonskaya
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Gespräch Daniel Andres mit Elisabeth Leonskaya
Integrale Aufführung der Klavier-Sonaten von Franz Schubert in Verbier 2010
Frau Leonskaya, Sie spielen alle Schubert-So-naten an diesem Festival. Haben Sie sich dazu entschlossen oder wurden Sie angefragt? Man hat mich gefragt von der Festival-Leitung, und ich konnte selbstverständ-lich nicht nein sagen. Warum konnten Sie nicht nein sagen? Wissen Sie, ich wohne seit vielen Jahren in Wien, da haben sie alle gelebt, Haydn, Mo-zart, Beethoven, Schubert, Branms, Bruckner, man atmet die Luft die sie ge-atmet haben. Sie sind einfach noch über-all gegenwärtig. Es ist ja eine gewaltige Herausforderung. An-dere Pianisten würden so ein Projekt auf eine Saison verteilen, sie bewältigen es in zwei Wo-chen. Ja, es steckt viel Arbeit dahinter, aber viele Sonaten, vor allem die grossen habe ich oft gespielt, andere, vor allem klei-nere und die frühen Werke musste ich neu einstudieren. Manche sagen, die Schubert-Sonaten seien nicht pianistisch, weil Schubert kein Klavier-Virtuose war wie Beethoven oder die späteren Romantiker. Ja, einerseits sind die frühen Sonaten fast geschrieben wie Streichquartette, es hat vier Stimmen. Andererseits wechselt Schubert aber ständig die Harmonien. Beethoven - etwa in der "Appassionata" - bleibt lange auf einem Akkord und um-spielt diesen mit Arpeggien und Passa-gen, die virtuose Klaviermusik ist so gebaut. Bei Schubert gibt es das nicht, er bringt Melodien und ständige Harmonie-wechsel, das macht die Musik an sich inte-ressant und voll wechselnder Stim-mungen und Emotionen. Es ist nicht "Klaviermusik" sondern einfach Musik, die er fürs Klavier schreibt.Dazu kommt aber der Klavierklang. Schu-bert hat doch seinen ganz eigenen Klang. Alle grosse Komponisten haben ihren eigenen Klavierklang, Schumann, Cho- |
pin, Liszt klingen jeweils ganz an-ders, auch wenn sie von verschiedenen Pianisten gespielt werden. Andere sagen, Schubert könne keine grossen Formen schreiben, seine Stärke sei das kleine Klavierstück und das Lied. Auch das stimmt nicht. Er hat eine eige-ne Technik der grossen Form entwickelt. Man sieht das oft in den Fragmenten, in Sonaten die er angefangen aber nicht vollendet hat, da hat er eine Idee, aber er kann sie nicht entwickeln, es gelingt ihm erst in einem nächsten Werk. So kommt er allmählich zu seiner eigenen Form. Die dann nicht den Formen seines gros-sen Zeitgenossen Beethoven entspre-chen müssen. Er probiert Verschiedenes aus. Seine frühen Sonaten erinnern viel mehr an Haydn als an Mozart, später kopiert er fast wörtlich genau Beethoven, etwa in der e-moll-Sonate, die er aber nicht fer-tig schreibt. Manchmal imitiert er die Brillanz von Weber, und dann klingt es schon beinahe wie Bruckner, in grossen Blöcken, in Gegensätzen, die aber doch untereinander verbunden sind. Schimmert in diesem Sonatenwerk auch Biografisches durch, etwa dass die ins-gesamt 21 Sonaten eine Art Tagebuch darstellen? Nicht eigentlich, ausser dass man die musi-kalische Entwicklung und das stete Suchen Schuberts herauslesen kann. Die "Gasteiner" ist die einzige, die vielleicht an ein konkretes Erlebnis erinnert. Er probiert ja ständig und tastet sich an seine eigene Sprache heran. Und es gibt natürlich den Bruch um 1822, wo er er-kennt, dass er für den Rest des Lebens krank ist und vielleicht nicht mehr lang zu leben hat. Da schreibt er ja, ich glau-be an Kuppelwieser, "ich bin der elen-deste Mensch auf der Erde", und dieses Gefühl schlägt sich von nun an in all seiner Musik nieder. . Es ist die Zeit, in der ihm mit der "Un-vollendeten" eine neue Sprache gelingt.
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Ja, eine Sprache die auf Bruckner hin-weist, wer weiss wie das Finale ausgese-hen hätte wenn er es hätte schreiben kön-nen. Es ist auch das Gefühl, das bei ihm ab jetzt vor-herrschte: "wenn ich von Liebe singe fühle ich Schmerz und wenn ich Schmerz fühle denke ich an Liebe" oder so ähnlich. Wie gehen Sie den Zyklus an, arbeiten Sie sich von Tag zu Tag durch? Ich habe die grossen Sonaten natürlich schon seit langem studiert, und jetzt muss ich von Tag zu Tag, von Konzert zu Kon-zert mich auf das gerade bevorstehende konzentrieren. Sie haben die Werke nicht chronologisch geordnet. Nach welchen Kriterien haben Sie sie zusammengestellt? Chronologisch ergibt keinen Sinn, aber es gibt grössere und kleinere Werke und nach den Tonarten kann man auch eine Zusammenstellung machen, auch frühe mit späten Werken konfrontieren. An den An-fang habe ich die "Wanderer"-Fantasie gestellt, ein virtuoses Werk und danach die "Fantasie"-Sonate G-Dur mit ihrem lieblichen Charakter. Und ich habe mich auch entschlossen, die Fragmente - bei der fis-moll-Sonate zum Beispiel - so zu spielen wie sie Schubert hinterlassen hat, also nicht mit den Ergänzungen, die manche Verleger machen liessen. Es gehört zu Schubert, dass er oft vieles angefangen hat um es dann liegen zu lassen, weil eine an-dere Aufgabe oder eine andere Idee war-tete. Er hat ja soviel komponiert in seinem kurzen Leben. In den drei grossen letzten Sonaten ist ihm dies ja gelungen, seine eigene Sprache in sehr weiten und gross angelegten Formen zu finden. Das sind sozusagen seine Vermächtnisse, da ist er ganz sich selbst und ganz anders als seine Zeitgenossen. Frau Leonskaya, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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Fotoalbum 2010
Verbier Festival&Academy 2009
3. August 2009 Höhepunkte in Höhenluft
25. Juli 2009 Von Gipfeln und Abgründen
19. Juli 2009 Alpensinfonie von Schnee und Regen begleitet
Fotoalbum
3. August 2009. Das Schlusskonzert des Verbier Festival Orchestra mit Kurt Masur am Pult war ein würdiger
Abschluss eines an Höhepunkten reichen Festivals auf 1500 Meter über Meer in den Walliser Alpen.
Daniel Andres
Für die regelmässigen Festival- und Kon-zertbesucher wie auch für das Orchester, die Solisten, die Academy-Studenten und ihre Professoren war es fast ein wenig ein wehmütiger Abschied. Das Besondere des Festivals ist ja, dass man ausser hoch-stehenden Darbietungen auch Freunde antrifft, solche aus den Vorjahren und solche die man neu kennen gelernt hat. Im Festivaldorf trifft man sich im Café, beim Essen, in den Konzertpausen, nach dem Konzert, tauscht Meinungen und Urteile aus, lernt andere Auffassungen kennen. Die zweite Festivalwoche war von etlichen Höhepunkten geprägt. Dazu gehören die Sinfoniekonzerte mit Kurt Masur, der auch einen Dirigierkurs leitete, wobei die vier Studenten, welche in je einem Satz aus der „Italienischen“ Sinfonie von Mendelssohn und in der zweiten Sinfonie von Schumann vor dem Orchester standen, einen guten, wenn auch noch nicht immer ganz professio-nellen Eindruck hinterliessen. Sie hatten zwar die Partitur im Kopf und nicht den Kopf in der Partitur, und das Orchester ging bereitwillig und sogar engagiert mit, aber wenn man sich die Kandidaten vor einem vielleicht auch etwas skeptischeren Berufsorchester vorstellt, braucht es wohl vor allem noch eine andere Haltung zu den Musikern. Etwas was aber beinahe nur die Erfahrung bringen kann, die gleich-berechtigte Partnerschaft zwischen Orchester und Dirigent.
Hingabe und Freiheiten
Die zeigte allerdings in zwei sinfonischen Dichtungen von Liszt (Les Préludes) und Richard Strauss (Till Eulenspiegel) der alte Meister ohne Taktstock Kurt Masur. Mit den jungen Musikern des Festival-Orchesters verband ihn eine natürliche Autorität und eine väterliche Strenge voller Verständnis. So war im „Till Eulenspiegel“ nicht alles ganz präzis zusammen, weil Masur nicht militärische |
Disziplin einforderte, sondern Engagement, Hingabe, Aufmerksamkeit, Zuhören, und dabei die Zügel nicht einfach straff in den Händen hielt, sondern auch Freiheiten gewährte. Das Resultat war eine ausgesprochen musikantische Interpretation, die auch klanglich auf sehr hohem Niveau stand.
Anregender Gabor Takacs
Auch das Kammerorchester des Festivals unter Gabor Takacs-Nagy war eine Ohren-weide. Hier herrschte noch fast etwas mehr Perfektion, aber nicht weil Takacs auf Zucht und Ordnung hielt, sondern weil unter einem ausserordentlich anregenden Di-rigenten junge Spitzenmusiker agieren, die einzeln und im Kollektiv das Beste geben. Eine wunder-schön locker musizierte Konzertante Sinfonie von Haydn, hinreis-sende „Jahreszeiten“ von Piazzolla mit Julian Rachlin als Solist und Leader und eine erste Beethoven-Sinfonie voller Elan. Da kommen die Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis ganz na-türlich in die Aufführung mit modernen Instrumenten hinüber, mit starken Ak-zenten, einer lebendigen Agogik und Artikulation, frischen Tempi und einer Ausdrucksgestaltung, die dem Werk entspricht und nicht subjektiv vom In-terpreten der Musik aufgezwungen wird.
Beglückendes Quartett
Herrliche und begeisternde, dabei ebenfalls der Perfektion nahe kommende Wieder-gaben auch durch das Ebène-Quartett, vier junge Franzosen, die Quartette von Ravel, Fauré und Debussy in ihrer jeweiligen Eigenart wiedergeben, voller Raffinesse aber insbesondere beim Quartett des alten Fauré auch voller Vergeistigung. Ähnlich am Tag darauf im Quintett von Schubert, wo zusammen mit dem Cellisten Gautier Capu-çon sowohl die Melancholie und Trauer in den ersten Sätzen, wie auch der Versuch, zur Lebensfreude zurück zu finden im Scherzo und |
im fast volkstümlichen Finale zu einer höheren Einheit fanden. Glückliche Momente, auch in den umwerfenden Zugaben.. Gautier Capuçon legte seine ganze so unverdorbene Hingabe in die Cellosonaten von Schostakowitsch und Prokofieff, unterstützt vom hervorragenden Jean-Yves Thibaudet am Klavier. Etwas weniger überzeugend die hoch gelobte Yuja Wang in einem Rezital mit Scarlatti, Brahms (Paganini-Variationen), Chopin zweiter Sonate und Strawinskys Petruschka-Suite. Vor-behaltlos zustimmend konnte man nur bei Strawinsky sein, bei den andern Kompo-sitionen hatte man den Eindruck, dass die zwanzigjährige Pianistin mit vollem Kon-zertkalender für die nächsten Monate zwar über absolute technische Leichtigkeit verfügt, aber sich mit Stil und Gehalt der einzelnen Komponisten oder Epochen noch ernsthaft auseinandersetzen muss. Sehr brillant und locker am Vorabend das erste Klavierkonzert von Mendelssohn, aber mit dem Rezital gleich am folgenden Morgen hat sie sich vielleicht auch etwas viel zugemutet. Auch Thibaudet spielte Mendelssohn, das wenig gespielte Konzert für Violine, Klavier und Streicher, mit Joshua Bell als zweitem Solisten und dem Festival-Kammerorchester. Erfrischend bei gewagten Tempi, die sogar den doch so virtuosen Solisten einige Patzer bescherten. Aber es war ein auf Risiko und ohne Rücksicht auf Verluste angelegtes vergnügliches Spiel.
Reifer Preisträger
Von der Academy bleibt der Franzose David Kadouch als Sieger. Er hat vor zwei Jahren bereits den Preis der Tabor Foundation für Pianisten gewonnen und jetzt die „Gesamt-wertung“ was dem ausserordentlich viel versprechenden und sich bereits auf einer guten Bahn be-findenden und auch musikalisch schon reifen Pianisten ein Rezital am Festival 2010 beschert. Eine Laufbahn, die man verfolgen muss.
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26. Juli 2009. Von Verbier aus sieht man nicht bloss die höchsten Zinnen und Zacken des Montblanc-Massifs,
es werden auch musikalisch Gipfel erklommen.
Daniel Andres
Sonntag in Verbier: Morgens Fahrt auf den MontFort mit unüberbietbarer Klarsicht. Dafür ein Konzert in der Kirche auslassen. Später eine vierstündige Wanderung der Bisse du Levron entlang von der Alp La Chaux bis zur Alp Les Planards wo zufällig Kämpfe von Eringerkühen stattfinden. Hinunter ins Dorf und schnell im Kino einen Pianisten der Akademie anhören bevor es ins abendliche Konzert geht. Evgeny Kissin spielt das zweite Klavierkonzert von Chopin mit einer Delikatesse, die jeden Ton, auch in schnellen Verzierungen, auf der Zunge zergehen lässt. Anchlagskunst vom Allerallerfeinsten. Vielleicht gar etwas geniesserisch, aber unwiderstehlich schön.
Hymne an die Liebe
Dann erklimmt Charles Dutoit mit dem Festivalorchester nach der Alpensinfonie von Strauss im Eröffnungskonzert den zweiten Gipfel mit der Turangalila-Sinfonie von Olivier Messiaën, einem elfsätzigen Werk für Riesenbesetzung, zugleich eines der Schlüsselwerke des zwanzigsten Jahrhunderts. Eine orgiastische Hymne an die Liebe. Dutoit pflegte in den Proben die Details: Intonation der Streicher, Genauig-keit des Schlagzeugs im Zusammenspiel mit Klavier und Celesta, präzise Attacke des Blechs ohne muskulös zu werden. Das zahlte sich in der Aufführung aus. Akkurat in den komplizierten Rhythmen und in der Balance der raffinierten Klangmischungen, sinnlich in den Klangorgien wie in den fast
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kitschig schönen Gefilden etwa des „Jar-din du Sommeil de l’Amour“. Eine Auf-führung, welche zu Recht Begeisterung auslöste, mit Jean-Yves Thibaudet für den höchst anspruchsvollen Klavierpart und Valérie Hartmann-Claverie an den Ondes Martenot, einem Instrument das immer wieder Neugier und Staunen weckt. Hochburg des Espressivo Andere Gipfel waren die Auftritte von Martha Argerich. Gut gelaunt und doch auch höchst empfindsam im zweiten Klavierkonzert von Beethoven mit dem Festival-Kammerorchester unter dem fabulösen Gabor Takacs-Nagy, Partner mit denen sie sich ganz offensichtlich äusserst wohl fühlte. Auch das Klavierquintett Es-Dur von Robert Schumann mit den Freunden Mischa Maisky und Yuri Bashmet, Cello und Bratsche, dazu Sascha Maisky an der zweiten und Janine Jansen an der ersten Geige, ergab ein Ensemble und eine Interpretation von äusserster Intensität. Auch die zehnte Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch, dirigiert vom Chef der St.Petersburger Philharmonie Yuri Termikanov war ein Gipfel. Termikanov versteht es, das Orchester mit wenig gestischem Aufwand zu höchster In-tensität und Präzision anzuspornen und gleichzeitig grosse Bögen zu spannen. Eine ideale Mischung aus musikalischer Intelligenz und starker Emotionalität. Verbier ist die Hochburg des Espressivo. Symptomatisch wie der Bratschist Yuri |
Bashmet von den Streichern des Kam-merorchesters fordert, mit dem Vibrato schon zu beginnen bevor sie den Bogen ansetzen. Andere Ansätze, wie die his-torische Aufführungspraxis oder eine eher analytische Interpretation finden hier wenig Humus. Interpreten dieser Richtung werden entweder nicht eingeladen oder haben wenig Interesse, nach Verbier zu reisen.
Höhen und Tiefen
Dafür waren die Auftritte des ehemaligen Wunderknaben Lang Lang, einem Vertreter des masslos Exaltierten, ziemlich verun-glückt. Sowohl im Klavierkonzert b-moll wie im Klaviertrio a-moll von Tschaikowski fiel er durch exzessive Tempi, aber auch durch brutales Forte neben gehauchter Sensibilität auf. Eine Kritikerin, befreundet mit den russischen Stars sagte zu mir: “Er gibt zu viele Konzerte und übt zu wenig, er liest nicht und entwickelt sich nicht weiter und nimmt keine Ratschläge an.“ Zu den massvoll Espressiven und Ge-zügelten alter Schule gehören die Pianisten Stephen Kovacevich (im Klavierquintett f-moll von Brahms) und Emanuel Ax, der Thomas Quasthoff in der überfüllten Kirche in der „Schönen Müllerin“ von Schubert „begleitete“ (begleiten im Sinne von innerem Mitgehen). Der Abend mit diesen grossen Künstlern gehört zum Nachhaltigsten dieses heurigen Festivals. Auch ein Gipfel, aber nicht an äusserlich messbarer Höhe, sondern an innerer Tiefe, mit Schlünden und Abgründen.
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Alpensinfonie von Schnee und Regen begleitet
19. Juli 2009 Bei fast frostiger Kälte und schneebedeckten Hängen oberhalb Verbier gab Festivaldirektor Martin T:son Engström vergangenen Freitag zum siebzehnten Mal die Konzertbühne frei für Charles Dutoit und das Festival-Orchester mit dem Solisten Vadim Repin.
Daniel Andres
Engström verheimlichte nicht, dass Finanz- und Wirtschaftskrise den Festivalverant-wortlichen etliche Sorgen bereitet haben. Aber die bisherigen Hauptsponsoren hiel-ten zum Anlass und die privaten Spender und Gönner öffneten ihre Brieftaschen mehr statt weniger. Charles Dutoit, nach James Levine neuer künstlerischer Leiter des Festival-Orches-ters, dirigierte das Eröffnungskonzert. Vadim Repin spielte das Violinkonzert in D-Dur von Johannes Brahms in seiner vitalen aber gezügelten Art und wurde vom Or-chester aus jungen Musikern aus über dreissig Ländern hervorragend und auf-merksam unterstützt. Die Qualität des Orchesters bestätigte sich in der monu- mentalen Alpensinfonie von Richard Strauss, in welcher Holzbläsersolistinnen und –solisten aufhorchen liessen, ein gross besetztes Blech präzis und fast im-mer intonationsrein zum Einsatz kam, das Schlagzeug von den Kuhglocken bis zu der Windmaschine und dem Donnerblech voll beschäftigt war und die gross be-setzten Streicher einen schönen Klang lieferten. Charles Dutoit führte sowohl genau und fordernd wie er auch den jungen Musikern gelegentlich freien Auslauf gewährte. Als Eröffnung war das Konzert jedenfalls ein Genuss und viel versprechend für die kommenden Festi-valtage.
Stilistisch unverkrampft
Bereits am Wochenende war auch die Zeit der jungen und mittleren Pianistengarde gekommen. Zusammen mit dem jungen |
Geiger Valerij Sokolov hörte man den Pia-nisten David Fray in Sonaten von Bach und Beethoven. Fray ist einer der noch jungen Pianisten, die Bach wieder mit ele-gantem Anschlag und beinahe etwas ver-zärtelt aber dennoch lebendig artikuliert und sehr differenziert und stilistisch absolut unverkrampft spielen. Sokolov gefiel vor allem in den Sonaten von Beethoven durch ein stilsicheres und unprätentiöses Spiel und einen betörenden aber nie exaltierten Klang. Gleich zwei Stunden später bereits der andere Franzose Jean-Frédéric Neuburger in einem Solo-Rezital. Er begann mit einem kernigeren Bachstil, allerdings in der Be-arbeitung der berühmten Violin-Chaconne durch Brahms für die linke Hand. Dann die zweite Brahms-Klaviersonate in fis-moll und nach der Pause zwei französische Bro-cken, „La Valse“ von Maurice Ravel und die Sonate von Henri Dutilleux, die Gele-genheit zu ausserordentlicher Virtuosität aber auch zu einem reichhaltigen Farben-spiel gaben. Am Sonntagmorgen war es Nelson Görner, der in einem Rezital auftrat, der dieses Jahr aber auch länger in Verbier weilt und in verschiedenen Kammermusik-formationen zu hören sein wird, und abends der Grossmeister und Verbier-Dau-ergast Evgeny Kissin in Werken von Pro-kofieff und Chopin.
Don Giovanni mit Stars
In Verbier treffen sich bekanntlich die grossen Stars, ausser Evgeny Kissin und der unübertrefflichen Martha Argerich die
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ganze Familie von Mischa Maisky, die Brüder Renaud und Gautier Capuçon und eine ganze Reihe weiterer berühmter Na-men. Eine konzertante Aufführung von Mozarts „Don Giovanni“ vereinigt unter Manfred Honeck einige der grössten Ge-sangssolisten auf der Bühne wie René Pa-pe, Bryn Terfel oder Thomas Quasthoff, und indem einige wie die Gruberova (nicht ganz unerwartet) kurzfristig absagten, ge-lang es Engström über Nacht, mit Anna Samuil für Donna Anna und Annette Dasch für Donna Elvira ebenbürtigen Er-satz trotz Tour de France-Rummel per Heli einfliegen zu lassen.
Talentschmiede
Auch für die „Nacht der Pianisten“ an denen zehn der weltbesten Klavierspieler wetteifern, worunter natürlich Lang Lang und Jean-Yves Thibaudet, gab es Ab-sagen, etwa von Hélène Grimaud, wofür Kirill Gerstein und der blutjunge „Vitus“-Darsteller Theo Gheorgiu einspringen. Neben den Stars sind in Verbier immer Entdeckungen zu machen, nicht nur im Konzertsaal und der Kirche, wo junge auf-strebende Talente zum ersten Mal oder be-reits wiederkehrend auftreten, sondern auch in den Akademieklassen, bei denen nur ausgewählte Hochbegabte zugelassen und oft künftige Stars zu entdecken sind. Dies Jahr findet auch ein Dirigierkurs mit Kurt Masur statt und in zwei Sinfonie-konzerten werden die Teilnehmer dieser Klasse in Sinfonien von Mendelssohn und Schumann den Stab ergreifen.
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Verbier Festival & Academy 2008
Zukunft gesichert
23.Juli 2008 Das Verbier-Festival ist seit vergangenen Freitag in vollem Gange. Und die Zukunft des Festival-Orchesters ist ebenfalls gesichert.
Daniel Andres
Manfred
Honeck, Generalprobe mit dem Verbier Festival Orchestra in Beethovens 6.
Sinfonie. (Foto Daniel Andres)
Aus dem UBS Verbier Festival Orchestra, das seit dem Jahr 2000 besteht, wird ab 2009 das Verbier Festival Orchestra. Die UBS hat bereits letztes Jahr angekündigt, aus dem Sponsoring für das aus jungen Musikern aus aller Welt zusammengesetz-ten Orchester auszusteigen. Nun ist defi-nitiv, dass die Gemeinde Bagnes und der Kanton Wallis in die Bresche springen werden. Dadurch ist die Zukunft für diese Orchesterakademie, an der in neun Jahren 627 Musiker zwischen 16 und 29 Jahren aus insgesamt 58 Ländern teilgenommen haben für die nächsten Jahre gesichert. Einzig die Tourneen im Herbst, die dieses Jahr zum letzten Mal vier europäische Städ-te besuchen, werden aus Kostengründen wenigstens vorläufig eingestellt. James Le-vine, dieses Jahr nicht in Verbier anwe-send, wird Conductor Laureate bleiben und die jungen Orchestermusiker werden wie bisher vier Wochen vor dem Festival von Mitgliedern des Orchesters der Metropo-litan Opera Orchestra New York gecoacht.
Musikwerkstatt
Das Orchester eröffnete das Festival am Freitag unter der Leitung von Paavo Järvi mit "Don Juan" von Richard Strauss und einer fulguranten Wiedergabe der Orches-terfassung des ersten Klavierquartetts von Johannes Brahms in einer interessanten Orchestrierung von Arnold Schönberg. Radu Lupu spielte dazwischen eher blass das Klavierkonzert c-moll KV 491 von Mozart.
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Verbier ist in den letzten Tagen zur grossen Musikwerkstatt geworden, und es ist für einen Besucher völlig unmöglich, alle, teil-weise gleichzeitig stattfindenden Anlässe zu berücksichtigen. Die Auswahl ist zeit-weilig auch schwierig. So musste man sich am Dienstag zwischen einem Auftritt der grossen Dame Martha Argerich im Zelt und einem Rezital des Violinisten Renaud Capuçon entscheiden, der mit Nicolas An-gelich am Flügel in der Kirche die drei Vio-linsonaten von Johannes Brahms spielte. Dabei gab es auch schon Vergleiche, denn eine der Brahms-Sonaten hatte am Vor-abend schon der italienische Altmeister Salvatore Accardo in einem hinreissenden Rezital vorgetragen. Von der Kirche ging's ins Chalet Orny, wo am Montag der junge David Greilsammer seine eigenwillige Version aller Klavierso-naten von Mozart vorstellte (sechs Abende), die allerdings bei etlichen Hörern auf Skepsis stößt. Eindrückliche Visitenkarte Am Dienstag konnte hingegen Aleksandar Madžar mit den einstündigen Diabelli-Va-riationen opus 120 von Beethoven über-zeugen und am nächsten Vormittag ging der Marathon gleich weiter mit der gi-gantischen "Hammerklavier-Sonate" opus 106 von Beethoven. Es war der blutjunge Franzose Jean-Frédéric Neuburger, der hier eine eindrückliche Visitenkarte im Span-nungsfeld zwischen Heftigkeit und Versen-kung ablieferte.
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Es ist heuer das fünfzehnte Festival, und zu diesem Jubiläum hat Martin T. Engström nicht bloss die treuen Stars wie Martha Ar-gerich, Mischa Maisky, Lynn Harell, Ma-xim Vengerov, Joshua Bell und wie sie alle heissen, eingeladen. Eine ganze Zahl Jung-stars haben in der Verbier-Academy ihren Schliff erhalten und gehören heute wie die Brüder Renaud und Gautier Capuçon be-reits zu den Etablierten oder kommen die-ses Jahr als vollwertige Künstler zurück an den Ort ihrer Ursprünge. Zurück zum Ursprung Neben den Pianisten Jean-Frédéric Neuburger oder Jonathan Gilad gehören dazu der Geiger Kiryll Troussov und seine Schwester, die Pianistin Alexandra Trous-sova, die zusammen ein viel beklatschtes Rezital gaben, worin sie zusammen und der Geiger allein in einer der Solo-Sonaten von Eugène Isaÿe brillierten. Auch das Wun-derkind Conrad Tao, jetzt vierzehn Jahre alt, besuchte die Akademie in Verbier und erhält dieses Jahr ein eigenes Rezital, worin er unter anderem eine eigene Klaviersonate zur Uraufführung bringen wird.Wer ausser den Konzerten der Stars und der Jungstars auch noch die aufsteigenden Sterne beobachten will, kann jeden Tag in die Kurse der Pianisten, Geiger, Cellisten, Sänger und der Streichquartette sitzen und hautnah die Arbeit erfahrener Musiker wie Menahem Pressler, Bruno Giuranna oder Gabor Takacs-Nagy mit dem hochbegabten Nachwuchs verfolgen. |
Nachwuchs in den Startlöchern
4. August 2008. Das Verbier-Festival, das am Sonntag zu Ende ging, ist auch ein Klavierfestival. Neben bekannten Grössen trat eine Phalanx von zum Teil ganz jungen Pianisten auf.
Daniel Andres
Radu Lupu, Martha Argerich, Nicholas
Angelich, Stephen Kovacevich, Menahem Pressler oder Alfred Brendel sind nicht
bloss bekannte Namen, sondern teilweise schon Legende. Brendel gab in Verbier
sein Abschiedsrezital, mit dem er zur Zeit durch die Welt reist. Natürlich vor
restlos ausverkaufter Kirche und einem begeisterten Publikum, das er nach einer
meisterlich gespielten B-Dur-Sonate von Schubert mit vier Zugaben beglückte.
Menahem Pressler trat als Pädagoge an den
Masterclasses an, aber auch in Kammermusikformationen. Einer seiner Auftritte
mit Salvatore Accardo als Altmeister der Violine und zwei Jungspunds, dem
Bratschisten Antoine Tamestit und dem Cellisten Gautier Capuçon im
Klavier-quartett von Robert Schumann hinterliess einen nachhaltigen Eindruck.
Und das bei Publikum und den Ausführenden, die sich zum ersten Mal musikalisch
begegneten. Hélène Grimaud gehört auch zu den Publikumslieblingen, welche
im Schlusskonzert mit dem Konzert in G-Dur von Maurice Ravel einen ihrer
Trümpfe ausspielte.
Und Fazil Say ist häufiger Gast an den
Festivals dieser Welt, wobei seine Exzentrik dank seiner (nicht ganz
unfehlbaren) Virtuosität und einer unverkennbaren Musikalität eher zu ertragen
ist, als diejenige des jüngeren Kollegen David Greilsammer, welcher (böse
gesagt) die Misshandlung sämtlicher Klaviersonaten Mozarts wohl eher zu
Marketingzwecken be-nutzt, nach dem Motto: wer umstritten ist, schafft sich
einen Namen.
Selbstkritischer Künstler Piotr Anderszewski und Nikolai
Lu-gansky gehören nicht zu den ganz Jungen, beide traten in Rezitals und in
Kammermusikformationen auf. Luganskys Rezital mussten
wir
wegen der Fülle des
Auffallend war die Anzahl junger und jüngster
Pianisten, welche manchmal das Publikum verblüfften und manchmal auch
begeisterten. Nicht alle konnten wir anhören. Jonathan Gilad spielte ein Re-zital, auf das wir verzichten mussten. Er
hatte in Verbier vor Jahren die Academy besucht und gehört zu den Erfolgreichen,
die Festivaldirektor Martin T. Engström jetzt wieder eingeladen hat. Der Pole Rafal Blechacz war vor zwei Jahren in einem Chopin-Rezital für Lang Lang
ein-gesprungen und spielte heuer wieder ein Programm worin er erneut mit Chopin
voll überzeugte, auch mit Bach (Italienisches Konzert), aber etwas weniger mit
Liszt (Etüden) und Debussy (Estampes). Yuia Wang, zwanzigjährig und aus China,
woher schon Lang Lang und Yundi Li auf ihre Art für Furore sorgten, ist
ebenfalls eine hervorragende Technikerin, die grau-enhaft schwierige Etüden von
György Ligeti spielerisch hinlegte, aber etwa in Liszts h-moll-Sonate etwas Mühe
mit der Gesamtschau zeigte.
Kaum glaubhafte Reife Zwei ganz junge Klavierspieler
sorgten für Aufsehen. Kit Armstrong ist siebzehnjährig, sieht aber noch jünger
aus und spielte Kammermusik von Beethoven und Haydn und dazu mit dem Cellisten
Adrian Brendel eine erstaunlich reife Eigenkomposition, etwas im Fahrwasser der
Boulez-Schule, aber mit Witz. Conrad Tao ist erst Dreizehn, verblüfft aber mit
einer ungeheuren Technik und dazu mit erstaunlicher Kraft und einer kaum
glaubhaften
Reife. Er riss das Publikum mit sagenhaft ver-trackten Etüden von John
Corigliano vom Sitz, aber auch mit einer reifen "Waldstein“-Sonate von Beethoven
und Stücken von Chopin und Liszt und auch er spielte einer eigene
"Fantasy-Sonata“, die zwar stilistisch in einigen Gefilden schwärmt aber doch
von beachtlichem kompositorischem Handwerk und auch Erfindungsgabe zeugt. Und
man merkt seinem Auftreten an, dass er nicht nur in Musik ein Hochbegabter ist. Starke Persönlichkeit Auch
bei den Violinistinnen gab es junge aufstrebende Talente zu entdecken. Die
neunzehnjährige Amerikanerin Rachel Lee spielte ein beachtetes Rezital in der
Kirche. Die 22-jährige Japanerin Mayuko Kamio, Preisträgerin des
Tschaikowsky-Wettbewerbs Moskau von 2007, wies sich durch überlegene Technik
aber etwas wenig Poesie aus. Eine starke Persönlichkeit ist hingegen die
Geigerin Leila Josefowicz, die sich nicht scheute mit Schostakowitsch,
Strawinsky und dem finnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür Akzente zu setzen und
dabei beim Publikum verdientermassen bravourös ankam. Das
Festivalorchester begeisterte in der zweiten Woche mit Konzerten unter Rafael
Frühbeck de Burgos (Albeniz, Ravel, Rimsky-Korsakoff), dann unter Gianandrea
Noseda mit dem am Vorabend in einem Liederrezital grossartigen, hier etwas zu
zurückhaltenden Matthias Goerne in den "Kindertotenliedern“ von Gustav Mahler
und "Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss und abschliessend unter
Valery Gergiev in einer nichts sa-genden Uraufführung von Rodion Shchedrin und
der hervorragend aufgebauten und doch hoch expressiv und leidenschaftlich
interpretierten "Fünften" von Gustav Mahler.
Fotogalerie Verbier 2008
Der
junge Pianist Jean-Frédéric Neuburger aus Frankreich in Beethovens
"Hammerklavier"-Sonate opus 106. (Foto Daniel Andres)
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Für Fragen und
Anregungen wenden Sie sich bitte an:
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