Klassik Schweiz - Suisse classique - Swiss classic
Das Swiss-Classic-Journal
Höhepunke und Experimente Verbier-Festival: Erfolgs-Bilanz
Jung, aber meisterlicher Interpret Jan Lisiecki im Rezital und als Solist mit Orchester
Sternstunde des Klavierquintetts András Schiff und das Ebène-Quartett
Die Gunst des Publikums erobert Kammermusik: Kian Soltani und Aaron Pilsan
Lehrer und Schüler Rezitals von Sergei Babayan und Daniil Trifonov
András Schiff als Dirigent und Pianist Verbier Festival Chamber Orchestra
Ausdrucksstarke Sängerinnen "Adriana Lecouvreur" in Verbier
Kraftvoll und differenziert Streichduos und -trio
Temperament und Einfühlung Alexandra Conunova und Denis Kozhukhin
Ein bunter und farbenfroher Strauss Eröffnungkonzert
Höhepunke und Experimente
Verbier-Festival: Erfolgs-Bilanz
Das Verbier-Festival verzeichnet im 25
Jahr seines Bestehens und mit einem Jubiläums-Programm gute
Erfolge. An 59 Konzerten und 108 Masterclasses und an
zahlreichen Zusatzveranstaltungen nahmen insgesamt 63 500
Personen teil, wobei für die Konzerte 38 000 Karten, 16 Prozent
mehr als letztes Jahr, verkauft wurden.
Einige Höhepunkte des Festivals waren das Eröffnungskonzert mit
Valery Gergiev am Pult des Festival-Orchesters und auch die Oper
„Adriana Lecouvreur“ von
Francesco Cilea ebenfalls mit Gergiev als Dirigent. Es gab auch
sonst etliche Highlights aber auch Darbietungen, die knapp
Festival-Qualität erreichten. Die "Rencontres inédites",
Konzerte mit den unterschiedlichsten Künstlern und Programmen
sind manchmal ein interessantes Experiment, doch nicht unbedingt
eine Garantie für höchste Qualität. An namhaften Solisten mit
eindrücklichen Konzerten sind Evgueni Kissin, Elisabeth
Leonskaja, András Schiff, Leonidas Kavakos, Daniil Trifonov,
Daniel Lozakovitch, Lucas Debargue und Jan Lisiecki neben vielen
anderen hervorzuheben. Viel Beifall erhielt auch die
Jubiläumsgala an der fast alle Berühmtheiten der letzten
Jahrzehnte auf der Bühne wirkten. Die eindrücklichsten Konzerte
boten der Violinist Ilya Gringolts, das Ebène-Quartett und auch
die jungen Pianisten Lucas Debargue und Jan Lisiecki.
Von der Academy wurden eine Reihe Teilnehmer mit Preisen
bedacht, die höchste Auszeichnung, den Prix Yves Paternot,
erhielt der 24-jährige kanadische Violinist Timothy Chooi. Der
Preis umfasst neben einer Geldsumme auch ein Rezital am Festival
des kommenden Jahres. Einige andere Preisträger, wie der Pianist
Mao Fujita, wird man im Auge behalten müssen.
Jung, aber meisterlicher Interpret
Jan Lisiecki im Rezital und als Solist mit Orchester
Der Freitag war der Tag des
jungen kanadischen Klavierstars Jan Lisiecki. Am
Vormittag gab er ein hervorragendes Rezital in der
Kirche und am Abend sprang er für den Klarinettisten
Martin Fröst ein und spielte das Klavierkonert a-moll
von Robert Schumann.
Auch das morgendliche Konzert begann er mit Schumann,
mit den „Nachtstücken“ op. 23. Er spielt sie eher
zurückhaltend, mit kluger und klangschöner Gestaltung
der Melodien und
Nebenstimmen. Den anschliessenden Zyklus „Gaspard de la
Nuit“ von Maurice Ravel spielte er wie das ganze
Programm an zahlreichen Orten, ich hörte ihn zum dritten
Mal, wobei ich früheren Interpretationen den Vorzug
geben müsste. Es kommt immer auf den Ort, das
Instrument, das Publikum, die Tageszeit an, wie Jan
Lisiecki im Gespräch zugestanden hat. Nichtsdestotrotz
war die Wiedergabe technisch nahezu vollkommen und viele
Details und Klangfiguren gelangen wunderbar, aber im
Ganzen fehlte etwas das Zauberhafte bei "Ondine", das
Hintergründige und Sarkastische beim „Scarbo“. Das
Zauberhafte lässt sich eben nicht mit Knopfdruck
jederzeit hervorzaubern. Einmal mehr zeitlos – oder aus
der Zeit gefallen – gelang dagegen „Gibet“ in seiner
traurigen Eintönigkeit, wogegen ich den Eindruck hatte,
dass das Publikum das Stück nicht begriffen hat.
Die zweite Hälfte mit Rachmaninoffs „Morceaux de
fantaisie“ op. 3 und von Chopin Nocturne op. 27, Nr 1
und Scherzo in h-moll op. 20 gelang aus einem Guss, die
Stücke von Rachmaninoff hatten eine gewisse Vornehmheit
bei aller Attacke, und Chopin – vor allem das stürmische
Scherzo – wirkten perfekt.
Am Abend wirkte Jan Lisiecki im Klavierkonzert op. 54
nicht bloss absolut souverän, er gestaltete die
kraftvollen und vorwärtsdrängenden Partien mit
entsprechendem Elan ohne Härte und hatte das sichere und
entspannte Gefühl für die sanglichen und lyrischen
Momente und für das Zusammenwirken mit den
Orchesterinstrumenten. Er reiht sich nach meiner Ansicht
in die grossen Schumann-Interpreten ein. Wie am
Vormittag schloss er seine Vorstellung mit einer
feinsinnigen Wiedergabe von Schumanns „Träumerei“ aus
den „Kinderszenen“. Das Verbier Festival Chamber
Orchestra war sowohl beim Klavierkonzert wie bei der
nachfolgenden zweiten Sinfonie von Schumann nicht ganz
auf der gewohnten Höhe. Es fehlte ab und zu an der
letzten Präzision und die Abstimmung unter den
verschiedenen Orchestergruppen war nicht immer optimal.
Der junge Dirigent Pablo Heras-Casado dirigierte
impulsiv und wirkte durchaus souverän, eine sparsamere
Gestik und mehr Aufmerksamkeit auf den orchestralen
Ausgleich würde aber guttun.
Sternstunde des Klavierquintetts
Kammermusik: András Schiff und Quatuor Ebène
Am Donnerstag Vormittag kam es zu einer
Begegnung zwischen dem Meister des Klaviers András Schiff und dem noch
jungen Quatuor Ebène. Die Mischung war einerseits ein in der deutschen
Romantik verwurzelter Pianist mit einem französischen Quartett bei
Schumann und andererseits bei César Franck das französische Quartett mit
einem eher deutsch-österreichisch geprägten Pianisten. In beiden Fällen
gelang das Amalgam vollkommen. Das Klavierquintett
Es-Dur op. 44 war ein Erlebnis in seiner kraftvollen Dynamik wie der
erschütternden Tiefe, insgesamt ergreifend und beglückend zugleich.
Das nicht minder meisterliche Quintett des Franzosen mit deutschen
Wurzeln César Franck wurde ebenfalls in sozusagen unübertrefflicher
Vollkommenheit dargeboten. Hier war die Kombination aus
vorwärtsdrängendem Elan und geadeltem Ton hinreissend. Das Quatuor Ebène
entfaltete seine grossartigen Qualitäten, Streicher und Klavier fanden
sich im gegenseitigen Aufeinanderzugehen zu bewundernswerter Einheit.
Die Gunst des Publikums erobert
Kammermusik: Kian Soltani und Aaron Pilsan
Kian Soltani, Violoncello, und
Aaron Pilsan, Klavier spielten am Mittwoch Vormittag ein
Rezital, das vom Publikum begeistert aufgenommen wurde.
Die beiden Musiker spielen schon seit Jahren zusammen,
verfolgen aber auch einzeln eine erfolgreiche Karriere.
Aaron Pilsan nahm vor zwei Jahren an der Verbier Academy
teil, als Duo traten sie zum erstenmal in Verbier auf.
Im ersten Teil des Programms widmeten sie sich einer
Gambensonate von Bach
und der ersten Cellosonate von Johannes Brahms. Die
Sonate für Viola da Gamba und Cembalo in D-Dur BWV 1028,
so das Original, erklang stilvoll, mit fast keinem
Vibrato des Cellisten und leichtem Ton des Pianisten
(ohne den Basso continuo zu stark hervorzuheben) aber
auch gar nicht akademisch, sondern sehr schön
artikuliert und zwischen den Instrumenten ausgewogen, so
dass die Stimmführung gut verfolgt werden konnte. In der
Sonate e-moll op. 38 von Brahms konnten sie stärker in
den Emotionen schwelgen, da zauberte Kian Soltani einen
warmen, gesättigten Ton aus seinem Instrument und Aaron
Pilsan griff kräftiger in die Tasten ohne den Cellisten
klanglich zu bedrängen. Eine sehr erfreuliche
Interpretation.
Der zweite Teil brachte zuerst eine neuere Komposition
des Österreichers Thomas Larcher mit dem Titel „Mumie“,
nach den Erläuterungen des Cellisten geht es um die 5000
Jahre alte Gletschermumie „Ötzi“. Es ist eine ernste,
solide gemachte Komposition, die trotz harter Klänge und
klanglichen Verfremdungen direkt anspricht. Auch die
fünfteilige Komposition des Iraners Reza Vali fand
unmittelbaren Zugang zu den Hörern. Sie basiert auf
persischer Volksmusik und verwendet sowohl im Klavier
wie im Violoncello verfremdete Klänge, die in diesem
Zusammenhang organisch und begründet wirken. Mit dem
„Grand Tango“ von Astor Piazzolla erspielten sich die
zwei jungen Musiker endgültig die Gunst des Publikums
und ernteten frenetischen Applaus, den sie mit einem
Stück des Berner Komponisten und Cellisten Thomas
Demenga verdankten und damit noch einmal einen
Volltreffer landeten.
Lehrer und Schüler
Rezitals von Sergei Babayan und Daniil Trifonov
Am selben Tag boten
Sergei Babayan, einstmals Lehrer von Daniil
Trifonof, und sein Schüler ein Rezital. Babayan
am Vormittag in der Kirche mit Werken des
französischen Barock und Sonaten von Mozart.
Zunächst aber noch ein schwergewichtiges Stück
des Russen Vladimir Ryabov "Fantasie in c-moll
op. 21 zum Andenken an Maria Yudina".
Maria Yudina war eine russische Pianistin, sehr
fromm und anti-kommunistisch,
aber dennoch von Stalin geschätzt und verschont.
Das mehrteilige Stück von Ryabov, der am Konzert
anwesend war, schildert die Leiden der Pianistin
und baut geschickt Zitate aus dem Repertoire von
Yudina ein. Im weiteren Verlauf spielte Babayan
nicht wie angekündigt eine Suite, sondern
einzelne Stücke aus Suiten von Jean-Philippe
Rameau, dazu eine Passacaille von François
Couperin. Es war ein unübliches Programm, aber
die französischen Cembalostücke etwas zu
kraftvoll im Klang. Nach der Pause gab es zuerst
das Andante für eine Orgelwalze KV 616 von
Mozart, recht zierlich und rokokohaft oder
empfindsam vorgetragen. Die beiden Sonaten in
F-Dur KV 533 und a-moll KV 310 waren auch recht
kraftvoll im Ton, namentlich der erste Satz der
a-moll-Sonate, konnten aber durchaus gefallen in
lebendigen Tempi und deutlicher Artikulation.
Am Abend im Saal Les Combins spielte Daniil
Trifonov in der ersten Hälfte eine Hommages an
Frédéric Chopin, angefangen mit Variationen von
Frederic Mompou über das A-Dür-Prélude über
Stücke von Schumann, Grieg, Barber und
Tschaikowsky bis zu den Variationen über eine
Thema von Chopin op. 22 von Serge Rachmaninoff.
Das war etwas Vademekumhaftes an sich, und
manche Zuhörer konnten mit der Aufreihung nicht
so viel anfangen. Der zweite Teil brachte die
Variationen von Chopin über "La ci darem la
mano" von Mozart in der Fassung ohne Orchester.
Ein Frühwerk im eleganten aber doch gehaltvollen
und pianistisch reichhaltigen Stil. Von
Trifonnov entsprechend makellos und subtil
vorgetragen. Zum Schluss folgte die Sonate in
b-moll op. 35, in der sich Trifonov als
Chopin-Kenner und Chopin-Interpret bestätigte.
Es war eine reiche, kraftvolle und erfüllte
Wiedergabe, der Trauermarsch sehr langsam und
sehr ernst mit einem sehr schlichten Mittelteil
meist im Pianissimo, aber die ganze Sonate ernst
und ohne Übertreibungen oder virtuose
Zurschaustellungen.
András Schiff als Dirigent und Pianist
Das Verbier Festival Chamber Orchestra ist weit mehr als ein ad
hoc zusammengestelltes Ensemble. Die Musiker sind darin seit
mehreren Jahren engagiert und sie spielen nicht nur am Festival
sondern unternehmen Tourneen während des Jahres. So muss es
nicht erstaunen, wenn dieses Orchester, das bei Bedarf mit
Bläsern bis auf 50 Musiker aufgestockt wird, einen
hervorragenden Klang und eine erstaunliche Präzision erreicht.
Sogar ohne Dirigent
mit einer bewundernswerten Flexibilität, was am Gala-Konzert zum
25. Jubiläum trefflich bewiesen wurde.
Mit András Schiff als Dirigent und Solist bestritt das Orchester
ein schönes klassisch-romantisches Programm mit Der
„Sommernachtstraum“-Musik von Mendelssohn und der Sinfonia
concertante für Violine, Viola und Orchester von Mozart im
ersten Teil, im zweiten Teil dem Klavierkonzert f-moll von Bach
und dem ersten Klavierkonzert von Beethoven mit András Schiff am
Flügel. In Mendelssohn und Mozart zeichte Schiff als Dirigent
seine grosse musikalische Erfahrung und er leitete das Ensemble
mit knappen, doch präzisen Gesten. Die Solistinnen in der
Sinfonia concertante, Vilde Frang, Violine, und Tabea
Zimmermann, Viola, waren ein Herz und eine Seele und warfen sich
die Einsätze im besten Einvernehmen zu. Wie schon beim 5.
Violinkonzert von Mnozart einige Tage zuvor wünschte man sich
von Vilde Frang einen etwas substanziellen Ton, das war ein
vielleicht doch etwas zu zärtlicher Mozart. Tabea Zimmermann mit
einem ebenfalls schlanken aber runden Ton auf der Bratsche
wirkte da wärmer.
Das Orchester spielt nicht “historisch“ im eigentlichen Sinn,
auch wenn es etwa bei Mozart durchaus eine gute Artikulation
pflegt. Beim f-moll-Konzert von Bach war der Stil für meinen
Geschmack doch etwas zu weich und rundlich, eher leicht bei
András Schiff am Flügel. Anders bei Beethoven, wo zupackender
aber auch äusserst gepflegt gespielt wurde. Insgesamt waren die
Interpretationen sehr gediegen und nicht irgendwie aufregend,
aber sehr gefällig ohne ins bloss lieblich gefällige
abzugleiten.Fotos: Aline Paley
Ausdrucksstarke Sängerinnen
Das Verbier-Festival bringt seit etlichen Jahren auch
konzertante Opern, in diesem Jahr eine Rarität, „Adriana
Lecouvreur“ von Francesco Cilea, einem Zeitgenossen von
Mascagni und Leoncavallo. Wie immer, bietet Verbier auch
eine sängerische Starbesetzung, waren es früher oft
Leute von der Metropolican Opera New York, so standen
dieses Jahr Solisten des Mariinsky Theater von
St.Petersburg zur Verfügung und auch der Opernchor
dieses Theaters stand auf
der Bühne. Die musikalischen Fäden zog Valery Gergiev.
Die Geschichte der Schauspielerin Adrienne Lecouvreur im
Paris des frühen 18. Jahrhunderts ist teilweise
authentisch und endet, wie auch alle grossen
Frauenrollen bei Puccini tragisch. Auch in diesem Stück
ist die Handlung mit allem gewürzt, was die grosse
tragische Oper des Verismus ausmacht, Liebe und
Eifersucht, höchstes Glück und tiefste Verlassenheit,
Neid und Rache und dazu eine Prise zynische
Hinterhältigkeit in halbkomischer Form, auch etwas
Rührseligkeit fehlt nicht in der sehr langen
Sterbeszene, in der der Liebhaber wie auch bei „La
Traviata“ und „La Bohème“ zu spät kommt. Aber echte und
starke Gefühle kann die Oper schon hervor rufen, zumal
mit so hervorragenden ausführenden Kräften. Mit der
Sopranistin Tatiana Serjan erhielt die Partie der
Adriana eine höchst eindrückliche und erschütternde
Glaubwürdigkeit allein durch die sängerische
Ausdruckskraft, ihre Rivalin Ekaterina Semenchuk als
Prinzessin von Bouillon wirkte nicht viel minder stark.
Mit dem argentinischen Tenor Marcelo Puente war die
Partie des Maurizio, dem Lieberhaber zwischen zwei
Frauen, sehr glanzvoll besetzt. Auch die anderen Rollen
waren untadelig, vier kleinere Partien waren durch
Absolventinnen und Teilnehmer der Opern-Akademie besetzt
und der ganze Abend war musikalisch und sängerisch eine
Höchstleistung. Valery Gergiev holte aus dem gross
besetzten und sehr engagiert mitgehenden
Festival-Orchester alles heraus was es an Kraft und
Wucht, aber auch an Sensibilität und Klangreichtum und
vielfältigen Abschattierungen braucht. Man fragt sich
gelegentlich, was in den jungen Musikerinnen und
Musikern bei der Aufführen eines solchen Werkes vor sich
geht. Bei einer konzertanten Wiedergabe, bei der die
optische Sinnlichkeit zu kurz kommt, verlagert sich die
Aufmerksamkeit umso mehr auf die sängerische Darstellung
und das orchestrale Geschehen. Zu Recht gab es am
Schluss für alle Beteiligten sehr lang anhaltenden und
stürmischen Applaus.
einige Bilder aus der Gala zum 25. Jubiläum des Verbier-Festivals (Fotos Aline Paley, Lucien Grandjean)
Jubiläums-Gala 25 Jahre Verbier-Festival
Ich nehme meine Kritik an den Hoffotografen des Verbier Festivals
zurück, mit Aline Paley hat eine Fotografin doch noch signifikante
Bilder des Jubiläumskonzerts nachgeliefert. Es begann in einem ersten
Teil mit den Streichern. Da fügten sich alle Violin-, Bratschen-,
Cellosolisten zu einem Ensemblte und spielten das dritte
Brandenburgische Konzart von Bach und die Fantasie "Navarra" von Paplo
Sarasate in einer Orchesterversion von Dimitri Sitkovetski.
Im zweiten Teil gab es Klavier zu vier, sechs, acht und sechzehn Händen
an einem bis vier Flügeln, wobei auch selten gespielte Stücke wie die
Sonate für acht Hände von Bedrich Smetana oder Stücke von Brahms und
Rachmaninov aufgeführt wurden. Der Clou war natürlich die Ouvertüre zu
"Wilhelm Tell" von Rossini für vier Flügel und acht Pianisten, wobei nur
der letzte Teil zur Aufführung kam.
Im dritten und letzten Teil stellte sich das Kammerorchester auf und
zusammen mit dem RIAS-Kammerchor Berlin boten sie unter Gabor
Takacs-Nagy das "Ave verum" von Mozart und das "Halleluja" aus dem
Messias, gefolgt von Operettenmelodien und jazzigen Schnulzen mit Thomas
Quasthoff als gefeiertem Solisten.Das Verbier Chamber Orchestra zeigte
sich ohne Dirigent als gewieftes Ensemble im Zusammenspiel selbst in
grösserer Besetzung. Abschliessend dirigierte Valery Gergiev die
"Fledermaus"-Ouvertüre wobei wiederum die prominenten Streichersolisten
von Pinchas Zukerman bis Mischa Maisky im Orchester Platz nahmen, für
einige der berühmten Musiker vielleicht ein erstmaliges Erlebnis. Ein
bunter Strauss durch alle Stile, aber insgesamt doch von gehobenem
Niveau und qualitativ hochstehend.
Hoch intensive Kammermusik
Gestern Dienstag Vormittag in der Kirche ein Erlebnis mit dem
Violinisten Kristóf Baráti und dem Pianisten Lucas Debargue.
In der ersten Hälfte nichts Besonderes, eine schöne, detailverliebte
Wiedergabe der Violinsonate von Claude Debussy und die erste Sonate, die
liebliche „Regenlied“-Sonate von Johannes Brahms. Die hatten wir schon
vor einigen Tagen gehört, diesmal war sie um ein Weniges profilierter
und konziser, vor allem von Seiten des Pianisten.
Und dieser Pianist zog dann auch den Geiger im Schlepptau in der
Violinsonate von César Franck. Das war nun beinahe oder sogar wirklich
sensationell, so hat man dieses vielgespielte Stück noch nie gehört.
Lucas Debarque nimmt offenbar den Klavierpart der Franck-Sonate wirklich
ernst, so dass er daraus stellenweise ein Drama von ungeheurer
Intensität und Leidenschaft machte. Dabei verfehlte er die feinen Töne
durchaus nicht, im Gegenteil, er zauberte eine unglaublich breite
dynamische Palette aus dem Flügel. Aber eindrücklich und erlebnishaft
war die Wucht der Steigerungen vor allem jeweils am Schluss des zweiten
und des letzten Satzes. Das war schlicht und einfach mitreissend und
hinreissend, und das Publikum tobte am Schluss nicht bloss wegen
Effekthascherei, sondern wegen einer wirklichen und tiefgreifenden
Wirkung dieser Interpretation. Stehende Ovation und restlose
Begeisterung selbstverständlich nach dieser Performance.
Ebenfalls sehr intensiv war das Rezital des jungen rumänischen Cellisten
Andrei Ioniţă mit dem Pianisten Seong-Jin Cho in Werken von Gaspar
Cassado, Beethoven, Schumann und Schostakowitsch. Auch hier hatte man
den Eindruck, der Pianist übernehme die Führung, bei Beethovens 3.
Sonate in A-Dur op. 69 verharrte der Cellist zunächst im Wohlklang,
spätestens im Schlusssatz wenn nicht schon im Scherzo wurde auch er
aggressiver durchaus im guten Sinn. Die Fantasiestücke op. 73 von Robert
Schumann hatten romantischen Überschwang und Tiefsinn und die Sonate op.
20 von Dmitri Schostakowitsch offenbarte die jungen Künstler definitiv
als Musiker, die den Sinn der Musik zu ergründen suchen und tief ins
Wesen der Musik vorstossen. Damit können sie auch das Publikum
mitreissen und ernteten verdient tobenden Applaus und eine stehende
Ovation, was sie mit den Rumänischen Volkstänzen von Belá Bartók und
einem etwas rührselig gespielten aber offenbar tief ehrlich empfundenen
Arioso (aus einer Flötensonate) verdankten.
PS: In Verbier ist der Schlussapplaus fast immer tosend mit vielen
Bravorufen und lautem Schreien. Das liegt weitgehend am jungen Publikum
aus den verschiedenen Jugendorchestern und der Academy, und das ältere
Publikum lässt sich leicht anstecken. Ein nicht unsympathischer Zug des
Festivals, auch wenn einem das Geschrei gelegentlich zuviel wird. (Foto
Lucien Grandjean: Kristof Barati, Lucas Debargue))
Zwei Pianisten
Am Abend Evgeny Kissin in der Salle des Combins, am darauf folgenden
Vormittag Seong-Jin Cho in der Kirche von Verbier.
Der eine bereits eine altbekannte Grösse, der andere zwar Gewinner des
Chopin-Wettbewerbs 2015 in Warschau, aber gleichwohl noch nicht den
unbestrittenen Rang in der Weltklasse erreicht. Die Programme waren zum
Teil ähnlich konzipiert, Kissin mit Chopin, Schumann, Debussy und
Skrjabin, Cho mit Debussy, Schumann und Chopin. Kissins Konzert im grossen
Saal ar ausverkauft, Cho spielte in der nicht ganz voll besetzten
Kirche.
Evgeny Kissin gehört unbestritten zu den Grossen und das seit Jahren, er
ist aber nicht immer ausgeglichen, es gab Jahre, da schien er nicht in
voller Form. Aber nun schien er sich wohl zu fühlen und lächelte auch
ins Publikum bei seinen sehr zelebrierten Applaus-Auftritten. Die drei
Nocturnes von Chopin zu Beginn waren gepflegt, aber etwas flach, die
dritte Sonate von Schumann op. 14 war meisterlich und souverän gespielt,
doch es fehlte ein Quentchen Leidenschaft, vor allem im Finale. Nach der
Pause offerierte er eine Auswahl von Préludes von Claude Debussy, sechs
aus dem ersten und zwei aus dem zweiten Heft. Da offenbarte er sich als
subtiler und delikater Anschlagskünstler und er konnte die sehr
unterschiedlichen Charaktere der Stücke plastisch gestalten. Auch in der
vierten Sonate op. 30 von Alexander Skrjabin zeigte er seine
Meisterschaft, obwohl es auch hier im zweiten Teil etwas an Impetus
fehlte. Er neigt, wie schon bei Schumann an Stellen zu Leichtigkeit, wo
volles Zupacken eher angezeigt wäre. Es war ein eindrucksvolles Rezital
aber ganz packen konnte es einen nicht.
Der südkoreanische Pianist SeongJin Cho mit Jahrgang 1994 begann beide
Teiles seines Rezitals mit „Images“ von Claude Debussy. Auch er verfügt
über eine reiche und subtile Anschlagskultur, sein Debussy ist
vielleicht etwas „konkret“ doch einnehmend und vielfältige Facetten
aufzeigend. Voll überzeugend war seine Gestaltung der acht
Fantasiestücke op. 12 von Robert Schumann. Ein voller, nie harter aber
prägnanter und wo angezeigt sanglicher Klavierklang, sozusagen ideal für
Schumann und hier nun eine wirklich packende Gestaltung. Das war nicht
bloss Genuss, sondern Erlebnis. Fast ebenso packend und wirkungsvoll die
dritte Sonate op. 58 von Frédéric Chopin. Auch hier ein zupackender
Stil, manchmal fast etwas zu kraftvoll und im ersten und dritten Satz
etwas zerdehnt. Aber insgesamt lernte man hier einen jungen Pianisten
kennen, der bereits viele Verheissungen erfüllt und dessen Rezital die
Zuhörer begeistert und bereichert zurück liess. Kissin spendete drei
Zugaben, Seong-Jin Cho wurde vom Publikum zu zwei Zugaben gedrängt und
erntete am Schluss eine Standing Ovation. (Foto Evgeny Kissin Aline
Paley)
Kraftvoll und differenziert
Duos und ein Trio für Streicher mit erfahrenen Musikern, das ergab
am Samstag Abend in der wiederum gut besetzten Kirche von Verbier
ein sehr erfreuliches Ergebnis. Die erfahrenen Musiker waren der
Geiger Leonidas Kavakos und der Cellist Patrick Demenga, die sich in
Duo-Sonaten von Maurice Ravel und Zoltán Kodály hervorragend
ergänzten. Leonidas Kavakos kennt man als durchaus zupackenden
Violinisten, gleichzeitig technisch perfekt und in der Intonation
makellos. Patrick Demenga hatte ich eher feingeistig in Erinnerung.
Schon in der kühnen und zuweilen recht dissonanten Sonate von Ravel
boten sie alle Mittel auf, vom zarten (und zartesten) Pianissimo und
Legato im ersten und dritten Satz bis zu den angriffigen und
zuweilen auch harschen Tönen im zweiten und vierten Satz. Da wurde
nichts geschönt, und genau gleich ging es in der genialen und
gehaltvollen Sonate von Kodály weiter. In diesem Werk war der Ton
der Streicher in Kantilenen oder den rezitativischen und
rhapsodischen Teilen auch mal voller und intensiver und in den
folkloristischen Einlagen vor allem des letzten Satzes rhythmisch
freier, aber immer gingen die Musiker aufeinander ein und fanden zu
einem kompakten Zusammenspiel.
Im Trio Op. 9 Nr. 3 von Ludwig van Beethoven gesellte sich die
Bratschistin Diemut Poppen dazu und ergänzte das Ensemble sehr gut.
Denn wiederum ging es in diesem Werk zur Sache und es entstand eine
unzimperliche und kraftvolle und doch sehr differenzierte und
dynamisch wie klanglich hervorragend abgestufte Interpretation. Die
geniale Kammermusik des frühen Beethoven entstand so frisch und
adäquat und löste viel verdienten Beifall aus. Die Zugabe eines
Scherzo aus einem anderen Trio von Beethoven war das Tüpfelchen aus
I eines bemerkenswert gelungenen Kammermusikabends.