Klassik Schweiz - Suisse classique - Swiss classic
Das Swiss-Classic-Journal
Biel - Musiktheater
Grausam und ergreifend
„Mazeppa“ von Peter I. Tschaikowsky
Es war einmal mehr eine Meisterleistung was auf der Bühne und im Orchestergraben des Bieler Stadttheaters vollbracht wurde. Die Oper „Mazeppa“ von Peter I.Tschaikowsky gelangte zu eindrücklicher, packender und auch stark erschütternder Wirkung. Es ist ein grausames Werk das von Beginn an auf ein schreckliches Ende zusteuert, und das auf mehreren Ebenen zugleich.
Dass das Geschehen auf der Bühnen Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen aufweist, ist einerseits Zufall, andererseits aber auch ein Zeichen, dass menschliches Machtstreben, Überheblichkeit, Krieg und Gewalt früher wie heute zu absolut zerstörerischen Ergebnissen führen. Nicht bloss Häuser, Städte und Länder werden zerstört, auch die beteiligten Menschen sind am Schluss physisch und seelisch vernichtet.
Rein künstlerisch war die Aufführung ein ungeheuer fesselndes Ereignis. Musikalisch schuf Tschaikowsky eine ungemein reiche Partitur mit einem Orchesterpart, der die Worte und die Handlung nicht bloss stützt, sondern auf vielfältige Weise untermauert. Eine Musik, die zärtlich und liebevoll und auch martialisch kriegerisch, schmerzvoll und grausam sein kann, aber nicht bloss illustrativ, sondern im Innersten von Inspiration und kompositorischer Meisterschaft erfüllt ist. Der Schluss mit Maria und dem sterbenden Andrej ist von unsäglicher, ergreifender Wirkung.
Die Aufführung selbst verdient grösstes Lob in jeder Hinsicht. Wo soll man anfangen! Ein grossartig spielendes Orchester mit einem überlegenen Dirigenten Yannis Pouspourikas erzielt auch in kleiner Besetzung Farbigkeit, Fülle und Zartheit. Wunderbar. Die Gesangspartien sind ausnahmslos hervorragend besetzt. Wo soll man anfangen! Aleksei Isaev als Mazeppa, Askar Abdrazakov als Kotschubej mit machtvollen Stimmen aber auch ungemein wandlungsfähig, Igor Morozov als Andrej mit einem betörenden Tenor und sehr anrührender Darstellungskunst, Jordana Milkova eindrücklich a,s Ljubov und Eugenia Dushina als überwältigend grossartige Gestalterin der Rolle der Maria. Wobei man einige schrille Töne gerne überhört, angesichts der hinreissend ergreifend einfühlenden Darstellung und stimmlîchen Gestaltung in den Schlussszenen. Nicht zu vergessen Javid Samadov als Orlik,beg Konstantin Nazlamov als Iskra und Xuema Liu als betrunkener Kosak. Und schliesslich ein mannigfach herausgeforderter Chor (Leitung Valentin Vassiliev), der die ansehnliche Partie bewunderswert meistert.
Und zur Gesamtwirkung gehören die sehr werkdienliche Inszenierung von Dieter Kägi, wie das Bühenbild von Dirk Hofacker wie die Lichtgestaltung von Mario Bösemann. Die ganze leitende Equipe des Theaters hat natürlich einen lobenswerten Anteil an einer Aufführung, die die Zuschauer begeistert, aber auch nachdenklich und erschüttert zurücklässt.
2021
Eiger, ein Todesdrama am Berg
Die Uraufführung der Oper „Eiger“ von Fabian Müller zu einem Libretto von Tim Krohn war an der Premiere in Biel ein triumphaler Erfolg. Sänger, Darsteller, Orchester und Dirigent, das Regie-Team und schliesslich der Komponist durften am Schluss jubelnden Applaus entgegen nehmen.
Eine Oper, das ist vor allem Musik, und Fabian Müller hat zu der Geschichte einer missratenen Erstbesteigung der Eiger-Nordwand eine packende und ausdrucksvolle Musik geschrieben. Die Partitur hält sich in traditionellen Bahnen, sie besticht aber vor allem durch ihre Farbigkeit, die dem tragischen und unheimlichen Stoff mit dunklen und auch scharfen, gelegentlich ins Mystische gleitenden Klängen sehr gerecht wird. Das Orchester unter dem Dirigat von Kaspar Zehnder hat die Ideen des Komponisten hervorragend umgesetzt. Trotz der gegenüber der ursprünglichen Partitur etwas reduzierten Instrumentierung wurde das Klangbild sehr eindrücklich verwirklicht.
Es war nicht unbedingt einfach, die Handlung bühnengerecht umzusetzen, Die Inszenierung von Barbara-David Brüesch hat die Aufgabe hervorragend gelöst, wobei Darstellern und Sängern ein grosser physischer Aufwand zugemutet wird. Aber die Geschichte wirkte so glaubwürdig und eindrucksvoll. Es ist auch ein starker Text, der von Tim Krohn verfasst wurde und der wirkungsvoll zur Geltung kam. Er spart auch die zu jener Zeit herrschenden politischen Spannungen in Deutschland und Österreich nicht aus.
Das ist natürlich auch ein Verdienst der vier Hauptdarsteller Alexander Kaimbacher (Toni Kurz), Robert Koller (Andreas Hinterstoisser), Wolfgang Resch (Eduard Rainer) und Jonathan Macker (Willy Angerer). Sie hatten einerseits schwierige Gesangspartien zu bewältigen und waren andererseits in anforderungsreiche Kletterpartien verwickelt und brachten es zudem fertig, die jeweiligen Persönlichkeiten eindringlich zu verkörpern. Namentlich Alexander Kaimbacher konnte den letzten Überlebenden der Partie, Toni Kurz; sehr ergreifend in seinem letzten Überlebens- oder Todeskampf erleben lassen. Die Nebenrollen von Liesl Kurz (Adi Denner), Retter (Konstantin Nazlamow und der allgegenwärtige Albert von Allmen (Walter Küng) sowie die Stimme von Natalia Pastrana als Berggeist bereicherten die Szene.
Ebenso gelungen war die Bühneneinrichtung von Alain Rappaport, die eine gewisse Verfremdung des Geschehens erlaubte und zusammen mit den Videos von Georg Lendorff und der Lichtgestaltung von Natalie Widmer wiederum wirkungsvolle und eindrückliche akustische und optische Effekte hervorbrachte.
Es ist insgesamt eine höchst gelungene Umsetzung von Handlung und Musik, eine bewundernswerte Leistung mit den Mitteln einer kleinen Bühne, welche Komponist und Textdichter in höchstem Mass gerecht wurde. Mut und Übermut, unmenschliche Herausforderung gegenüber einer unbarmherzigen Natur, Überwindung der Schwerkraft und übermenschlicher Kampf gegen das Schicksal sind die Inhalte dieses Dramas. Das kam in Werk und Aufführung fesselnd zur Geltung.
2017/18
15. September 2017 Don Bartolo und Figaro als Mafiosi "Il Barbiere di Siviglia"
3. Novemb er 2017 Eine dunkle Geschichte "Marie und Robert"
Eine dunkle Geschichte in dunklen Farben
Das Theater Biel Solothurn wartet mit einer neuen Oper auf. Der Auftrag ging an den Komponisten Jost Meier, dessen Œuvre bereits fünf Opern umfasst und der zehn Jahre lang musikalischer Leiter von Orchester und Theater in Biel war.
Den Text schrieb Hansjörg Schneider, der auch schon die Libretti mehrerer Opern von Jost Meier verfasst hat. Der Stoff stammt aus einem Mundartdrama des früh ums Leben gekommenen Paul Haller, es ist ein unlösbares Drama zwischen zwei Liebenden, die eine soziale Kluft trennt und dies in einer Zeit, da die sozialen Kämpfe in der Schweiz im Generalstreik von 1918 einen Höhepunkt erreichen.
Das Stück ist holzschnitzartig in kurze Szenen gegliedert. Die Mutter von Robert, Frau Schödler (Franziska Hirzel) sitzt während der ganzen Aufführung auf einem Rollstuhl auf der Bühne. Robert (Geani Brad), ein Arbeiter und nebenamtlicher Bauer, der es angesichts widriger Umstände nie auf einen grünen Zweig bringt, ist zerrissen zwischen der Loyalität mit den streikenden Arbeitern und der Schuld gegenüber dem reichen Wirt und Kreditgeber Theophil (Boris Petronje), der auch noch seine Liebe Marie geheiratet hat. Marie (Leila Pfister) liebt trotz ihrer Heirat mit Theophil immer noch Robert und versucht ihm zu helfen, was er partout nicht annehmen kann. Im Hintergrund wirken die streikenden Arbeiter (Chor des Theaters, Leitung Valentin Vassilev) und dazwischen bedrängt ein Immobilienmakler Müller (Konstantin Nazlamov) den Robert. Die Anlage des Werks ist so, dass von Anfang an klar ist, dass es zur Katastrophe kommen muss und trotzdem lebt man die Konflikte mit und es kommt zum Mord oder Totschlag, den keiner wahr haben will, eine Schuld, die keine sein soll und doch kommt es zu keiner Lösung.
Diese Härte und Unerbittlichkeit des Geschehens spiegelt sich in der Musik von Jost Meier, die über weite Strecken auch hart ist mit Schlägen der reich besetzten Perkussion, mit harten Klängen des Blechs und schroffen Einsätzen der Streicher. Aufhellungen gibt es bei den Träumen und Erinnerungen der beiden Liebenden. Die musikalische Komposition kennt kaum Kontinuität und wird immer wieder durchbrochen, es gibt ganz wenige Stellen, an denen etwas schon Gehörtes aufklingt und eine Klammer setzt. Aber die Musik hat auch sehr viele Farben, wenn auch meist im dunklen Bereich. Wirklich berührend ist der Auftritt des weiss gekleideten Mädchens (Shirin Patwa), das in einem Melodram mit unschuldiger Stimme den Kern des Dramas als Geschichte vorliest und davor und dazwischen verspielt Seilehüpfen betreibt.
Hervorragend die sängerischen und darstellerischen Leistungen aller Beteiligten. Eine stille und doch sehr präsente Mutter Dödler. Ein aufbegehrender und doch resignierter Robert. Eine immer noch an ein gutes Ende glaubende und hoffende Marie. Ein so gar nicht schlechter Mensch Theophil und ein selbstverständlich nur das Beste wollender Agent Müller. Der Chor meistert den nicht einfachen Part sehr gut. Das engagiert mitgehende Orchester unter der überzeugenden Leitung von Kaspar Zehnder meistert die schwierige Partitur sehr lobenswert.
Insgesamt erlebt man eine Aufführung (Inszenierung Reto Nickler) die wirklich sehr glaubwürdig wirkt in einem einfachen und passenden Bühnenbild von Christoph Rasche und ebenso passenden Kostümen von Katharina Weissenborn.
Don Bartolo und Figaro als Mafiosi
Der „Barbiere di Siviglia“ ging letzten Freitag wieder einmal über die Bühne des Bieler Stadttheaters. Der Premierenbeifall war laut und lang, und es war sicher eine sehr erfreuliche Leistung aller Beteiligten. Beginnen wir bei der Musik. Trotz ein paar unpräzisen Einsätzen im Orchester und trotz einem anfangs etwas wackligen Klangbild und trotz zu Beginn einigen etwas langsamen Tempi war der Gesamteindruck ein guter. Franco Trinca gelang insgesamt eine musikalisch frische und ohrengefällige Aufführung, und musikalisch wie sängerisch kam auch im Laufe des Abends eine Steigerung zustande . Man erlebt es oft, dass zu Beginn einer Premier noch etwas Unsicherheit in der Luft liegt, die nach einer Aufwärmzeit überwunden wird. Die Solisten waren im Gesamten auf der Höhe ihrer Aufgabe und auch der Männerchor sang in seinen relativ kurzen Auftritten sauber und mit klanglicher Geschlossenheit. Alle Partien waren gut besetzt und überzeugten bis zum Schluss sängerisch wie darstellerisch. Manuel Nuñez Camelino spielte einen dandyhaften Grafen Almaviva und sein schlanker Tenor gefiel ebenfalls. Leonardo Galeazzi war ein glaubwürdiger Bartolo und spielte die komische Rolle ohne Übertreibung aber umso echter. Auch Boris Petronje schlüpfte echt in die Rolle des Basilio und brachte eine wuchtige Arie mit „una calomnia“. Die Hauptfiguren Rosina (Reut Ventorero) und Figaro (Geani Brad) konnten sich im Laufe des Abends prächtig entfalten, die Rosina, etwas zu sehr in die Rolle der "femme fatale" gedrängt, mit einigen schrillen Tönen im Forte und der Figaro anfangs fast etwas schwerfällig. Auch Konstantin Nazlamov als Fiorello wie auch als Offizier sowie Orsolya Nyakas als Berta konnten komödiantisch und sängerisch ihre Aufgabe bestens erfüllen.
Joël Lauwers hat die Komödie ins Mafia-Milieu verlegt und da gab es zusammen mit dem Bühnebild und den Kostümen von Poppi Ranchetti durchaus stimmige Momente. Aber es gab auch wie immer bei den Umsetzungen in einem epochefremden Milieu auch Unstimmiges. Es wurde zuviel mit Revolvern und mit Gewehren herumgefuchtelt auch wo es gar keinen wirklichen Anlass gab, wie gleich zu Beginn wo der arme Fiorello dann auch noch unnötigerweise erschossen wurde und den halben ersten Akt als Leiche auf der Bühne liegen musste. Auch der Schuss auf Don Bartolo war unmotiviert, wobei dieser im Gegensatz zu Fiorello wunderbarerweise wieder auferstand, weil man ihn im zweiten Akt noch brauchte. Aber die Oper ist ja als solches meist unlogisch und so liess das Publikum diese und andere Widersprüche gnädig durchgehen und spendete auch der Inszenierung reichlichen Applaus.
2016/17
16. Dezember 2016 Zwei komische Einakter "Il nevrastenico" und "Gianni Schicchi"
4. November 2016 Ein Abend der bewegt und erschüttert Die "Weisse Rose" von Udo Zimmermann
23. September Musikalisch und optisch hoch erfreulich (Don Pasquale von Donizetti)
2013/14
20. September 2013 Turbulente Buffo-Oper (Rossini, "Il Turco in Italia"
2012/13
22. Februar 2013 Weder Kostümfest noch Hitparade (Rigoletto von G.Verdi)
2. November 2012 "Eugen Onegin" als Kammerspiel
21. September 2012 Mozarts "Sturm und Drang"-Oper ("Idomeneo, Re di Creta")
2011/12
20. April 2012 Spionage, Liebe und bornierte Obrigkeit (Albert Lortzing, "Zar und Zimmermann")
2. März 2012 Glanz der Stimmen (Vincenzo Bellini, "I Puritani" )
16. Dezember 2011 Helena liess sich willig entführen (Offenbach, La Belle Hélène)
28. Oktober 2011 Buffonesk-dramatisches Nachtstück (Mozart, "Don Giovanni" )
10. September 2011 Aus dem Vergessen geholt (Premiere "Antigona" von Joseph Mysliveček)
9. Juni 2011 Quirlige Liebeskomödie (Il curioso indiscreto von Pasquale Anfossî) Opernstudio
5. Mai 2011 Geheimnisvolles Verschwinden (Tagebuch eines Verschollenen)
15. April 2011 Multikulti auf die witzige Art ("L'Italiana in Algeri", von Giacchino Rossini)
3. März 2011 Kräftige Farben, starkes Licht ("Macbeth" von Giuseppe Verdi)
17. Dezember 2010 "Gräfin Mariza", Operette von Emmerich Kalmán
22. Oktober 2010 "Ezio", Oper von Georg Friedrich Händel
2009/10
9. April 2010 Rossinis erste tragische Oper (Rossini, "Tancredi")
25. Februar 2010 Macht, Rivalität und Traumatisierung (Verdi, "Il trovatore")
18. Dezember 2009 Alter Lüstling und falscher Graf (Lehar, "Der Graf von Luxemburg")
23. Oktober 2009 Zwei Ehebrecherinnen (Martinu und Ravel, zwei Einakter)
11. September 2009 Possenhaft, doch nicht oberflächlich (Premiere "Zauberflöte")
2008/09
1. Dezember 2008 Erfrischende und prickelnde Persiflage ("La Périchole" im Stadttheater
23. Oktober 2008. Triumpf für „Lucia“ (Lucia di Lammermoor, Premiere)
2. September 2008 Hörenswerter "Don Giovanni"
Saison 2016/17
Zwei komische Einakter auf Biels Opernbühne
it zwei komischen Einaktern der Opernliteratur begeisterte das Theater Biel Solothurn das Bieler Premierenpublikum. Zunächst begegnete man der musikalisch und textlich leichtgewichtigen aber witzigen Komädie „Le notte di un nevrastenico“ von Nino Rota. (Libretto Riccardo Bacchelli). Es ist eine Nacht eines Schlafgestörten in einem Hotel. Er hat die Zimmer neben seiner Bleibe auch dazu gemietet um ungestört zu sein, doch der Portier hat geschäftstüchtig die Räume doch mit Gästen besetzt, und so kommt es zu den unvermeidlichen Ärgernissen. Michele Govi mimt und singt den aufgebrachten Neurasteniker sehr echt, und die Störefriede Konstantin Nazlamov (Commendat ore) und Clara Meloni sowie Gustavo Quaresma als lärmiges Liebespaar füllen ihre Rollen auch mit sichtbarer Lust aus. Weitere meist kleinere Rollen werden von Nadja Nigg (Cameriera), Eric Martin-Bonnet (il Portiere) Nora Bertogg (Lift) Mikhanyiseli Mlombi (Facchino) und Valentin Vassilev (Cameriere) ebenso lustvoll ausgeführt. Dabei verlangt die Partitur auch von den kleinen Rollen Etliches an Präzision und auch die Choreografie von Felix Duméril stellt Ansprüche an die Exaktheit und Koordination der Bewegungsabläufe. Andreas Zimmermann hat in einem einfachen Dekor die Posse inszeniert und Marco Zambelli dirigiert die unterhaltsame und doch in der Silvielfalt anspruchsvolle Musik. Das Ganze ist eine sehr amüsante und federleichte Geschichte, die schon vor der Pause für viel Beifall sorgte.
Kaum zu überbietender Michele Govi als „Gianni Schicchi“
Im zweiten Teil kommt die einzige Komödie von Giacomo Puccini, der geniale Wurf „Gianni Schicchi“ zur Aufführung. Da stimmt aus der Sicht des Zuschauers und Zuhörers so ziemlich alles, vom wiederum einfachen aber stimmigen Bühnenbild (Marco Brehme), den Kostümen (Dorothea Scheiffarth, dem Licht und der Inszenierung bis zur Musik.
Beginnen wir bei der umwerfend genialen und dramatisch stimmigen Musik von Puccini, die von Marco Zambelli am Pult und den Musikern des Orchesters packend und farbenreich verwirklicht wird. Die Sänger und Sängerinnen, allen voran die Titelfigur „Gianni Schicchi“ von Michele Govi, singen und spielen auf sehr hohem Niveau. Michele Govi ist in Hochform und ist in jeder Beziehung in dieser Rolle kaum zu überbieten. Neben ihm gefallen die Sopranistin Clara Meloni als Lauretta und der Tenor Gustavo Quaresma als Rinuccio mit jungen Stimmen und frischem Spiel. Die Inszenierung von Andreas Zimmermann und die Choreografie von Felix Duménil machen auch in dieser Komödie aus den zahlreichen kleinere Rollen der zerstrittenen Erben, des Arztes, des Notars bis zur Leiche des Buoso Donati eine bildhafte Einheit, bei aller Lebendigkeit und auch der Individualisierung der einzelnen Figuren. Es ist insgesamt ein genussvoller Abend mit begeistertem und verdientem Premierenapplaus
Ein Abend der bewegt und erschüttert
Was für eine eindrückliche Aufführung eines
eindrücklichen Werks. Die „Weisse Rose“ von Udo Zimmermann, Szenen für zwei
Sänger und fünfzehn Instrumentalisten, erfuhr am Bieler Stadttheater eine
beeindruckende Premiere, welche die Zuschauer berührte und auch
erschütterte.
Foto
Sabine Burger
Die zwei Darsteller, Marion Grange und Wolfgang
Resch in den Rollen der Geschwister Scholl, Stunden und Tage vor ihrer
Hinrichtung durch das Nazi-Regime, erfüllten die Gestalten mit einer Präsenz
und einer Intensität, die echt und glaubwürdig wirkte. Es gibt keine
eigentliche Handlung, es sind bloss Texte aus Briefen und Tagebüchern von
Sophie und Hans Scholl. Das Bühnenbild ist ein Käfig oder eine Zelle,
unentrinnbar, und gegen Ende schliessen sich die Wände und scheinen die
beiden Menschen zu erdrücken. Gekonntes Spiel mit Licht und Dunkelheit
unterstreicht das Bedrückende und gelegentlich auch Hoffnungsvolle der
Texte. Zitate aus Psalmen ergänzen die persönlichen Texte und so ein Psalm
in der Mitte, ein Notschrei zu einem fernen Gott, ist vielleicht die
erschütterndste Szene. Regisseurin Anna Drescher hat die Darsteller in dem
Käfig mit hoffnungslosem Umhergehen, mit sinnlosem Stemmen gegen die Wände,
mit ausdruckslosem Sitzen an den Wänden in eine Bewegung gesetzt, die mit
den Texten und mit der Musik übereinstimmt und so die ganze Inszenierung zu
einem Ganzen werden lässt.
Die Oper lebt auch ganz stark von der Musik.
Udo Zimmermann hat eine Partitur geschaffen, welche die Hofffnungslosigkeit,
die Auflehnung, die Verzweiflung, den Willen zum Widerstand und das
Aufbegehren in grossartiger Weise und äusserst differenziert in Musik
umsetzt. Und die fünfzehn Instrumentalisten unter Kaspar Zehnders Leitung
setzen die Partitur auch mit Engagement und Können um, die Musik in ihrer
Umsetzung ist ein ganz wesentlicher Bestandteil auch der Betroffenheit und
der Erschütterung, die das Werk auslöst. Es gab einen dankbaren und
anhaltenden Applaus für alle Beteiligten, für Sänger/Darsteller, Regie und
auch für die Musiker, die für einmel den Applaus auf der Bühne
entgegennehmen durften. Ein sehr bewegender Abend.
Musikalisch und optisch hoch erfreulicher „Don Pasquale“
Eine Premiere der Oper „Don Pasquale“ von Gaetano Donizetti im Bieler Stadttheater die rundum erfreute. Die in Opere buffe immer wieder nacherzählte Geschichte des alten Hagestolz, der sich ein hübsches junges Mädchen erwählt aber damit eine Liebe eines jungen Paars zerstört und der am Schluss den Kürzeren zieht. In der Inszenierung und mit Dekor und Kostümen von Pierre-Emmanuel Rousseau wird dieses auf die Commedia dell“Arte zurückgehende „Märchen“ so verspielt, witzig, manchmal bewusst an die Grenzen des Kitsch gehend, aber mit diesen Grenzen eben auch ganz verspielt umgehend, umgesetzt, dass es ein Vergnügen und eine Freude ist.
Dottore, Norina, Ernesto Foto: Ben Zurbriggen
ptisch mit einem Bühnenbild, welches das Irreale unterstreicht, das wirklich Dekoration ist und dabei mit zweidimensionalen Elementen arbeitet, die wiederum so verschoben werden können, dass ständig neue Räume entstehen. Genial einfach und einfach genial die Szene mit dem Liebesduett des jungen Paars im dritten Akt, wobei die Beleuchtung noch dazu beiträgt, eine rosarote Stimmung mit allen Ingredienzen einer romantischen Liebesszene und gleichzeitig so abstrahiert und verspielt überhöht zu erzeugen. Die wunderschöne Musik des Duetts von Donizetti kommt darin auch hervorragend zur Geltung. Es ist dem Regisseur im Ganzen gelungen , eine stimmige Verbindung zwischen der irrational dargestellten Handlung, den durchaus lebendig wirkenden Figuren, die nicht aus Pappe sind und der Musik, welche das Ganze trägt, zu erschaffen. Die Kostüme lehnen sich teilweise an die „klassischen“ der Commedia dell'Arte an, so ist Ernesto als Pagliaccio verkleidet und es gibt den Arlecchino und den Dottore wie auch den Notario, wobei sie in der Oper von Donizetti nicht immer exakt den alten Rollenbildern entsprechen.
Die sängerische Besetzung ist ausgezeichnet und lässt eigentlich keine Wünsche offen. Leonardo Galeazzi läuft im Laufe des Spiels sängerisch und darstellerisch immer mehr zu Höchstform auf. Francesco Salvadori ist zu Beginn als Dottor Malatesta – wie fast alle – noch etwas verhalten (Premierennervosität), aber auch er entwickelt sich immer mehr zum raffinierten Drahtzieher und gewandten Sing- und Sprechkünstler. Antonio Figueroa betört ab dem zweiten und dritten Akt immer mehr durch einen weichen, geschmeidigen Tenor. Der Notar von Mkhanyiseli Mlombi, der über das ganze Stück auch die stumme aber wendige und körperlich präsente, aussagekräftige Rolle des Arlecchino übernimmt, ist ein weiterer gelungener Mosaikstein der Aufführung. Und Anne-Florence Marbot ist als Norina und Sofronia stimmlich und darstellerisch ein Hihglight und umwerfend stark. Sie wäre in der Commedia die Colombina, ist aber bei Donizetti in der Inszenierung von Pierre-Emmanuel Rousseau alles, von der naiven gespielten Unschuld bis zur raffinierten Tyrannin und echten Liebhaberin.
Das Orchester unter Franco Trincas Gesamtleitung klingt gesamthaft gut, manchmal etwas laut im kleinen Raum, ist aber eine tragende Stütze für die Sänger und bringt die recht farbige Partitur von Donizetti wirksam zur Geltung, und auch der Chor (Leitung Valentin Vassilev) liefert in kurzen Auftritten heitere Farbtupfer im Geschehen. Also auch musikalisch ist die Aufführung eine wahre Ohrenweide.
Daniel Andres
Saison 2013/14
20. September 2013
" Il Turco in Italia"
Turbulente Buffo-Oper mit brillanten Sängern
Eine stark bejubelte Premiere von „Il Turco in Italia“ von Giacchino Rossini erlebte das Theater Biel Solothurn am Freitag im Bieler Stadttheater.
Es war eine turbulente, witzige, manchmal fast zu spassige Aufführung mit hervorragend besetzten Rollen. Der grosse Beifall am Schluss galt nicht nur den Sängern, auch Regisseur Pierre-Emmanuel Rousseau und Dirigent Marco Zambelli wurden mit Bravorufen überhäuft.
„Il Turco in Italia“ (Der Türke in Italien) ist Rossinis neunte Oper und entstand 1814 – Rossini war 22 Jahre alt – für die Scala di Milano. Sie hatte zunächst weniger Erfolg als „Die Italienerin in Algier“ oder der später entstandene „Barbiere di Sevilla“. Grob gesehen ist es eine einfache Komödie nach vorhandenem Muster: ein Türke kommt nach Italien um die dortigen Bräuche zu studieren und verliebt sich prompt in die verheiratete Fiorilla, die dazu noch einen Liebhaber hat und sich offen wenig um Treue schert. Da ist aber noch die Zigeunerin Zaida, welche einmal zum Harem des reichen Türken gehört hat und ihn gerne zurück erobern möchte. Die üblichen Wirren entstehen, und der Kampf der Rivalinnen, der bis zum handfesten Streit geht, trägt auch zur Unterhaltung bei. Da ist aber beim Theatergenie Rossini noch eine weitere Ebene, denn das Spiel läuft auf zwei Schichten.
Nicht eindimensional
Der Dichter Prosdocimo sucht Stoff für eine neue Oper und findet in der Ankunft des Türken schon mal den Anfang einer Handlung. Er tut tatkräftig das seine, um die Aktion weiter zu entwickeln und so entsteht auf der Bühne gleichzeitig auch das Buch zur neuen Oper. Für Rossini und seinen Textdichter Felice Romani bleibt es auch nicht bei der blossen Verwirrungskomödie nach Vorbild der Commedia dell'Arte, sondern im zweiten Akt kommt doch noch eine menschlich-tragische Dimension hinzu. Die untreue Fiorilla wird von ihrem Gatten Don Geronio verstossen, der Türke ist mit Zaida abgereist und Fiorilla bleibt verlassen und müsste voll Schande in ihr armes Dorf zurück woher sie stammt. In dieser Not entstehen aus der Feder Rossinis neue, bewegende und anrührende Töne, die auch das Herz Geronios erweichen und zum – vom Poeten Prosdocimo angestossenen - Happy-End führen.
Ein deftiges Gaudi
Im ersten Akt wird in einem sehr verspielten und beweglichen Bühnenbild (nach Entwürfen des Regisseurs) der Trubel fast zu weit getrieben. Es herrscht ständige Betriebsamkeit und gelegentlich kippt die Komödie in die Posse um. Die Aktion wird fast zu deftig realistisch, wobei die Sänger gelegentlich auch noch zum Chargieren neigen, und zusammen mit dem (wahrscheinlich gewollt) etwas kitschigen Bühnenbild glaubt man sich eher in einer Operette, wäre nicht die brillante Musik von Rossini. Es gibt aber auch viele amüsante Szenen zwischen den unverhohlen flirtenden und eindeutig erotisch anmachenden Protagonisten Selim, ein herrlich komischer Michele Govi, und Fiorilla, einer sich nicht zurückhaltenden Rosa Elvira Sierra, wobei die füllige Zigeunerin Zaida, mächtig aufspielende Angélique Boudeville, auch nicht zurücksteht und keineswegs mit ihren Reizen geizt. Der erste Akt wird so zum etwas zu drallen Gaudi. Wobei die Darsteller aber musikalisch in den virtuosen Gesangsstücken brillieren.
Charakterisierungskunst
Der zweite Akt ist – wie angetönt – dramaturgisch anders angelegt, und so gibt es zum Einen den Ausgleich zum reinen Trubel durch ernstere Szenen, andererseits ist der Festball, wo die Verwechslungen auf die Spitze getrieben werden, hervorragend angelegt und ist ein dramatischer und musikalischer Höhepunkt der Oper mit Chor und dem ganzen Ensemble. Da und auch später, in der Szene mit der verlassenen Fiorilla, wird man in der psychologischen Dimension an Szenen aus Mozarts „Cosí fan tutte“ oder „Don Giovanni“ errinnert. Wobei eben auch Rossinis Musik im Ganzen und in diesen Schlüsselszenen von Farbigkeit und Einfällen aber auch von Charakterisierungskunst sprüht. Rosa Elvira Sierra kann in dieser Szene neben gesanglicher Bravour auch ihre ganzen gestalterischen Fähigkeiten in die Waagschale werfen.
Erfahrener Dirigent
Neben Rosa Elvira Sierra, Michele Govi und Angélique Boudeville überzeugen auch Marian Krejčik als Don Geronio, Bjidar Vassilev als Poet Posdocimo sängerisch und darstellerisch. Enrico Iviglia in der Partie des Don Narciso findet schöne Töne im Mezzavoce und bringt auch blitzsaubere Koloraturen in seiner Arie im zweiten Akt, wirkt in der Höhe und im Forte etwas weniger sicher. Fernando Cuellar charaktierisiert den etwas verbissenen und eifersüchtigen Albazar. Der Chor, vorbereitet von Valentin Vassilev, ist tatkräftig, weitgehend präzis und einsatzfreudig.
Mit Marco Zambelli stand ein sichtlich und hörbar erfahrener Dirigent am Pult und dirigierte einen sprudelnden und präzisen Rossini, wobei das Orchester ausgezeichnet mitging und als Ganzes wie auch in bemerkenswerten Soli, etwa des Hornisten, prächtig aufspielte. Bereits nach dem ersten Akt war der Jubel gross und am Schluss steigerte er sich in Ovationen für das Ensemble, den Regisseur und den Dirigenten.
Saison 2012/13
Weder Kostümfest noch Hitparade
Rigoletto von Giuseppe Verdi im Bieler Palace-Theater
Daniel Andres
„Rigoletto“, vielleicht die populärste und bekannteste Oper von Giuseppe Verdi, mit ihren Hits „La donna e mobile“ „Questa o quella“ und anderen schönen Melodien. Wie offenbar vor kurzem auch in Zürich, ist der Bieler „Rigoletto“, inszeniert von Beat Wyrsch, dem bald scheidenden Theaterdirektor, kein Kos-tümfest und keine zum Mitsingen einladende Hitparade, sondern eine harte und düstere Geschichte. Im Gegensatz zu Zürich gab es an der Premiere vom vergangenen Freitag im Palace-Theater auch für die Inszenierung keine Buhrufe, sondern nur lang anhaltenden Applaus und viele lautstarke Bravorufe. Und mit Recht. Die Bravorufe galten vor allem Mi-chele Govi als grandios überzeugendem Darsteller der Titelfigur, aber auch Rosa Elvira Sierra, als rührende und gesanglich brillante Gilda und auch Ricardo Mirabelli, der mit schlanker Stimme (die Partie ist für lyrischen Tenor oder jugendlichen Heldentenor) doch glanzvoll, wen auch etwas metallischem Glanz den Duca di Mantova sang.
Verzicht auf Schwarz-Weiss
Keine Buhrufe aber auch keine Bravos am Ende für die Regie, und doch liess die Inszenierung keineswegs kalt. Beat Wyrsch (Regie) und Martin Warth (Bühnenbild und Kostüme) verzichteten auf allen Prunk, erzeugten aber sehr wirkungsvolle Bilder. Die nachgebaute kleine Thea-terbühne hatte einerseits symbolischen Charakter: das Theater ist nicht das wahre Leben, aber das wahre Leben ist sehr oft Theater. Aber Beat Wyrsch verzichtete auch auf Schwarzweiss-Zeichnung der Charaktere. Der Duca ist nicht bloss Bösewicht, sondern erweckt (wie Mozarts „Don Giovanni“) durchaus auch Sympathien, die ihm auch das Leben retten; beide Geliebte, obschon sie wissen, dass sie betrogen werden, wollen nicht, dass er umkommt und die eine, Gilda, opfert sich sogar für |
ihn. Der einzige Schuft bleibt Spara-fucile (ein ausge-zeichneter Yongfan Chen- Hauser), dem es egal ist, wen er für das versprochene Geld mordet.
Starrsinniger Rächer
Auch Rigoletto hat mindestens zwei Seiten, nicht nur als buckliger Hof-narr, als der er gehasst wie auch bemitleidet werden kann, sondern auch als einerseits (vielleicht zu eigensinnig) liebender Vater und andererseits als starrsinniger Rä-cher, womit er den Tod der Tochter und sein eigenes Unglück mitverschuldet. All diese Facetten hat Michele Govi nicht nur sängerisch, auch schau-spielerisch zum Ausdruck gebracht. Eine hervorra- gende Rollengestaltung und wohl auch ein Verdienst des Regisseurs, der die einzelnen Charakterbilder bis hin zum Chor der schamlos opportunistischen und gefühllosen Hofschranzen herausgearbeitet hat. Mit den Hauptdarstellern hatte die Premiere insgesamt aber betont auch sängerisch ein herausragendes Niveau. Ein paar kleine Kratzer beim Tenor, ein paar kleine Schwächen (in den tiefsten Lagen) beim Bariton, wenige Unvollkommenheiten doch eine bravouröse Höhe beim Sopran, im gesamten kamen Liebhaber schöner Stimmen voll auf ihre Rechnung.
Nicht bloss Schöngesang
Und vielleicht noch einmal, es war viel mehr als Schön- gesang, das Drama ging schnörkellos unter die Haut ohne Edelkitsch und ohne Sentimentalität. Als Zu-schauer hatte man glei- chermassen Genuss und Ergriffenheit, zeitweise war man hingerissen. Einige Bilder waren beson- ders stark, vor allem im düsteren dritten Akt, wo Dekor und Licht in der Gewit- terszene sehr packend zusammen wirkten. Und – das wurde hier schon öfters festgestellt – am Bieler |
Theater gibt es kein störendes Gefälle zwischen Haupt- und Nebenrollen. Auch die kleineren Partien sind durch Mitglieder des Ensembles oder mit Ab-solventen des Schweizer Opernstudios tadellos besetzt und wurden glaubwürdig gespielt: Anita Datiska (Maddalena), Nadia Catania (Giova- nna), Dong-Hee Seo (Monterone), Bojidar Vassilev (Marullo), Konstantin Nazlamov (Borsa), Matthieu Heim (Conte di Ceprano), Stephanie Ritz (Contessa und Paggio) und schliesslich Roland Frei (Usciere), sie alle trugen das Ihrige zu einer stimmigen Aufführung bei.
Musikalisch hohes Niveau
Der Herrenchor, von Valentin Vassi- lev vorbereitet, überzeugte ebenfalls. Einiges war (noch) nicht ganz präzis, doch das kommt auch an grösseren Häusern vor, und die Chorpartie ist anspruchsvoll und in einzelnen Stellen sogar delikat. Meist gefiel der Chor durch einen geschlossenen Klang und Durchschlagskraft. Franco Trinca leitete die ganze Aufführung mit grosser Verve und auch mit der gebotenen Sensibilität, er geht auf die Sänger ein, lässt ihnen Zeit wo nötig und treibt die Handlung vorwärts wo es angezeigt ist. Mit einem Orchester, das weitgehendst präzis reagierte und mit einem grösstenteils aus- gewogenen Klangbild war die Aufführung musikalisch auf einer gehobenen Ebene. Im Verdi-Jahr (200. Geburtsjahr) gibt es an allen Bühnen zurzeit Verdi-Premieren und das Theater Biel Solothurn reiht sich mit seinem „Rigoletto“ sehr gut ein. Vor der Premiere überreichte Mario Cortesi den Preis der Wochenzeitung BIEL-BIENNE „Bieler des Jahres“ an Beat Wyrsch, die Laudatio hielt Urs Dickerhof. Beat Wyrsch hat es verstanden, mit einem Programm, das auch die Zuschauer abholte, für das Theater Biel Solothurn internationale Anerkennung und Preise einzuheimsen.
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"Evgeny Onegin", Tschaikowskys lyrische Szenen als Kammerspiel
Eindrücke von der Generalprobe im Stadttheater Biel
Daniel Andres
Dies ist keine Kritik im gewohnten Sinn. Es sind Eindrücke von der Generalprobe. Die Besetzung für die Premiere stand nicht endgültig fest, weil Valery Tsarev, der den Lenski verkörpern sollte, kränkelte. Ohnehin waren für einige Partien – Tatjana, Lenski und Triquet - Doppelbesetzungen vorgesehen, so dass einige Stu-dierende des Schweizer Opernstudios zum Einsatz kommen sollten. Zum Beispiel auch die Gutsbesitzerin Larina, und die Amme Filipjevna, wo-durch gleich zwei junge Damen in die Haut älterer Frauen schlüpfen und so ihre Verwandlungskunst erfolgreich unter Beweis stellen können. Überhaupt kommt ein junges Ensemble zum Einsatz, ein Vorteil des kleinen Opernhauses am Jurasüdfuss, die jungen Liebenden werden so wirk-lich glaubwürdig von echten Altersgenossen dargestellt und nicht von üppigen Stars, die man künstlich auf jung drapieren und schminken muss. Vielleicht fährt die Handlung dem Zuschauer so umso stärker unter die Haut, man kann sich mit den Leiden und Nöten ganz nah identifizieren. Zumal die Darsteller sich wirklich in die Haut der darzustellenden Menschen versetzen, aber ohne Übertreibungen. Das ist das Verdienst des Regisseurs Andreas Rosar. Er hat einerseits die „Lyrischen Szenen“ auf die Grösse der Bühne und des Theatersaals zurechtgestutzt. Mit der Nähe des Hörers zur Bühne kann man auch die Intimität |
der zwischenmenschlichen Ereignis-se spürbar und unmittelbar veran-schaulichen. Die grossen Szenen – vor allem die Ballszenen – mit Chor werden dafür etwas statisch aber vom Choreographen Joshua Monten sinnreich umgesetzt. Die Starrheit der Abläufe zeigt auch die Starrheit mancher gesellschaftlicher Formen und Situationen, in denen die jungen Liebenden gefangen sind und die ihnen auch zum Verhängnis werden. Dem freiheitsliebenden und gleichzeitig melancholischen Eugen Onegin, der das kleine Glück von Ehe und Familie verschmäht und damit auch die grosse Liebe aufgibt. Dem braven Lenski, der einer kleinen Eifersuchtsszene wegen seinen besten Freund zum Duell fordert und dabei sein Leben verliert. „Routine ist unser Glück“ singen die alten Frauen Larina und Filipjevna, wenn sie an ihr nicht stattgehabtes Liebesleben zurückdenken. Andreas Rosar strafft auch die Übergänge von einer Szene zur Andern und erreicht damit irritierende und auch starke Wirkung. Während des grossen Wal-zers bahnt sich das spätere Verhängnis an. Und wenn gleich nach dem fa-talen Duell die Polonaise einsetzt, die eigentlich bereits zum Ball im Hause des Fürsten Gremin gehört, überspringt er Jahrzehnte und macht aber durch diesen Kontrast die Tra-gik der Ereignisse umso deutlicher. Es ist eine ergreifende Geschichte mit
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wunderschöner und packender Musik. Ein psychologisches Drama zu dem Tschaikowsky eine ausserordentlich einfühlsame Musik ge-schrieben hat in der alle seelischen Regungen genial aufgefangen sind. Man geniesst die russische Original-sprache, auch wenn man sie nicht versteht. Das Bühnenbild und die Kostüme (Martin Warth) sind einfach aber passend ohne Prunk. Vor allem die Frauen Tatjana mit Tatjana Gazdik und die Olga der Violetta Radomirska sind tadellos besetzt und beeindruckend umgesetzt. Bei den Männern macht Bojidar Vassilev als Onegin eine gute Figur. Valery Tsarev könnte stimmlich sogar gelegentlich noch etwas zurückhal-ten, hat aber als lyrischer Tenor eine schöne Aufgabe. All die übrigen Rol-len sind ausgeglichen besetzt, es ist auch ein Vorteil des bescheidenen Theaters, dass es keine Kluft zwischen Haupt- und Nebenrollen gibt. Mit Studierenden der Hochschule der Künste stehen immer tüchtige junge Kräfte zur Verfügung. Und der Chor – von Valentin Vassilev vorbereitet – ist fast immer präzis und auch szenisch gut geführt. Harald Siegel hält die musikalische Leitung. Einige Unsauberkeiten und Unsorgfältigkeiten im Orchester könnten - aus der Sicht der Generalprobe - noch ausgebessert werden.
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EVGENY ONEGIN IN BIEL
Musikalische Leitung Harald Siegel Regie Andreas Rosar Bühne/Kostüme Martin Warth Choreographie Joshua Monten Chorleitung Valentin Vassilev
Larina Nadia Catania Tatjana Tatjana Gazdik Céline Steudler Olga Violetta Radomirska Filipjevna Dominika Gajdzis Evgeny Onegin Bojidar Vassilev Lenski Valery Tsarev Oleg Sopunov Gremin Yongfan Chen-Hauser Zaretsky Dzianis Yantsevich Triquet Konstantin Nazlamov Pavel Grzyb Vorsänger Valentin Vassilev
Evgeny Onegin Musik Piotr Tschaikowsky Libretto Piotr Tschaikowsky und Konstantin Schi- lowsky nach dem Vers- roman von Alexander Puschkin
Entstehung 1877 - 1878 Uraufführung 19. März 1879
Die Produktion ist auch für Schulen im Rahmen der Theaterpädagogik vorge-sehen, und dazu wurde eine sehr infor-mative Dokumentation mit Angaben zur Oper im Allgemeinen und zu diesem Werk im Besonderen vorbereitet. |
Premiere in Biel Fr. 2.11.2012, 19h30
Premiere in Solothurn Mi. 21.11. 2012, 19h30
Mozarts "Sturm und Drang"-Oper
„Idomeneo“, eine Opera seria von Mozart wurde am Freitag wohl zum ersten Mal szenisch in Biel
aufgeführt. Beim Premierenpublikum kam die Aufführung nicht zuletzt wegen der guten sängeri-
schen Qualitäten sehr gut an.
Daniel Andres
Idamante (Violetta Radomirska), Ilia (Rosa Elvira Sierra) und Chor
Mozart hat seinen „Idomeneo“ sehr ge-schätzt. Er hielt ihn sogar für seine beste Oper. Nach anfänglichem Erfolg wurde das Werk jedoch sehr selten, und wenn, dann oft in abgeänderter Form, aufgeführt. Erst seit wenigen Jahrzehnten wurde vor allem die musi-kalische Qualität dieser Tragödie mit Happy-End (wie es zu Mozarts Zeit üb-lich war) neu entdeckt.
Aus dem Vollen geschöpft
Mozart konnte in seiner Komposition für München aus dem Vollen schöpfen. Er hatte das beste (und wohl grösste) Orchester Europas, das er zwei Jahre vorher in Mannheim kennen gelernt hatte - und ausgezeichnete Sänger zur Verfügung. Und er hatte nach anfänglichen Vorgaben, die vielleicht sogar vom Kurfürsten Karl Theodor stammten, weitgehend freie Hand. Mozart orientierte sich – wie in Mannheim üblich und sicher auch beeinflusst durch seine Paris-Reise 1778 – am französischen Opernstil. Im Original wird nach Ende der Oper nach Pariser Vorbild noch ein Ballett getanzt, wofür Mozart eine eigene Musik schrieb. Auch der Einfluss von Christoph Willibald Gluck und seiner Opernreformen ist spürbar, und Manche weisen den „Idomeneo“ mit seinen Kühnheiten auch Mozarts „Sturm und Drang“-Periode zu.
Musikdramatische Begabung
Die traditionelle Form der Opera seria, die vor allem aus einer Folge von Arien bestand, brach er auf, indem er viele Szenen nahtlos und dramatisch sehr geschickt in- einander überfliessen liess (da war Mozarts unzweifelhafte musikdramatische Begabung im Spiel). Vom Schönsten an dieser Oper sind – neben der Arie der Ilia, an der auch Holzbläser und Horn solistisch teil-haben – die Ensembles, das Terzett im zweiten, sowie das Liebesduett und das überwältigend bewegende Quartett |
im dritten Akt und dazu die dramati- schen Chorszenen.
Dramatische Chöre
Die jetzige Erst-Aufführung in Biel war in der kleinen Bühne an der barocken Technik zur Erzeugung von Meeres-stürmen und Gewittern oder zum Er-scheinen von mörderischen Meeres-ungeheuern – in der Zeit der Entsteh-ung ein entscheidendes Element – und so musste man sich in erster Linie auf die Musik verlassen. Es ist eine an-spruchsvolle Choroper. Dass der Bieler Chor der Aufgabe gewachsen ist, zeigte sich schon während einer konzertanten Aufführung in den achtziger Jahren. In keiner andern Oper hat Mozart den Chor dermassen dramatisch und musi-kalisch wirkungsvoll eingesetzt. Da gilt schon mal eine grosse Anerkennung an Valentin Vassilev und seine Chorleute, die sich der Aufgabe sicher und weit-gehend präzis angenommen haben. Ein bisschen mehr Durchschlagskraft hätte der Chor gelegentlich haben dürfen, doch sei nicht vergessen, dass aus Platzgründen die Zahl der Chorsänger auch beschränkt ist. Ein zweites grosses Lob gebührt dem Dirigenten Franco Trinca und dem Orchester. Die musikalisch dichte und so ungemein farbenreiche Partitur wurde straff, sehr transparent, genau, aber auch akzent-reich und packend und in einem histo-risch orientierten vibratoarmen, klaren Klangbild umgesetzt.
Düstere Stimmung
Die Inszenierung (Wolfram Mehring) vertraute richtigerweise weitgehendst auf die Musik, in welcher alle Stimmun-gen und Stimmungsschwankungen, Furcht und Schrecken, sozusagen „des Meeres und der Liebe Wellen“ enthalten sind. Dank etlicher Striche bei den Secco-Rezitativen (die eindrucksvollen Orchester-Rezitative blieben erhalten) wird die Dauer auf unter zweieinhalb Stunden gesenkt. |
Bühnenbild und Kostüme (Cornelia Brunn) setzen auf mehrheitlich dunkle Farben, Grau und Schwarz für die Kreter, Purpur und Schwarz für die gefangenen Trojaner. Vielleicht ist die Stimmung übers Ganze etwas allzu düs-ter, selbst am Schluss, als sich alle Gefahr auflöst und sich alles zu einem guten Ende findet, hellen sich die Mienen nicht auf. Violetta Radomirska ist ein eindrück-licher Prinz Idamante, Rosa Elvira Sierra eine ebenso ergreifende Ilia, Corinne Angela Sutter eine in Zorn und Schmerz überzeugende Elettra, und Ricardo Mirabelli singt die Partie des Idomeneo mit Kraft und Glanz, wenn auch mit starrer Mimik. Und weil sich die Inszenierung nicht vordrängt, blei-ben die musikalischen und sängeri-schen Höhepunkte umso mehr haften. Valery Tsarev musste in der Rolle des Arbace einspringen und tut dies höchst achtenswert, und auch die kleineren Rollen sind mit Valentin Vassilev, Dzianis Yantsevich, Renate Berger und Anja Wanner zuverlässig besetzt. Einziger Negativpunkt in einem sonst beeindruckenden Opernabend sind die dürftig und oft befremdlich unbeholfen übersetzten deutschen Übertitel.
„Idomeneo, Re di Creta“ komponiert von Wolfgang Amadeus Mozart 1780/81 für das Residenztheater München. Erst die Bewegung für historische Auf-führungspraxis in den letzten Jahrzehnten fand wieder Verständnis für die barocke Oper (Händel, Vivaldi) und damit für die lange Zeit verrufene „Opera seria“ mit ih-ren etwas stereotypen Handlungsver-läufen und mit Stoffen vornehmlich aus der griechischen und römischen Antike. Nikolaus Harnoncourt führte „Idomeneo“ in Zürich 1980 in seinem berühmten Mo-zart-Zyklus auf und „entdeckte“ damit diese Oper für die Neuzeit.
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Spionage, Liebe und bornierte Obrigkeit
„Zar und Zimmermann“, eine komische Oper von Albert Lortzing in einer geglückten Mischung aus Kunstfertigkeit und Volkstümlichkeit, fand in der turbulenten Inszenierung von Beat Wyrsch im Bieler Stadttheater grossen Anklang.
Daniel Andres
Ulrich S. Eggimann (van Bett), Valery Tsarev ( Marquis de Chateauneuf), Konstantin Nazlamov (Peter Iwanow) Bild: Eduard Rieben
Lortzing war nicht nur Komponist sondern auch Textdichter, dazu Schauspieler, Sän-ger, Spielleiter und Kapellmeister, also mit allen Bereichen des Musiktheaters bestens vertraut. Schon als Kind stand er auf der Bühne, seine Eltern betrieben ein Wander-theater. Und als Schauspieler und Sänger hatte er grosse Erfolge, aber auch Probleme mit der Theaterpolizei, denn er improvisier-te in Komödien auch Texte, die den Zen-sur-Behörden nicht gefielen. So schuf ihm auch seine eigene komische Oper „Zar und Zimmermann“, in der er einen bornierten Bürgermeister persifliert, zunächst nicht nur Freunde bei der Premiere in Leipzig 1837, erst die Aufführung in Berlin 1839 brachte den grossen Erfolg.
Zar als Werkspion
Für Heutige ist die Geschichte vom russi-schen Zaren Peter, der in Holland als Zim-mermann auf einer Werft arbeitet um die Geheimnisse des Schiffsbaus zu studieren, mit der netten Liebesgeschichte um Marie und den russischen Dienstverwei- gerer Peter Ivanow, der als vermeintlicher Zar herhalten muss um dem richtigen Herrscher die Flucht zu ermöglichen, eine harmlose Geschichte. Als Theaterpraktiker hat Lort-zing das heitere Drama aber klug und abwechslungreich aufgebaut, einen witzigen Text geschrieben und eine hervor- ragend „gemachte“ Musik geschrieben.
Eingängige Musik
Die Musik hat ein paar einfache, eingän-gige Lieder, aber auch gekonnt komponierte Duette und Ensembles, die spannungs-
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reich aufgebaut sind und in der Machart eine deutsche Version von Rossini darstel-len. Einer der musikalischen wie dramati-schen Höhepunkte ist sicher das ver-schwörerische Männer-Sextett im zweiten Akt. Eine buchstäblich grosse Rolle spielt der Chor, und auch die Chornummern sind oft mit Soli und Ensembleeinlagen durch-setzt und haben Dramatik. Diese Dramatik gipfelt am Ende des zweiten und des dritten Aktes in Turbulenzen, welche den Regisseur auf einer so engen Bühne wie in Biel vor wahrhafte Herausforderungen stellen. Beat Wyrsch hat diese glänzend und zum grossen Amüsement des Publikums gemeistert, hart an den Grenzen des überhaupt Machbaren.
Kein Klamauk
Es ist viel Komik in den Szenen, aber sie gleitet nirgends in Klamauk ab. „Ernsthafte Figuren geraten in unmögliche Situatio-nen“, so Beat Wyrschs Definition von Komik. Am Überzeugendsten ist dies beim Bür-germeister van Bett sichtbar, der von Ulrich S. Eggimann absolut überragend verkörpert wird. Da ist Schalk und eine umwerfend komödiantische Lust, die aber vollkommen beherrscht und zudem von einem hervorragenden Einsatz der stimmli-chen Mittel getragen wird. Chapeau. Einen grossen Anteil am Erfolg des Abends hat auch Konstantin Nazlamov, der nun in einer grossen Partie als Peter Iwanow sei-nen zwar leichten aber auch flinken Tenor und seine schauspielerischen Fähigkeiten als Komiker ausspielen kann. Im Duett sind die beiden, der Bürgermeister und der ver- |
meintliche Zar, an Virtuosität unschlagbar. Etwas weniger glanzvoll kann sich Bojidar Vassilev in der Rolle des wirklichen Zaren Peter präsentieren, aber er war an der Pre-miere offenbar gesundheitlich angeschla-gen und musste sich etwas durch den Abend kämpfen. Charakteristische Rollen-porträts gaben Valery Tsarev und Eric Förster als französische und englische „Ge-heimdiplomaten“ sowie etwas am Rand Ar-kadius Bursky als General Lefort.
In bester Spiellaune
Eine schöne Überraschung war wiederum Daniela Braun vom Schweizer Opernstudio in der grossen Partie der Marie, die sie stimmlich und darstellerisch glänzend und höchst einnehmend ausfüllte. Schliesslich die unverwüstliche Ute Kreitmair in grosser Form als Witwe Browe. Der Chor in bester Spiellaune und gut ge-führt vom Regisseur, musikalisch gut vor-bereitet von Valentin Vassilev und Harald Siegel, an heiklen und sehr belebten Stellen allerdings nicht ganz wackelfest, sowohl gesanglich wie in den Bewegungsabläufen. Harald Siegel dirigierte auch das Or-chester mit einer guten Leistung und guter Koordination mit der Bühne. Aus dem Graben tönt es gelegentlich ein bisschen laut und in Einzelheiten auch nicht jederzeit ganz im Einklang. Martin Warth hat eine räumlich gute Lösung für das Bühnenbild und auch ansprechende Kostüme entworfen. So ist das Stück musikalisch und optisch sehr erfreulich und dürfte verdienten Erfolg einheim-sen. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert.
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Die Oper „I Puritani“ von Vincenzo Bellini hatte am Freitag im gut besetzten Theater Palace Premiere.
Insbesondere die gesanglichen Leistungen der Protagonisten wurden zu Recht bejubelt.
Daniel Andres
Yongfan Chen-Hauser (Sir Giorgio Valton) und Rosa Elvira Sierra (Elvira)
Die Handlung dieses Stücks gilt als wenig logisch, ein bisschen zusammengestückelt wie man sich die Operntexte des 19. Jahr-hunderts halt vorstellt. So krud ist der Plot aber auch wieder nicht, man kann dem Gang der Ereignisse und den Wirren zwi-schen Anhängern der Stuart und den Pu-ritanern unter Cromwell folgen. Und das Duett der beiden Baritone Giorgio und Ri-cardo im zweiten Akt bietet eigentlich eine Lösung des Konflikts zwischen Ricardo und seinem Rivalen Arturo an, dessen Leidtragende die dem Wahnsinn verfallene Elvira ist. Die Lösung erfolgt dann am Schluss sprunghaft, indem der Krieg zu Ende ist und die Unterlegenen Stuart-An-hänger begnadigt werden.
Türen mit Symbolgehalt
Das Ganze spielt im Palace in einem Ein-heitsbühnenbild (Vazul Matusz), das nur von zwei Sesseln und einigen Stühlen, von Fall zu Fall umgehängten Fahnen möbliert ist und durch Projektionen und Lichteffek-te ab und zu geschickt belebt wird und ausreichend Raum bietet. Die Rückwand mit mehreren Türen, die immer wieder ge-öffnet und geschlossen werden, hat einen gewissen Symbolgehalt, öffnet aber auch immer wieder imaginäre Räume, wie das oft lichtdurchflutete Seitenfenster, das sowohl Flucht ermöglicht, von dem auch die Ret-
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tung kommt. Vom Chor weiss man bloss, dass er bis wenige Minuten vor Ende ge-gen den angeblichen Verräter Arturo ist und stimmkräftig dessen Tod fordert, aber im Einzelnen sind die Chormitglieder Solda-ten beider Seiten, Puritaner, Schlossbe-wohner, Edelfräuleins und vielleicht auch Pflegepersonal Elviras. Die einzelnen Rol-len sind nicht klar auszumachen und die Kostüme, die mitnichten ästhetische An-sprüche befriedigen wollen, leisten hierin auch kaum einen Beitrag. Die Inszenierung von Georg Rootering tut dem Stoff sicher keine Gewalt an und lässt sowohl den Hauptdarstellern wie auch dem etwas ver-grösserten Chor Raum zur Entfaltung.
Prima la musica
Was am Stück und der Aufführung am Meisten interessiert und fesselt, ist die Musik. Wieder gelingt es Franco Trinca, aus dem ziemlich reich besetzten Orchester viel Farbe und dramatische Akzente, aber auch sehr sensible Klänge herauszuholen. Der Komponist hat in dieser Oper beson-ders Wert auf eine vielseitige Orchester-sprache gelegt, welche das meist düstere und dramatische Geschehen mit kräftigem Kolorit unterstützt. In der Belcanto-Oper ist natürlich der Ge-sang zentral und da hören wir wiederum an unserer einheimischen Opernbühne Leis-
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tungen, die sich nicht zu verstecken brau-chen. Rosa Elvira Sierra in der grossen und hochvirtuosen Partie der Elvira bietet ein-mal mehr Glanzpunkte, mit extremen Spit-zentönen und Koloraturen und dazu mit einer breiten Ausdruckspalette von Freu-digkeit und Glückseligkeit bis zu tiefster Verzweiflung.
Belcanto-Tradition
Ihr in Vielem ebenbürtiger Partner ist Mi-chele Govi als Sir Riccardo, der nun in einer seriösen Partie stimmlich und darstellerisch voll auf der Höhe ist. Eigentlich sehr schön ist auch der Tenor von Angelo Ferrari als Lord Arturo, mit sehr gefälligem italieni-schem Schmelz, wobei es an entscheiden-den Stellen etwas an Kraft fehlt. Yongfan Chen-Hauser gebührt einmal mehr Aner-kennung für eine tadellose stimmliche und schauspielerische Leistung als Sir Giorgio Valton. Martina Gegenleithner singt die verfolgte und gerettete Enrichetta di Fran-cia und Eric Förster wie Konstantin Nazla-mov erfüllen ihre kleineren Partien. In Zü-rich will man den Belcanto des frühen 19. Jahrhunderts wiederentdecken, im kleinen Biel haben wir zum wiederholten Mal musi-kalisch höchst gelungene Aufführungen dieses Genres mit Werken von Bellini, Donizetti und des frühen Verdi. Die „Puri-tani“ reihen sich würdig in diese Serie.
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Helena liess sich willig entführen
Schöne Frauen und müde Helden, das ist das Sujet der Operette „La belle Hélène“ von Jacques Offenbach,
gestern als Premiere im französischen Original im Bieler Stadttheater gegeben.
Daniel Andres
Im Paris der Zeit Napoleons III. und unter der Aegide der Textdichter Henry Meilhac und Ludovic Halévy sowie des Komponis-ten Jacques Offenbach wurde die schöne Helena, deren Entführung den trojanischen Krieg auslöste, zur femme fatale. Ihr könig-licher Gatte Menelaos, weder schön, intel-ligent noch mächtig, brauchte sich nicht zu wundern, wenn seine lebenshungrige Ehe-frau einem Götterjüngling namens Pâris folgte und sich willig entführen liess. Wie schon „Orphée aux enfers“ war „La belle Hélène“ eine Parodie auf die Pariser Gesell-schaft nach der Mitte des 19. Jahrhunderts, in der auch (oder vor allem) in der Ober-schicht das Gegenteil von Sittenstrenge herrschte. Zwar wurde die respektlose Ver-schmelzung von Antike und damaliger Mo-derne, von Sparta und zügellosem Paris von der Kritik als Skandal empfunden, den-noch feierte die opéra-bouffe von Offen-bach grossen Erfolg. Wohl, weil das Publi-kum die hinterhältige Satire auch auf das Kaiserpaar als solche erkannte.
Internationale Koproduktion
Die Bieler Aufführung wird von einer Equi-pe aus dem französischen Rennes geleitet. Es handelt sich um eine Zusammenarbeit mit dem dortigen Théâtre National de Bre-tagne. Der Regisseur Vincent Tavernier betreute die Inszenierung, Claire Niquet entwarf die De-kors und Erick Plaza Cochet die Kostüme.In derselben Ausstattung, aber mit Sän-gern des dortigen Theaters wird das Stück nächstes Jahr in Rennes
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produziert und geht dann auf Frankreich-Tournee, während die Bieler Inszenierung ausser in Biel – Solothurn in fünf weiteren Städten (allein in Winterthur vier Vorstel-lungen) gastieren wird.
Abgebrüht
Den einstigen Skandal begreift man heute nicht mehr ganz in unserer doch schon viel frivoleren und abgebrühten Zeit. Das Stück hat etwas an Frechheit eingebüsst. Der Er-folg der Uraufführung war anscheinend auch an die legendäre und auch skandal-umwitterte Hauptdarstellerin Hortense Schneider geknüpft, derer zu Ehren der Spitzenkoch Auguste Escoffier anlässlich der Uraufführung auch das Dessert „Belle Hélène“ kreierte. Einige Szenen und einst erfolgreiche Couplets erscheinen heute fast ein bisschen langfädig, wohl auch weil die Inszenierung auf jede vordergründige Aktualisierung etwa der Couplet-Texte ver-zichtet. Da erwartet man ab und zu eine Pointe, die dann halt nicht eintrifft. Aber sonst ist die Aufführung für Auge und Ohr doch ein Genuss. Und die verfängliche Traumszene im zweiten Akt ist richtig poe-tisch.
Eingängig und spritzig
Die Musik Offenbachs offenbart ihre gan-zen Qualitäten, die sich oft an die ernste Oper anlehnen und handkehrum wieder mit eingängigen Melodien und spritzigen Rhythmen aufwarten. Das Bieler Ensemble
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gefällt insgesamt mit Violetta Radomirska als Helena, Valéry Tsarev als Pâris, wobei die Stimmen nicht unbedingt der Idealvor -stellung der Offenbach’schen Operette entsprechen. Etwas näher kommen ihr die hellen Tenöre von Konstantin Nazlamov als Menelaos, Valentin Vassilev als Achille oder Bojidar Vassliven als Agamemnon. Yongfan Chen-Hauser gibt den Priester Chalchas, der heimlich die Fäden zieht, und Fabio de Giacomi und Pawel Grzyb stecken in der Rolle der beiden Ajaxe. Annina Haug gefällt als Oreste und in kleineren Rollen wirken Szabina Schöller, Anna Gössi und Stephanie Szanto sowie Mitglieder des Chors mit. Der Chor übrigens hat viel zu tun und wird auch in Beweglichkeit gehörig gefordert. Gelegentlich fehlt es da noch an letzter Perfektion, doch trägt er mit seiner Agilität zum witzigen Amüsement bei.
Lockerer Klang
Harald Siegel leitet das Ganze musikalisch und muss sich ein bisschen zwischen straffer Führung und Gehenlassen entscheiden. Im Interesse der Musikalität entscheidet er sich gegen allzu viel Straffheit und gewinnt dafür Geschmeidigkeit und lockeren Klang im Orchester, gelegentlich auf Kosten genauer Koordination. Es ist kein Unterhaltungsabend zum Schenkelklopfen, aber ein Genuss mit etwas distinguiertem Witz und vielen sehr schönen Momenten. |
Ein dramatisch-buffoneskes Nachtstück
„Don Giovanni“, Dramma giocoso von Wolfgang Amadeus Mozart, Libretto von Lorenzo da Ponte, ein Klassiker
schlechthin des Musiktheaters. Was kann das Bieler Musiktheater da noch beitragen? Es überzeugt einmal mehr
mit einer in jeder Hinsicht erstaunlichen und begeisternden Aufführung.
Daniel Andres
Beginnen wir für einmal beim Orchester und der musikalischen Leitung, die sonst eher am Schluss eines Aufführungsbe-richts beiläufig erwähnt werden. Wenn gilt, dass Mozarts Meisteropern von der Musik getragen werden, dass die Musik die Rol-len charakterisiert, die Beziehungen unter den Personen dargestellt werden, viel Un-ausgesprochenes in der Musik enthalten ist, dann ist dies in der Aufführung unter Franco Trinca in ausserordentlichem Mass der Fall. Der Dirigent wählt fliessende Tempi, schlägt den Puls in übergeordneten Takt-werten und schafft damit auch Beziehun-gen unter den Tempi der verschiedenen Teile. Gelegentlich gibt es kleine Uneben-heiten in Rhythmus oder etwa in der In-tonation der tiefen Streicher. Was auch damit zusammenhängt, dass man vibrato-arm (mit Vibrato kann man viele Unvoll-kommenheiten zudecken) und mit Klassik-bögen (jawohl mit den Bögen, die angeb-lich irgendwo ungenutzt lagern) spielt. Das gibt zusammen mit Holzflöten, Naturtrom-peten und Klassikpauken einen eher rauen, charakteristischen Klang. Zusammen mit einer akzentuierten und unzimperlichen Dynamik klingt es aus dem Orchestergra-ben den ganzen Abend spannend, span-nungsvoll, kraftvoll, dramatisch und man hört zuweilen Dinge, die man nie so gehört hat. Unerhört.
Buffo-Oper oder Drama?
Dramatik gibt es auch auf der Bühne. Das „Dramma giocoso“ ist ja im Grunde von A bis Z ein Drama um Verführung, Betrug, Mord und die Rache für all die Untaten. Die einzige Buffo-Figur ist Leporello mit seinem Lebenswitz, der erst noch drastisch und treffend die Unzulänglichkeiten der Gesellschaft, das Missverhältnis zwischen
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oben und unten bloss stellt. Gerd Heinz hat in seiner Inszenierung we-der eine Aktualisierung des Stoffes noch irgendeine neue Version angestrebt. Er ar-beitete einfach gründlich mit den Sängern/ Schauspielern mit einem durchs Band weg grossartigen Resultat. Die Kostüme weisen auf die Zeit der Entstehung der Oper hin. Das Bühnenbild ist einfach, schwarz mit einem, grossen verschiebbaren Turm, aus-gezeichneten Lichteffekten. Ein Nacht-stück. Ein paar schöne Einfälle sollen doch erwähnt werden. Eine Leiter, deren Zweck erst mal unklar scheint, und die doch die ständige Absturzgefahr der Hauptfigur und ihrer Opfer ins Bild bringt. Die Fried-hofszene, in welcher die Statue des Kom-turs irgendwo hinter dem Publikum un-sichtbar zu erahnen ist und seine Stimme aus dem Lautsprecher irreal ertönt. Die an-schliessende Szene zwischen Donna Anna und Ottavio, die sonst irgendwie dazwi-schen hängt (wurde für die Wiener Auf-führung später eingebaut), bekommt Sinn, indem Donna Anna Blumen auf dem Grab des Vaters niederlegen will. Die akustisch und optisch so reizvolle Serenade im zwei-ten Akt, in der die Zofe Elviras gleich ei-genhändig die Mandoline zupft.
Junge Darsteller
Die Protagonisten auf der Bühne erreichen samt und sonders eine hervorragende Cha-rakterisierung. Sie sind jung und entspre-chen so in etwa dem realen Alter der han-delnden Personen, so dass Regisseur Gerd Heinz mit ihnen zusammen ausserordent-lich treffende und passende Rollenpor-porträts erarbeiten konnte. Bojidar Vassilev zeichnet einen Don Giovanni, der von Le-benslust und Waghalsigkeit sprüht, bei dem man aber auch zu spüren glaubt, wie er sich stets am Rande eines Abgrunds
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bewegt. Stimmlich und ausdrucksmässig ist er tadellos und hinreissend. Donna Elvira ist eine wirklich tragische Fig-ur, nicht wie oft ein hysterisches Giftweib, ernsthafte Gegenspielerin von Don Gio-vanni, gezeichnet von enttäuschter Liebe und bis zuletzt an ihren Helden glaubend. Die Gesangspartie, welche sich stilistisch an der tragischen Opera seria des späten Barock orientiert, meistert Violetta Rado-mirska mit Bravour. Rosa Elvira Sierra wie-derum ist eine glaubwürdige, ausdrucks-starke Donna Anna und stimmlich voll auf der Höhe der Aufgabe. Valery Tsarev gibt keinen blassen Don Ottavio, sondern einen ritterlich ernsthaften Liebhaber und ge-sanglich meistert er diese Tenorpartie schön und im stilistischen Rahmen.
Schwer zu übertrumpfen
Michele Govi ist als Leporello schlicht genial in gesanglicher und darstellerischer Hinsicht und bietet ein schwer zu übertrumpfendes Porträt des mal schlauen, mal opportunistischen, mal aufmüpfigen Dieners. Sehr gut getroffen auch das wiederum buffoneske Bauernpaar Masetto und Zerlina. Dabei verführt Clara Meloni mit ihrer kätzchenhaften Geschmeidigkeit nicht bloss ihren Bräutigam sondern auch das Publikum, und Matthieu Heim in der Haut des Masetto wirkt in anrührender Tölpelhaftigkeit und Trotz ebenfalls glaubwürdig. Schliesslich ist Yongfan Chen-Hauser zu Beginn wie im letzten Finale ein imposanter Commendatore. Und auch der von Valentin Vassilev vorbereitete Chor vermittelt einen gewohnt guten, spiel- und einsatzfreudigen Eindruck. Es war eine bejubelte Premiere, eine in fast jeder Hinsicht hervorragende und ausgeglichene Leistung des Musiktheaters
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Aus der Vergessenheit geholt
Die erste Opernpremiere der Saison 2011/12 war zugleich eine schweizerische Erstaufführung. Sie galt dem
fast vergessenen tschechischen Komponisten Joseph Mysliveček und seiner Oper „Antigona“.
Daniel Andres
Seit einigen Jahren werden wir am Theater Biel Solothurn jedes Jahr mit einer Neu- oder Wiederentdeckung aus dem Opern-repertoire beglückt. Vergessene Werke bekannter Komponisten wie Rossini oder des jungen Verdi kommen ebenso zur Aufführung wie Ausgrabungen von einst berühmten, heute aber weitgehend verges-senen Komponisten wie Piccini, Traëtta oder nun dem Tschechen Joseph Mysli-veček. Das ist höchst erfreulich und bringt dem Theater nicht bloss keinen Besucher-schwund, wie früher oft befürchtet, son-dern zusätzliche Aufmerksamkeit von Me-dien und Fachleuten auch ausserhalb der Region. Joseph Mysliveček war zu Lebzeiten be-rühmt und erfolgreich, sieht man von sei-nen letzten Lebensjahren ab, in denen der Erfolg allmählich schwand. Der arme, von Syphilis entstellte Musiker, der einst als Müllergeselle begonnen hatte und sich als „divino boemo“ (göttlicher Böhme) in die vordersten Ränge der italienischen Opern-komponisten gearbeitet hatte, starb ver-armt 1781 mit 43 Jahren.
Virtuose Gesangskunst
Seine „Antigona“ entstand auf dem Höhe-punkt seines Ruhmes und wurde 1773 in Turin uraufgeführt. Sie behandelt die Rück-kehr der totgeglaubten Antigone an den Hof von Theben, wo sie den Tyrannen Creonte stürzt und selber die Macht über-nimmt. Die Machtmittel, auch die Grausam-keit des in Frage gestellten Despoten, sind bis heute ähnlich geblieben, im 18. Jahr-hundert glättet ein „lieto fine“, im heuti-
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gen Sprachgebrauch ein Happy-End am Schluss die Gefühlswogen. Es ist die typische Opera seria der Epoche über einen etwas frei behandelten antiken Stoff, eine Aneinanderreihung von Rezita-tiven und Arien. In den Rezitativen wird die Handlung einigermassen vorangetrie-ben, die Arien sind eher Ruhepunkte in denen die Gefühlslage der Protagonisten ausgelegt, den Sängerinnen und Sängern auch ausgiebig zur Darstellung ihrer virtu-osen Gesangskunst geboten wird. Da ist es eine Schwierigkeit für die Inszenierung, aus eher statischen Situationen eine dramati-sche Handlung zu entwickeln. Andreas Rosar hat dies in einem immer gleich blei-benden, nur durch Beleuchtungseffekte veränderten Bühnenbild (Martin Warth) einigermassen gut hingekriegt. Die Bühne ist ein ziemlich trostloses Kellerverlies in Grautönen und wird durch die Lichtfüh-rung mal etwas aufgehellt oder auch zu-sätzlich verdüstert bis auf einige Augen-blicke in den der Zuschauer durch grelles weisses Neonlicht geblendet wird.
Plastische Charaktere
Es stecken einige gute Einfälle in der Re-giearbeit, etwa wenn Darsteller allein oder zu zweit oder in Gruppe wie traumhaft im Hintergrund auftauchen und Erinnerungen beschwören. Insgesamt kann man auch der Personen-führung ein gutes Zeugnis ausstellen, die einzelnen Charaktere zeichnen sich plas-tisch ab. Auch die Kostüme von Ildiko De-breczeni sind dezent und schlicht zu den Personen und ihrer Situation passend.
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Hervorragend in der Aufführung sind die Frauen, an erster Stelle die Überraschung mit Raquel Camarinha als ergreifendes jun-ges Mädchen Ermione und beeindrucken-den stimmlichen Ausdrucksmitteln. Dicht gefolgt von „unserer“ Rosa Elvira Sierra als Antigona, stimmlich wie ausdrucksmässig voll auf der Höhe. Etwas weniger profilie-ren können sich Annina Haug vom Opern-studio (Premierenbesetzung) als Learco und Nathalie Colas als Alceste, aber sie er-füllen ihre Aufgabe beide ohne Tadel. Vortrefflich auch William Lombardi als Eu-risteo, darstellerisch reif und auch in der Stimme der Aufgabe gewachsen. Vielleicht im Ausdruck nicht ganz im Stil der Epoche und in den Koloraturen nicht immer ganz lupenrein. Aber ein hervorragendes Rollen-porträt. Das kann man von Giovanni Colet-ta in der Partie des Creonte nicht so be-haupten. Als rachesüchtiger und sich an die Macht klammernde Tyrann wirkt er eher etwas verkrampft und stimmlich ist er zwar recht sauber, aber doch etwas schmal ohne ganz solides Fundament. Er scheint auch relativ kurzfristig eingesprungen zu sein, was Einiges, auch ein etwas nervöses Vi-brato zu entschuldigen vermöchte.
Wache Leitung
Sehr gute Arbeit leistet das Orchester un-ter der präzisen und hellwachen Leitung von Moritz Caffier, der sich in der Musik des 18. Jahrhunderts sehr wohl zu fühlen scheint und vom Graben aus viel zum gros-sen und wohlverdienten Erfolg des Premie-renabends beigetragen hat.
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Quirlige Liebeskomödie
Drunter und drüber geht es in der Oper „Il curioso indiscreto“ von Pasquale Anfossi, welche das Schweizer Opernstudio
im Stadttheater Biel aufführt.
Daniel Andres
Für die diesjährigen Diplomprüfungen hat das Schweizer Opernstudio eine unbekann-te Oper des heute vergessenen Komponis-ten Pasquale Anfossi, einem etwas älteren Zeitgenossen Mozarts, ausgesucht. „Il cu-rioso indiscreto“ ist eine von über siebzig Opern, die Anfossi schuf und die zu seinen Lebzeiten bis nach Wien und London Er-folge feierten. In London schrieb allerdings ein Kritiker: „Die Musik leidet augen-scheinlich unter einer ermüdenden Ein-tönigkeit“.
Komödie auf dem Film-Set
Das ist sicher auch der Grund, dass An-fossis Opern durch diejenigen von Mozart und später Rossini, zu Lebzeiten auch schon von Paisiello und Cimarosa ver-drängt wurden. Für eine Wiederaufführung nach über zweihundert Jahren mit Studie-renden eignet sich das Werk aber sehr gut und bietet den sieben Sängerinnen und Sängern sowohl vokal wie auch darstelle-risch vielfältige Möglichkeiten und Anfor-derungen. Ein Verdienst des Erfolgs am Premieren-abend vom vergangenen Donnerstag ist bestimmt die quicklebendige und einfalls-reiche, gelegentlich fast etwas überdrehte Inszenierung durch Matthias Behrends. Das Überdrehte ist kein Vorwurf, denn die Handlung mit den drei Paaren, die sich wechselseitig verlieben und wieder ent-fremden, bis am Schluss die offenbar rich- |
tigen Paare sich gefunden haben, ist eine schwindlige Karussellfahrt. Matthias Beh-rends siedelt das Plot auf einem Film-Set an, die Protagonisten – im Original ein „se-riöses“ Liebespaar, ein Buffopaar, Diener und Dienerin und ein Machthaber – wer-den zu zwei „Stars“, dem Kameramann und der Schauspielerin, dem Beleuchter und der Ausstatterin und dem Regisseur als Boss, der wie in der alten Commedia dell’Arte am Schluss leer ausgeht. Dieses Konzept be-währt sich durchaus als moderne Überset-zung der Intrigen und Missverständnisse, der Liebe und Untreue zwischen den Figu-ren.
Echt oder gespielt
Die Darstellerinnen und Darsteller schei-nen sich auch offensichtlich wohl zu füh-len in ihren Rollen und liefern ein wahres Feuerwerk von Komik und lustvollem Agieren in verschiedensten Rollen, in Zorn und Eifersucht, in Trauer und Verzweif-lung, echt oder nur gespielt. Manchmal wird etwas viel Material herumgeworfen, aber das Spiel bleibt auch immer Theater und eben als Spiel – Theater im Theater – erkennbar.
Gefahr des Forcierens
Khachik Matevosyan ist stimmlich und in seiner Rolle als aufbrausender, aber am Schluss als Verlierer dastehender Marche-
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se, alias Filmregisseur sehr glaubwürdig und wendig. Katarzyna Rzymzka verkörpert die Clorinda - den Filmstar - mit viel Aus-druck und gut gespielter Trauer oder insze-niertem Wahnsinn, stimmlich gelegentlich etwas grell. Daniel Bentz ist der Filmstar, der Clorinda erobert, und wirkt glaubhaft in wechselnden Launen. Er forciert und ermü-det im ersten Akt, kann sich im zweiten Akt aber stimmlich gut auffangen. Alle Beteilig-ten neigen zu grosser Lautstärke, konnten sich im Verlauf aber mässigen und dadurch in jeder Beziehung nur gewinnen. Die Schauspielerin Emilia (Li-Chin Huang) weicht der Gefahr des Forcierens von Be-ginn an aus, gefällt durch Leichtigkeit der Stimme, Präzision der Koloraturen und eine Dramatik und Komik ohne Aufgesetztheit. Amanda Schweri ist als Aurelio, hier als Kameramann, in einer Hosenrolle und wirkt glaubhaft und stimmlich sicher. Auch Na-thalie Colas als Serpina oder Kostümde-signerin überzeugt mit komödiantischem Talent und gut eingesetzter leichter Stim-me. Schliesslich ist da der Assistent, Be-leuchter und Tontechniker Chasper-Cuno Mani, der in allen möglichen Situationen darstellerisches Potenzial beweist und stimmlich auch durchaus überlegen wirkt. Eine schöne Gesamtleistung, an der das Bieler Sinfonieorchester unter Harald Siegel und weitere Kräfte ebenfalls ihren Anteil haben. Das Premierenpublikum, viele Freunde der Akteure darunter, sparte nicht mit Beifall und Bravorufen.
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Geheimnisvolles Verschwinden
Im „Carré noir“ in der Bieler Altstadt fanden dieses Wochenende zwei Aufführungen des „Tagebuch eines
Verschollenen“ von Leoš Janaček mit Konstantin Nazlamov in der Hauptrolle statt.
Daniel Andres
Ein Liederzyklus aus 22 Nummern für Tenor, Alt, drei Frauenstimmen und Kla-vier, also kein eigentliches Drama stellt dieses Werk des mährischen Komponisten Leoš Janaček (1854 – 1928) dar. Es sind Gedichte, die der Komponist 1915 in der Tageszeitung von Brünn las, und die ano-nym veröffentlicht wurden. Eine seltsame Geschichte eines Bauernburschen, der plötzlich verschwand, offenbar eine reale Begebenheit. In den Gedichten wird die unwiderstehliche Liebe des naiven Jungen zu einer geheimnisvollen Zigeunerin ge-schildert, der er schliesslich folgt und sein ganzes bisheriges Leben verlässt. Der wirkliche Autor wurde erst 76 Jahre später als der mährische Schriftsteller Ozef Kalda entdeckt. Obwohl ein Liederzyklus, wird das Werk oft szenisch dargeboten und das war hier in einer einfachen Inszenierung durch Andreas Rosar auch der Fall. Für Leoš Janaček war es wie ein Abbild seines eigenen Lebens, er, der sich 1915 in eine um mehrere Jahrzehnte jüngere Frau verliebte, mit ihr eine platonische Bezieh-ung pflegte und mit seiner 1881 geheirate-
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ten Frau trotz Ehekrisen zusammen blieb. Seine Musik orientiert sich, vor allem in seinen Opern und in dem „Tagebuch“ in Tonfall und Rhythmus stark an der mäh-risch/tschechischen Sprache. Max Brod übersetzte die Texte jedoch so ins Deut-sche, dass der musikalische Duktus erhal-ten blieb und Janaček so auch ausserhalb Tschechiens Erfolge feiern konnte.
Expressive Spannung
Für den Tenor, der die gesangliche Haupt-arbeit zu leisten hat, ist diese Partie schwie-rig im technischen wie auch im Ausdrucks-bereich. Für Konstantin Nazlamov war es deshalb mutig, sich dieses zwar kurzen aber höchst anspruchsvollen Werks anzu-nehmen. Zudem war er in der Woche vor der Premiere krank, so dass seine stimmli-chen Mittel zusätzlich reduziert waren. Man muss an seiner Performance vor allem das Durchhalten der expressiven Span-nung anerkennen. Die Zigeunerin, auch wenn sie kurz erscheint und eine kleine Partie singt, bleibt irreal, ein Bild ein |
Phantom, das aber dennoch das Leben und das Fühlen des Bauernburschen Janiček radikal verändert. Gesanglich gelangen Nazlamov vor allem die feineren Töne. Leos Janacek gestaltet die Musik zu die-sem Mini-Drama ja sehr differenziert, mit vielen Zwischentönen, leiser Trauer, aber bisweilen auch dramatischen Ausbrüchen. Es war vor allem die Pianistin Kremena Di-mitrova, die an ihrem etwas unvollkomme-nen Instrument eine musikalische Gestal-tung vollbrachte, welche eigentlich restlos überzeugte und den musikalischen Gehalt des Werks dieses Expressionisten und frü-hen Vertreter der tschechischen Moderne sehr differenziert ausfüllte. Die Mezzo-sopranistin Maria Victoria Haas wurde ihrer Rolle stimmlich und in der Erschei-nung sehr wohl gerecht, und auch die drei Damen des Theaterchors sangen ihre kur-zen Einwürfe aus der Ferne mit reiner Into-nation und der erwünschten geheimnis-vollen Wirkung. Das zahlreiche Publikum anerkannte die Leistung aller Beteiligten mit anhaltendem Applaus.
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Multikulti auf die witzige Art
Nach dem Beifall schon zur Pause und auch am Schluss zu schliessen, kam die Premiere von „L’Italiana in Algeri“
von Giacchino Rossini beim Publikum letzten Freitag im Bieler Stadttheater hervorragend an.
Daniel Andres
Michele Govi und Violetta Radomirska (Mustafa und Isabella)
Es gibt in diesem Stück umwerfend komi-sche Szenen, bei denen auch ein sonst als ernsthaft und streng geltender Mensch laut heraus lachen muss. Auf der Bühne herrscht ein munteres und witziges Trei-ben, das von Regisseur Beat Wyrsch mit viel Klamauk aber ohne triviale Mätzchen angetrieben wird. Optisch unterstützt von bunten Kostümen in einer farblich stimmi-gen Ausstattung und von einer eindrück-lichen Lichtregie entfaltet sich die an sich einfache und voraussehbare Handlung zu einem höchst vergnüglichen Ganzen.
Witz gegen Einfalt
Eine so verführerische wie kluge und ge-witzte junge Frau führt die einfältigen Män-ner vor. Ein Sujet, das offenbar schon im frühen 19. Jahrhundert die Menschen un-terhalten konnte. Dazu kommt etwas exo-tisches „türkisches“ Kolorit, es spielte wohl damals die exakte Geographie keine grosse Rolle, Musulmanen, auch in Alge-rien, waren einfach „Türken“. Die Italiene-rin lehrt die muslimischen Frauen nebenbei auch bereits eine Lektion in Emanzipation oder zumindest Durchsetzungsvermögen gegen die sich allgewaltig fühlenden Män-ner. Aber nicht bloss die orientalischen |
Haremsbesitzer bekommen ihr Fett ab, Lin-doro ist ein filmreifer
italienischer Gigolo und Isabella ein Starlett aus dem eroti-schen
Italo-Film der Fünfziger, fehlt bloss die Vespa, dafür fehlen
reichlich Spaghetti und Gelati nicht.
Beweglich und asudrucksvoll
Auch musikalisch geht es wirblig zu, wofür schon mal die Musik von Giacchino Rossi-ni sorgt, auch wenn sie nicht durchs Band weg so originell ist, aber sowohl die Cha-raktere der Personen wie auch die Komik der Situationen trefflich wiedergibt. Harald Siegel sorgt mit dem so präzis wie prickelnd mitgehenden Orchester für ausgezeichnete Laune in gelegentlich an die Grenzen des Möglichen gehenden Tempi. Die Solisten auf der Bühne halten ebenso brillant und konstant mit. Allen voran die in glänzender Form agierende und singen-de Violetta Radomirska als Isabella, körper-lich, in Bewegungen und Mimik vielsagend und vieldeutig, in gesanglicher Hinsicht ebenso perfekt beweglich wie ausdrucks-voll. Eine Glanzpartie. Die Rolle ihres aus Sklaverei geretteten Liebhabers Lindoro wird von William Lombardi nach anfäng-lichen Trübungen und angestrengt wirken-den Höhen schliesslich mit schmelzender
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Stimme gesungen. Rosa Elvira Sierra ist einmal mehr stimmlich auf voller Höhe und bringt die Partie der unglückseligen Gattin Mustafas auch mit beträchtlicher Komik auf die Bühne, untadelig sekundiert von Amanda Schweri als ihre Lieblingssklavin.
Geschlossene Ensembleleistung
Da ist noch die eigentliche männliche Hauptrolle des Beys Mustafa, der von Mi-chele Govi mit grossem komödiantischem Talent und stimmlich virtuos verkörpert wird. Eine beträchtliche Dosis an Komik ist auch dem vermeintlichen Liebhaber der Isabella, dem Kaimakan Taddeo, zuge-dacht, und Michael Raschle erfüllt in dieser Hinsicht auch alle Erwartungen. Schliesslich ist der Kosaren-Kapitän Haly, von Khachik Matevosyan einwandfrei dar-gestellt und gesungen, nicht zu vergessen. Alles in allem ein geschlossenes Ensemble ohne Abstriche. Dazu gehört nicht zuletzt auch der Herrenchor unter Valentin Vassi-lev, welcher etliche Figuren in italienischer und muslimischer Kultur zu verkörpern hat und sich dabei als wandlungsfähig und stimmlich durchsetzungsfähig erweist. Das Publikum war an der Premiere glänzend un-terhalten und zeigte sich einhellig begeis-tert. |
Kräftige Farben, starkes Licht
Eine eindrückliche Premiere erlebte Giuseppe Verdis „Macbeth“ am Donnerstag im Theater „Palace“. Licht
und Farben dominierten die Bildersprache des Regisseurs Georg Rootering.
Daniel Andres
Zum Schluss gibt es einen siegreichen Aufstand der zum Tod des Gewaltherr-schers führt, welcher, angetrieben von einer ehrgeizigen Gemahlin, mit Mord und Terror das Land regiert hatte. Eine Ge-schichte aus dem 11. Jahrhundert Schott-lands, welche Assoziationen ans heute er-laubt, ohne dass eine Inszenierung speziell darauf hinweisen müsste. Georg Rootering vertraut auf die dramatische Aussage von Shakespeare und die Musik von Verdi und bringt das grausame Geschehen in eigent-lich einfachen aber eindrücklichen Bildern auf die Bühne.
Symbolische Bilder
In einem hölzernen Kasten, man könnte auch Käfig sagen, spielt sich die ganze Handlung ab: ob Schlosshalle, Schlaf-zimmer, Festsaal, Schlachtfeld, Ort der He-xen, die Ereignisse werden auf die Gefühle, Regungen und Taten der Menschen fo-kussiert. Dabei spielen Licht und Farben eine entscheidende Rolle. Für Bühne und Kostüme zeichnet Vazul Matusz verant-wortlich. Durch die Schiebewände im Hintergrund entstehen Räume und Flä-chen, die mal tiefblau, blutrot, grellgrün Stimmungen oder mehr, psychologische Situationen provozieren. Vor ihrem Hinter-grund als Projektionsfläche entstehen wie-derum bildlich und buchstäblich Erschei-nungen, manchmal in bedeutsamen Schat-tenrissen, manchmal realer und doch ab-gehoben. Es ist diese vieldeutige und symbolische aber nicht aufdringliche Bild-sprache mit ein paar symbolischen Requi-siten – einer überlangen Königsschleppe, einem Dolch, einer Krone, einer Kerze – welche die ganze Welt der Machtgier, des blutrünstigen Ehrgeizes, der Schuld und
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des Niedergangs schaffen. Die Kostüme in wohl bewussten Kontrast, gedämpfte Far-ben zu den kräftigen farbigen Lichtwirkun-gen.
Starke Individuen
Die Hauptpersonen des Dramas, der Feld-herr Macbeth und seine ihn zu blutigen Untaten anstiftende und antreibende Gat-tin vor allem, aber auch Banco und Mac-duff als Gegenspieler agieren vor und in dem auch durch eine einfache aber effekt-volle und aussagekräftige Lichtführung geprägten Umfeld als ausdrucksstarke In-dividuen. Lady Macbeth, gesungen und verkörpert von Corinne Angela Sutter, in erster Linie und hervorragend. Immer stär-ker im Laufe des Abends, aber schon in den ersten Auftritten, beeindruckt sie durch ihre höchst expressiv eingesetzte Stimme, die bloss am Anfang etwas ange-strengt wirkt, aber sich dann wundervoll löst und zur Ekstase wie zu natürlicher Leichtigkeit fähig wird. Die gegensätzliche, ja zerrissene Figur – zwischen Ehrgeiz, Heuchelei am Bankett und Irrsinn in der Nachtwandelszene – wird von der Sängerin stimmlich und darstellerisch bewunderns-wert gemeistert.
Berührend
Ebenbürtig Michele Govi als Macbeth, der eine ähnlich hin und her gerissene Rolle darzustellen hat und dies vor allem stimm-lich eindrucksvoll bewältigt. Im Darsteller-ischen gelingt ihm der Zweifel glaubwürdi-ger als Stolz und Kampfeslust. Sicher be-klemmend und emotional echt wirkt seine Begegnung mit den Hexen und die Umgar-nung durch ihre verhängnisvollen Fäden.
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Nicht so ausdrucksstark aber stimmlich wie immer solid ist Yongfan Chen-Hauser als Banco, dessen zweite Arie kurz vor seinem Tod sehr anrührend herüber kommt. Valery Tsarev als Macduff hat seine wirksame Szene und seinen stimmlichen Höhepunkt erst gegen Schluss angesichts des Todes seiner Kinder. Der emotionale Ausbruch führt auch zu stimmlicher Anstrengung, die nicht vollkommen bewältigt wird. In kleine-ren Rollen sind Katarzyna Rzymska, Kon-stantin Nazlamov, Valentin Vassilev und in stummen Rollen Martin Pulver und vier Kinder zu erleben. Insbesondere der Ein-satz der Kinder ist behutsam und einfühl-sam und auch berührend.
Starke Gesamtleistung
Der Chor hat als Frauen- oder Männerchor oder als Gesamtes eine grosse Aufgabe. Musikalisch ist der Einsatz mit ganz weni-gen kleinen Einschränkungen ohne Fehl und von vorzüglicher Wirkung. Die Damen sind als Hexen in der Erscheinung und im Agieren wirksam eingesetzt. Und auch bei den Herren bewährt sich der Ansatz des Regisseurs, einerseits stehende Bilder zu formen, andererseits eben auch Verfrem-dungen in Form von Schattenrissen einzu-setzen. Insgesamt erbringt der von Valen-tin Vassilev vorbereitete Chor eine starke Leistung. Dasselbe auch vom Orchester unter Franco Trinca. Musikalisch ist die ganze Produktion auf einem hervorragen-den Niveau, sängerisch und im Orchester-graben und im Zusammenwirken aller Be-teiligten. Verdient grosser Applaus für Solisten, Chor, musikalische und szenische Leitung.
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Schmachtende Ohrwürmer, spritzige Tanzweisen
Mit der Operette „Gräfin Mariza“ von Emmerich Kalman bietet das Theater
Biel-Solothurn zum Jahresende leichte Unterhaltung ohne Gewissensbisse
oder Bemäntelung an.
Daniel Andres
Lisa mit Zsupan Mariza mit Chor
Über die Festtage macht die ernste Muse jeweils Ferien und überlässt das Feld dem ungetrübten Amüsement. Die gute alte Operette wird hervor geholt und braucht offenbar nicht mehr mit ein bisschen Ge-sellschaftskritik dekoriert zu werden. Man wüsste auch kaum, welcher Art die Gesell-schaftskritik bei der Gräfin Mariza sein sollte. Die alte Geschichte aus feudalen Zeiten: eine Gräfin verliebt sich, aber da der Angeschmachtete bloss ein Gutsverwalter ist, liegt eine Heirat ausser Reichweite, bis sich glücklicherweise herausstellt, dass der Ersehnte doch ein verkleideter Adliger ist, und alles löst sich in Minne auf. Dieser Stoff ist auch im vorliegenden Fall vor al-lem Vorwand für schmachtende Melodien, Ohrwürmer, und ein paar rassig ungarische Tanzweisen, oder was man sich ihm vori-gen Jahrhundert noch unter Zigeunermusik vorgestellt hat.
Prima la musica
Wie bereits letztes Jahr im „Graf von Lux-emburg“ macht sich Thomas Schulte-Mi-chels keine Mühe, den reinen Unterhal-tungscharakter des Stücks zu verbrämen. Der Akzent liegt auf der meist schmissigen Musik, die Sänger sind meist vorne auf der Bühne platziert, wo sie sich auch gegen das unter Harald Siegel mit gelöster Hand-bremse spielende Orchester ohne Mühe behaupten können. Da könnte man auch Einwände erheben: Denn wirkliche Charakterzeichnung der
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Darsteller gibt es kaum, es sind die übli- chen Schablonen der Operettenrollen, und sowohl sängerisch wie musikalisch wird auf feinere Nüancen verzichtet. Es geht im grossen Ganzen recht laut zu, gelegentlich für den kleinen Raum und für empfindliche Ohren sogar eine Spur zu laut. Wirklich störend ist das aber auch nicht, denn einer-seits lässt Harald Siegel das munter mitge-hende Orchester mal richtig aufspielen und es klingt bunt farbig und auch manchmal frech, andererseits ist der Dirigent in den Tempi flexibel und elastisch genug, um die Musik der ungarisch gefärbten Wiener Operette aufblühen zu lassen. Eine Augen-weide, wenigstens jeweils zu Beginn der Akte, bietet das Bühnenbild mit einem Wald aus Sonnenblumen, in dem sich Pro-tagonisten und der insgesamt recht sta-tisch eingesetzte aber auch lautstarke Chor neckisch verstecken und sich necken kön-nen.
Ungetrübte Heiterkeit
In der ganzen Operetten-Heiterkeit tummeln sich die Darsteller doch unbeschwert und können ihr individuelles komödiantisches Talent ausleben. Clownesk und komödiantisch in ihren Chargen toben sich Konstantin Nazlamov als Zsupan und Levente György als Fürst Populescu aus. Sie sind diejenigen, die am ehesten für die Lacher sorgen. Natürlich sorgen im dritten Akt auch die unverwüstliche Ute Kreitmair als Fürstin |
Bozena und Eric Förster als Penizek für Heiterkeit.Valentin Vassilev betreut den Chor und schlüpft zudem in die Rolle des sehr ergebenen Dieners Tschekko. Die Gräfin wird von Rebekka Maeder stimmlich eindrück-lich gesungen und Valery Tsarev (abgese-hen von etwas zu vielen „Schluchzern“) gibt gesanglich wie als Erscheinung einen beachtlichen Grafen Tassilo. Christa Fleischmann mimt und singt seine Schwes-ter Lisa mit leichtem, unangestrengten Sopran. Amanda Schweri tritt als Manja in einer kleinen Rolle in Erscheinung. Der Zigeunerprimas Mihail Nemtanu dagegen ist als schauspielernder Geiger unüberseh- und unüberhörbar und nimmt das Publikum mühelos für sich ein.
Paprika und Walzerseligkeit
Es ist, wie eingangs angetönt, ein schwere-loser Abend, von Text und Musik und auch von der Inszenierung her vielleicht doch etwas wenig überraschend, so dass an der Premiere nicht die ausgelassene Be-geisterung herrschte, die wir von andern Aufführungen und vor allem von früheren Operetten-Inszenierungen her kennen. Wer absolut ungetrübte Unterhaltung, ver-quickt mit ein bisschen Nostalgie, süsse Evergreens „Komm Tzigane, komm Tziga-ne“, Schmelzende Walzermelodien „Sag ja, mein Lieb, sag ja“ und (nicht allzu schar-fen) Paprika „Komm mit nach Varaszdin“ sucht, kommt bei Kalmans „Gräfin Mariza“ auf seine Rechnung.
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Barocke Gefühlsausbrüche
Wiederum ist dem Theater Biel Solothurn mit der Händel-Oper „Ezio“ ein Wurf gelungen. Musikalische, sängerische und darstellerische Leistungen überzeugten das Premierenpublikum.
Daniel Andres
In einem muss man ein bisschen relativie-ren. Es gibt im internationalen Opernbe-trieb Aufführungen von Barockopern, die Massstäbe sprengen, mit spezialisierten Sängerinnen und Sängern, mit Orchestern aus lauter Barockspezialisten und Dirigen-ten, die auf historisierende Aufführungs-praxis seit Jahren spezialisiert sind. Mit solchen Produktionen kann das Theater Biel Solothurn mit seinen zur Verfügung stehenden Mitteln und Kräften nicht mit-halten. Und doch: verstecken braucht sich das Bieler Ensemble nicht. Man hat mutig für die Schweizer Erstaufführung eine Oper ausgesucht, die zu Georg Friedrich Hän-dels Zeit 1732 kein grosser Erfolg war. Da spielen aber oft auch Zufälle mit. An der Musik kann es nicht gelegen haben, denn der Komponist legt uns eine Kette von Arien vor, die jede Einzelne kaum schöner sein könnte. Von der ausdrucksvoll betö-renden Klage bis zu kämpferischen Bra-vourarien mit entsprechend virtuosen Ko-loraturen gibt es die ganze Palette barocker Ausdruckskunst. Und auch das Orchester brilliert mit vielfältigen, abwechslungsrei-chen und originellen Ausdrucksmitteln. Unter der sowohl impulsiven wie auch fein-fühligen Leitung von Moritz Caffier wird stilgerecht, bemerkenswert präzis und in einem adäquaten Klangbild musiziert.
Grosse Emotionen
Das Drama um „Ezio“ (lat Aetius), der 451
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Rom von der Hunnengefahr unter Attila befreite und den schwächlichen Kaiser Valentinian, mit den Intrigen um den kai-serlichen Thron und um versprochene Hei-raten und standhafte Treue ist vom Text-dichter Pietro Metastasio trotz der Wirr-nisse dramaturgisch glaubhaft umgesetzt worden. Das Happy End ist ein Tribut an die Zeit, in der die Oper vor allem Unterhal-tung war und das Publikum keine Konfron-tation mit harten Realitäten wünschte. Al-lerdings grosse Emotionen mussten wie in der Tragödie geboten werden. Die Inszenierung von Andreas Rosar in einem multifunktionalen Bühnenbild von Fabian Lüdicke ist im Grundsatz einfach und einleuchtend. Einerseits ein fast ab-straktes Spiel konzentriert sie sich im Laufe des Geschehens stark auf die Gestaltung der einzelnen Charaktere. Von den Darstel-lern verlangt das Bühnenbild, eine steil ansteigende Arena mit hohen Stufen, etli-chen Körpereinsatz und beinahe Akroba-tik. Doch bieten die unterschiedlichen Höhenniveaus auch Gelegenheit zur Dar-stellung emotionaler oder gesellschaftli-cher Höhenverhältnisse.
Willensstarke Frau
Als Titelheld fungiert der Countertenor Thomas Diestler, mit sehr schönem, aber noch entwicklungsfähigem Stimmmaterial. Er gestaltet die Rolle eines vom Absturz gefährdeten Helden sensibel und eher schüchtern und ergeben als auftrumpfend. |
Da ist seine Braut Fulvia, von Rosa Elvira Sierra verkörpert, von entschiedener Statur und ergreift sowohl als leidende wie auch als kämpferische Natur und auch mit ihren stimmlichen Mitteln die Zuschauer. Ge-wisse emotionale Ausbrüche sind manch-mal fast näher bei Bellini als bei Händel, aber auch Händel fordert und erträgt durchaus starke Gefühle. Einmal mehr verkörpert Rosa Elvira Sierra eine willens-starke Frau, die in dieser Oper aber nicht aufgerieben wird. Einen sehr starken Eindruck hinterlässt In-grid Alexander als Valentiniano. Die Frau in der Figur eines wohl eitlen wie schwachen Herrschers hat eine beeindruckende Wir-kung, und stimmlich bleibt die Sängerin ih-rer anspruchsvollen Partie nichts schuldig. Ebenfalls hervorragend in stimmlicher Hin-sicht, mit einem warmen und ausdrucks-starken Alt, ist Rie Horigucchi in der Rolle der Onoria auch optisch glaubwürdig. Gregory Finch singt die Tenorrolle der etwas erbärmlichen Figur Massimo mit Sicherheit und Strahlkraft, und Yongfan Chen-Hauser bewährt sich als Varo viel-leicht etwas ungewohnt sogar in barocken Koloraturen. Man verlangt im kleinsten Stadttheater der Schweiz von Sängern und Musikern eine unglaubliche Beweglichkeit, Anpassungs-fähigkeit und stilistische Vielfalt. So gese-hen ist die neuste Premiere einer barocken Oper Herausforderung, aber auch hoch er-freuliches Gelingen.
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2009/10
Mit „Tancredi“ führt das Theater Biel-Solothurn eine selten gespielte Oper von Giacchino Rossini auf, noch dazu
die erste Opera seria des Komponisten, und die Premiere hatte verdienten Erfolg.
Daniel Andres
Bereits die Einleitung zur Ouvertüre lässt einen anderen Rossini erwarten, als die spritzige, leichte, heiter verführerische Mu-sik, die man von den Buffo-Opern des Ge-nies gewohnt ist. Zwar verfällt die Musik gleich in die etwas routinierte Art der ande-ren Ouvertüren Rossinis, aber im Verlauf der Oper erstaunt der zur Zeit der Nieder-schrift zwanzigjährige Komponist immer wieder mit wirklich tragischen Tönen von grosser Ausdruckskraft.
Stiller tragischer Schluss
Alexander von Pfeil wählte für die Bieler Inszenierung den tragischen Schluss, wel-chen Rossini für Ferrara schrieb, während die Erstaufführung in Venedig noch mit einem (offenbar unbefriedigenden) Happy-End schloss. Dass Rossini den Mut hatte, die Oper mit einem Rezitativ zu schliessen, das in wenigen im Tod gestammelten Wor-ten und wenigen, von langen Pausen ge-trennten Akkorden endet, ist für seine Zeit schon beachtlich. Trotz diesem stillen, aber atemberaubenden Schluss ernteten Darsteller, Musiker, aber auch die Regisseur und Bühnenbildner (Piero Vinciguerra) stürmischen und sehr langen Applaus. Es war tatsächlich ein Abend, der in mancherlei Hinsicht künst-lerisch befriedigte und neben sängerischen Höchstleistungen auch Dramatik bot und auch ergreifend wirkte.
Äussere und innere Feinde
Dabei ist die Szenerie durchgehend düster, grau, ein Betonbunker, denn es herrscht Krieg. Krieg gegen äussere und innere Feinde, welche die Liebe zwischen Tan-
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credi und Amenaide zu einem tödlichen En-de führt. Rossini und sein Librettist Gaeta-no Rossi durchbrechen die starre Form der Opera seria in der damals noch üblichen Abfolge von Arien und seltenen Duetten durch etliche Szenen, in denen auch der Chor aktiv eingreift und die auch einen weniger statischen Charakter haben. Die Inszenierung unterstreicht dies durch re-lativ viel Aktion, die parallel zur gesunge-nen Handlung verläuft, in einigen wenigen Momenten, etwa bei der einzigen grossen Arie von Isaura , der Freundin Amenaides, lenkt diese Aktion von der Musik und einer sehr berührend gesungenen Arie ab. Die konsequent aktualisierte Handlung, die an einen modernen Bürger- oder Terror-krieg denken lässt, steht aber im Übrigen erstaunlich wenig im Konflikt mit dem Text und der Musik von 1813, einer Zeit aller-dings, in der Europa von den napoleoni-schen Kriegen geprägt war.
Tragische Frauenrollen
Sängerisch dominieren die Frauen. Die Ti-telrolle wird vom Mezzosopran Violetta Radomirska gesungen, mit der vollen ihr eigenen stimmlichen und darstellerischen Ausdruckskraft. Die Partie der Amenaide ist stimmlich und darstellerisch Rosa Elvira Sierra auf den Leib geschrieben. Wie als Lucia bei Donizetti hat sie hier eine aus-sichtslose tragische Rolle einer jungen Frau und von ihr wird auch höchste stimm-liche Virtuosität gefordert und sie füllt bei-des hervorragend, begeisternd und ergrei-fend aus. Rie Horiguchi zeigt als Isaura bewegende Treue und einen ausdrucks-vollen Alt Sängerisch weniger zum Zug kommt die andere Studentin des Opern- |
Tancredi, Melodramma eroico in zwei Akten Musik Giacchino Rossini Text Gaetano Rossi nach der Tragödie “Tancrède” von Voltaire Uraufführung 1813 in Venedig, Teatro La Fenice 2. Fassung 1813 in Ferrara
studios, Nathalie Colas, als Kumpel von Tancredi.
Straff führende Dirigentin
Von den Herren meldete sich William Lom-bardi als Argirio in der Pause als indispo-niert, nachdem ihm im ersten Akt ein paar Töne misslungen waren. Mit Ausnahme dieser paar hohen Töne war er aber als Vater Amenaides sehr präsent und gefiel meist mit seinem doch (nach anfänglicher Mattigkeit) geschmeidigen und leuchten-den Tenor. Yongfan Chen-Hauser zeigt sich einmal mehr als verlässlich und sicher in der Partie des ziemlich tyrannischen Kriegsherrn Orbazzano. Trefflich auch wieder der von Valentin Vas-silev einstudierte und auf der Bühne ange-führte Herrenchor, von der Regie mannig-fach individuell eingesetzt.. Schliesslich bietet das Orchester unter straffer, aber auch beweglicher Führung durch die Dirigentin Cornelia von Kessen-brock eine bis auf kleine Details hervorra-gende Deutung der reichhaltigen Rossini-Partitur und auch die Koordination zwi-schen Bühne und Orchester ist tadellos. Alles in allem eine exzellente Leistung des Musiktheaters, die Aufmerksamkeit ver-dient.
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Macht, Rivalität und Traumatisierung
„Il trovatore“ von Giuseppe Verdi hatte am Donnerstag im Theater Palace Premiere mit musikalischen Höhepunkten
und einer zumindest anregenden Inszenierung.
Daniel Andres
Es sind viele Ingredienzien, welche diese Oper ausmachen. Bei einem teilweise auch etwas undurchsichtigen Handlungsablauf, wäre es wichtig, einige zentrale Schichten herauszuschälen. Das hat Stefanie Paster-kamp in ihrer Inszenierung zweifellos an-gestrebt und es ist ihr wohl auch in Eini-gem gelungen. Die paar Buhrufe beim Schlussapplaus können bei weitem nicht zudecken, dass die Geschichte aus Liebe, Eifersucht, Rivalität, Machtkampf, Rache und Opfer in einem modernen Dekor auf zumindest zwei Punkte fokussiert wurde: das Kindheits-Trauma und das Ausge-schlossensein einerseits, den grausamen und gleichzeitig ohnmächtigen Macht- und Besitzanspruch andererseits.
Gräueltaten
Es ist eine Story aus dem dunklen (späten) Mittelalter, das viele romantische Dichter fasziniert hat. Mit Rivalitäten und Macht-kämpfen unter kleinen und grossen Fürs-ten, welche ihre Untertanen und auch die nähere Umgebung mit Verachtung und ungebremstem Besitzanspruch behandel-ten. Mit dem auch religiösen und kirchli-chen Wahn, alles Andersartige, Anders-denkende und Andersfühlende ausmerzen zu wollen und zu können. Wenn wir glau-ben, wir seien heute weiter, so lehrt uns die Tagesschau jeden Abend das Gegenteil. Die Zigeunerin Azucena ist so ein Beispiel der mehrfach Ausgestossenen, ihrer Her-kunft wegen und als Traumatisierte, die als Kind ihre Mutter auf dem Scheiterhaufen hatte brennen sehen. Die Szene an der trostlosen Busstation, in der Azucena
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ihrem Sohn (der er in Wirklichkeit nicht ist) ihr traumatisches Jugenderlebnis inmitten unbeteiligter und gleichgültiger Menschen schildert, ist eine gelungene und sehr ein-drückliche Umsetzung der seelischen Lage einer Tochter und jetzt Mutter, die weiss, dass sie eigentlich ihren eigenen Sohn ge-tötet hat und sich jetzt an einen Ziehsohn klammert.
Äussere und innere Realität
Auch wenn naturgemäss die gesungenen Worte mit der Bühnenrealität nicht über-einstimmen, etwa wenn Leonora statt zum Altar in eine Bahnhofshalle eilt, um von ihren Freundinnen Abschied zu nehmen, dort nicht von Luna und seinen Gehilfen gekidnappt wird, sondern den angebeteten Geliebten Manrico trifft, innerlich stimmen die Situationen. Die sehr sachlichen De-kors und das Licht stimmen ebenso, wie die offenen Umbauten wiederum anzeigen, dass es nicht um äussere Realität, sondern um Bilder von inneren Wirklichkeiten geht. Alessia Sparacio ist eine höchst intensive, glaubwürdige und erschütternde Azucena mit adäquaten stimmlichen Ausdrucks-mitteln. Die andere Frau, die unglücklich umworbene und sich opfernde Leonora, setzt Lichtblicke im helleren Bereich der Liebe, und Corinne Angela Sutter steigert sich in dieser Partie stimmlich zu immer reineren und lichten und auch ergreifenden Tönen.
Musikalischer Gewinn
Bei den Männern ist es Michele Govi, der
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als machtgieriger, grausamer, aber letztlich um seine Ohnmacht wissender Conte di Luna darstellerisch wie stimmlich eine grosse Präsenz ausstrahlt. Der Manrico von Angelo Ferrari besticht stimmlich mit einem hellen Timbre, kraftvollem aber nicht forciertem Einsatz (das lange hohe C am Schluss der Kampfarie hält er mühelos), aber bleibt darstellerisch und in der Mimik meist etwas steif. Yongfan Chen-Hauser ist (nach kleiner Aufwärmphase) ein untade-liger Ferrando. Und die kleineren Rollen, die Rie Horiguchi, Konstantin Nazlamov und Valentin Vassilev innehaben, fügen sich tadellos ein. Valentin Vassilev hat auch den Chor her-vorragend vorbereitet. Die relativ grosse und nicht einfache Chorpartie wird von den Sängerinnen und Sängern genau und mit guter Stimmkultur ausgeführt. Spiele-risch tritt der Chor auch natürlich locker und mit einigen guten Einzelleistungen auf. Franco Trinca führt durch die herrliche, mal dunkel dramatische, mal wunderbar hell und „himmlisch“ gefärbte Partitur. Das Orchester zeigt sich von der besseren Seite und so ist der Abend musikalisch unbestritten ein hoher Gewinn.
Il trovatore Drama in vier Teilen Libretto von Salvatore Cammarano und Leone Emmanuele Bardare Musik von Giuseppe Verdi Uraufführung am 19. Januar 1853 in Rom
Infos: www.theater-solothurn.ch
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Alter Lüstling und falscher Graf
Mit „Der Graf von Luxemburg„ von Franz Lehar offeriert das Theater Biel Solothurn zum Jahresende eine
klassische Operette. Die Premiere am Freitag war ein Erfolg.
Daniel Andres
Valery Tsarev und Chor Konstantin Nazlamov und Marysol Schalit
Der Regisseur Thomas Schulte-Michels legt eine Bieler Textfassung vor, die wie-derum auf einer Fassung von 2005 basiert. Es ist also nicht ganz das Stück, das Lehar mit den Textdichtern Alfred Maria Willner und Robert Bodanzky 1909 mit glänzendem Erfolg am Theater an der Wien zur Urauf-führung brachte.
Reicher Alter sucht junge Dame
Was daran besser sein soll, ist ein Geheim-nis, denn ausser dass ein Paar Namen ge-ändert wurden und der Fürst Basilowitsch jetzt ein Konsul ist und der Graf von Lu-xemburg ein erfolgloser Schriftsteller, der sich als Graf ausgibt, wurde am Plot nicht viel geändert. Es ist die schon fast ewige Geschichte auch in der komischen Oper, dass ein reicher Alter sich an eine junge Dame heran macht, aber zu guter Letzt doch übertölpelt wird, so dass jung und jung sich finden und der Alte mit seiner Alten, die überraschend auftaucht, vorlieb nehmen muss. Jetzt muss das Ganze bloss noch spritzig und doch mit einem Hauch von Glaubwür-digkeit (oder auch das Gegenteil davon) inszeniert werden. Thomas Schulte-Mi-chels hat sich nichts Umwerfendes einfal- len lassen. Es gibt aber auch nichts, was das Publikum verstören könnte. Und so lebt das leichtfüssige Stück vor allem von der mal schmissigen, mal süssen Musik Lehars, einige nette Walzer-Melodien hat der Komponist immerhin geliefert
Blicke auf Strapse
Die Dekors sind einfach und keineswegs
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luxuriös und „leben“ in erster Linie von Farbe und Licht, wirken aber nicht nur im Künstleratelier des ersten Akts fast zu schäbig. Die Kostüme (Tanja Liebermann) neigen auch nicht zu Luxus, lassen dafür züchtig laszive Blicke auf Strapse bei den Damen und beim Chor auch auf mehr oder weniger behaarte Männerbeine zu. Die ganze Ambiance ist von Beginn bis Ende fasnächtlich ausgelassen. Und die Prota-gonisten singen mit wenigen Ausnahmen vornehmlich vorne an der Rampe, so dass die Stimmen den Orchestergraben mühelos überwinden, ja sogar gelegentlich etwas schrill klingen. Valery Tsarev ist ein gefälliger Operetten-graf und allein oder im Duett mit der Sän-gerin Angélique vermag er das Publikum stimmlich und als Erscheinung für sich einzunehmen. Auch Rebekka Maeder hat als Sängerin des Apollo-Theaters (im Original ist sie Operndiva) gute Trümpfe und verkörpert die Geliebte des Konsuls und Scheinvermählte des Grafen mit etwas Frivolität und stimmlich untadelig. Das Buffo-Paar mit Marysol Schalit in der Rolle der Göre Julie Wermont und Kons-tantin Nazlamov als Maler Nikolai Prska-wetz sind zappelig, sie fast etwas zu vor-laut, aber beide fühlen sich sichtlich wohl in den Rollen.
Freudiges Wiedersehen
Levente György überzeugt stimmlich wie darstellerisch völlig in der dankbaren Rolle als lächerlich verliebter Hagestolz. Seine unerwartet anreisende Gattin Anastasia ist niemand Anderes als die frühere erfolg-reiche Soubrette Ute Kreitmair, welche nun
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als rauchigstimmige Diseuse einen erfolgs-rächtigen Kurzauftritt hat. Das Wieder-sehen machte Freude. Kommt noch das Nebenpersonal hinzu, zwei „Geheime“ (Gregory Finch, Christoph Pfaltz), ein Standesbeamter (Fabio di Gia-comi), alle drei vom Opernstudio Biel oder Neuenburg, sowie ein Concierge, welche ihre komischen Rollen mit sichtlichem Behagen ausspielen. Der Chor hat keine allzu grosse Aufgabe und ist meist bloss Staffage, ist aber wie stets gut vorbereitet von Valentin Vassilev und ist gut bei der Sache. Moritz Caffier ist für die musikalische Leitung verantwortlich und unter seiner Führung erzielt das Orchester einen sehr schönen Lehar-Sound, spielt genau und wenn nötig mit Schmiss oder je nachdem mit Zärtlichkeit, ist gut abgestimmt und überdeckt auch nie die Sänger auf der Bühne. Wer Freude hat an der leichten Muse, dem wird Stück und Aufführung gefallen und der Beifall an der Premiere lässt einen (hoffentlich auch kassenfüllenden) Erfolg erwarten.
Der „Graf von Luxemburg“ gehört zur „klassischen“ Zeit oder goldenen Aera der Wieder Operette, die mit Franz von Suppé begann, mit Carl Millöcker, Carl Zeller und vor allem Johann Strauss Sohn ihren Höhepunkt erreichte und mit Franz Lehar (Die lustige Witwe, 1905) noch bis zum ersten Weltkrieg die Vorherrschaft der österreichischen Unterhaltungsindustrie begründete.
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Zwei Ehebrecherinnen
Zwei Kurzopern hatten letzten Freitag im Bieler Stadttheater Premiere. „Alexandre bis“ von Bohuslav Martinu
handelt von ehelicher Untreue und „L’heure espagnole“ von Maurice Ravel feiert diese auf spassige Art.
Daniel Andres
Die beiden Stoffe haben Gemeinsamkeiten, aber sie werden einmal beinahe moralisier-end, das andere Mal mit humorvoller Un-bekümmertheit behandelt.
„Alexandre bis“ (Zwei Mal Alexander) von Bohuslav Martinu, auf ein original fran-zösisches Textbuch von André Wurmser, entstand 1937 in Paris, wurde aber erst 1964, fünf Jahre nach dem Tode von Martinu erstmals aufgeführt. Es ist eine „surrealistisch“ gemeinte Handlung, wel-che frauliche Emanzipation und männliche Untreue (besser: männliche Verführung zur Untreue) in einem trotz witziger Musik altbacken wirkenden Stil auf die Bühne bringt. Man ist etwas ratlos: wie in „Cosi fan tutte“ sind eigentlich die Männer die Anstifter, aber der Vorwurf der Laster-haftigkeit lastet am Ende auf den Frauen. Immerhin bekommt bei Martinu/Wurmser die Frau Lust am Seitensprung, sozusagen ein Akt weiblicher Emanzipation, aber mit etwas viel Psychologie verbrämt. Kein Hehl aus Sympathien
Bei der Uraufführung von Kritikern als „musikalische Pornografie“ bezeichnet, machen Ravel und seine Textdichter Franc Nohain in der „Spanischen Stunde“ kein Hehl daraus, wem ihre Sympathien ge-hören. Ganz eindeutig der lebensfrohen Uhrmachergattin Concepcion, welche je-weils die berufliche Abwesenheit ihres Gatten zu Schäferstündchen benützt. Wobei das Abenteuer für einmal eine
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unerwartete Wendung nimmt.
Signifikante Unterschiede
Die Premiere vom Freitag wurde von Kräf- ten das Hauses gesungen, am Sonntag fand die zweite Aufführung mit drei Solis-ten, die mit den Stücken demnächst am Opernwettbewerb im ungarischen Szeged teilnehmen werden, statt. Die Inszenierung ist natürlich identisch, und darstellerisch folgten die jeweiligen Teams bis in Details von Augenzwinkern und dem Verziehen von Mundwinkeln den Vorgaben des Regisseurs Bertalan Bagó. Kleine signifi-kante Unterschiede gab es dennoch, und, ohne die eine Besetzung gegen die andere ausspielen zu wollen, gab es durchaus auch Präferenzen für die hauseigene Ver-sion. Die Armande in „Alexandre bis“ wird beide Male von eigenen Kräften gesungen, mal von Rosa Elvira Sierra, die neben gesang-licher Brillanz auch ihre komödiantische Begabung ausspielt, mal von Alessandra Boër, welche fast gleichwertig mithalten kann. Das Dienstmädchen Philomène (gleichzeitig Erzählerin) wird von Violetta Radomirska und Friederike Meinel eben-bürtig dargestellt. Bei Valery Tsarev und Peter Balczo als (drittem Liebhaber) Oscar geben wir stimmlich dem Ungaren Balzcó ein leichtes Plus, umgekehrt gefällt das natürliche Komödiantentum von Tsarev eher besser. Eher umgekehrt geben wir stimmlich dem „heimischen“ Michele Govi den Vorzug vor Stanislaw Kierner in der Rolle des Alex- |
andre, wobei es darstellerisch in etwa auf dasselbe hinaus läuft. Levente György ist beide Male als „Porträt“ von Alexandre untadelig mit einigen gepressten Tönen in hoher Lage.
Unbekümmertheit
Im musikalisch genialen, feinsinnigen und geschliffen humorvollen Einakter von Ravel ist Violetta Radomirska vor Friede-rike Meinel die elegantere, in Charme und Leidenschaft, Wut und Enttäuschung, Raffinesse und Unbekümmertheit über-zeugendere Ehebrecherin Concepcion. Peter Balczó hat als Gonzalve den etwas schlankeren und helleren Tenor als Valery Tsarev, der aber wiederum darstellerisch mehr Leichtigkeit bringt. Tsarev hat für den Franzosen Ravel zu viel Verdi, Balczó da-gegen zuviel Lehar in der Kehle. Michele Govi und Stanislaw Kierner verkörpern den schliesslich „siegreichen“ Maultiertreiber Ramiro. Beide wirken überzeugend, wobei Michele Govi der Rolle ein Quäntchen mehr genüsslichen augenzwinkernden Humor bietet und auch stimmlich neben der Radomirska ein Genuss ist. Konstantin Nazlamov spielt und singt erfolgreich den Uhrmacher Torquemada und Levente György ebenso glaubhaft den in der Liebe etwas unglückseligen reichen Bankier Don Inigo Gomez. An beiden Abenden dirigierte Harald Siegel souverän, den Martinu sehr präzis, liess aber in beiden Partituren, aber vor allem beim so raffinierten Ravel, etwas dynamische und klangliche Differenziertheit vermissen.
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Possenhaft, doch nicht oberflächlich
Mozarts „Zauberflöte“ wird im Theater Biel-Solothurn (Premiere letzten Freitag in Biel) in der Inszenierung
von Beat Wyrsch als Kasperl- und Zauberoper aufgeführt.
Daniel Andres
Schon die flotten Tempi, die Franco Trinca in der Ouvertüre anschlägt, tönen an, dass nicht die Feierlichkeit im Mittelpunkt stehen wird. Und anstelle der schrecklichen Schlange, die den Prinzen Tamino in der Wildnis bedroht, wird er von den recht aufreizenden drei Damen mit Bällen und Papierschlangen beworfen. Und mit seinem ersten Auftritt, in der er noch als angeblicher Schlangen- oder Drachenbezwinger prahlt, tritt Papageno in den Mittelpunkt. Und er bleibt eigentlich bis zum Schluss der Held, der im Grunde das Gegenteil eines Helden ist. Sterben für eine grosse Sache ist sein Ding überhaupt nicht, aber auch in der Bedrängnis noch maulen und jedenfalls und immer seine Eigenart und seine Persönlichkeit wahren tut er schon. Beat Wyrsch versteht es, mit anscheinend unbedeutenden Gesten Personen und Beziehungen zu zeichnen und zu ver-deutlichen. Dem Prinzen Tamino und dem Vogelfänger Papageno werden in Ge-fangenschaft Masken (ein bisschen wie in den Folterszenen aus Abu Ghraib) übergestülpt, doch Papageno setzt sich seinen Jägerhut darüber auf und behauptet so trotzig seine Identität.
Vorstadttheater
Insgesamt hat das Komödiantische eindeutig die Oberhand und anders als in den Inszenierungen als „Grosse Oper“ erhält die „Zauberflöte“ in der Bieler Version ihren Charakter als Kasperl- und Zauberspektakel wie sie Textdichter und Theaterdirektor Emanuel Schikaneder für sein Wiener Vorstadttheater auf der Wieden und für ein Publikum, das zur Unterhaltung ins Theater kam, vorgehabt hatte. Die Priesterszenen und der ganze feierliche Freimaurerpomp wirken hier wie Episoden, die als Kontrast zum Lustigen eingesetzt sind. „Normalerweise“ ist es grad umgekehrt, Papageno wirkt als
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(beinahe überflüssige) Kontrastfigur zur Weihe des Prinzen vom Rächer der Königin der Nacht zum neuen weisen Herrscher der Gelehrten- und Priestermonarchie. Auch hier ein paar bezeichnende Details. Beat Wyrsch zeichnet eine Tempelgemeinschaft, die eigentlich (auch) eine Gelehrten-gemeinschaft ist, die Bücher studiert, Leichen seziert und die Erde und das All beobachtet. Dabei gibt es auch kleine Rivalitäten und Machtkämpfe: der erste Priester nimmt die goldene Kette, das Zeichen herrscherlicher Macht, aus der Hand Sarastros um es dem neuen Herrscher Tamino umzuhängen. Letztlich aber wird das Machtsymbol dann doch von der Frau, Pamina, verliehen. Viele Details, bei allem lustigen Klamauk, sind in der überlegten und sorgsamen, aber herrlich unterhaltsamen Inszenierung
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festzuhalten.
Reinheit und Leidenschaft
Bleibt eine Würdigung des einfachen, aber raffinierten Bühnenbildes von Christoph Wagenknecht, das aus Vorhängen, einer farbigen Rückwand und Licht besteht und der schlichten, auch ein bisschen ironischen Kostüme von Eva-Maria Pfeiffer, sowohl bei der Welt der Sternenkönigin wie in der Priesterwelt. Musikalisch und darstellerisch könnte man unterschiedliche Noten verteilen. Franco Trinca schlägt durchs ganze Stück flüssige Tempi an, an die sich die Sänger teilweise noch gewöhnen müssen. Haften bleibt eine absolut hervorragende Arie der Königin der Nacht gesungen von einer fabelhaften Rebekka Maeder, der absolut reine Spitzentöne gelingen ohne an Leidenschaftlichkeit einzubüssen. Sowohl darstellerisch wie stimmlich ist Michael Raschle als Papageno umwerfend und begeisternd grosse Klasse. Der Tolpatsch, der Tor, der sich rührend nach Liebe sehnende Naturmensch, alles ist wunderbar getroffen, und Rosa Elvira Sierra ist eine anrührende Pamina, Emily Fultz eine sehr ansprechende Papagena. Die drei Damen sind stimmlich ausgeglichen und haben auch sinnliche Reize, die drei Knaben im weissen Clowndress sind ebenfalls stimmlich ein untadeliges Ensemble auch in Quartett- und Quintettformation mit den Protago-nisten. Die ernsten Partien von Tamino (Valery Tsarev), Sarastro (Yongfan Chen-Hauser), der Priester und Geharnischten wie auch des Monostatos stehen etwas im Schatten der weiblichen Rollen und des Papageno und können auch stimmlich weniger begeistern. Die Chöre, auch die Priesterchöre, sind von Valentin Vassilev gut vorbereitet und wirken sicher.
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Erfrischende und prickelnde Persiflage
Es war eine turbulente spritzige und prickelnde Version der Opéra-bouffe „La Périchole" von Jacques Offenbach,
welche das Theater Biel Solothurn am Freitag auf die Bühne des Bieler Stadttheaters brachte, und zwar in darstellerischer
wie musikalischer Hinsicht.
Daniel Andres
Nach etwas mehr als zwei Stunden, drei Akten und vier Bildern verliess das Pub-likum aufgeräumt und vergnügt die Spiel-stätte. Wie immer an Premieren, waren auch viele Freunde der Sängerinnen und Sänger, Musikerinnen und Musiker im Saal, und sie spendeten alle den Hauptakteuren, aber auch den Nebendarstellern begeisterten und auch hoch verdienten Beifall. Einmal mehr war es eine Produktion, in der man wie die Nadel im Heuhaufen das Haar in der Suppe suchen muss, um irgendwelche negativen Seiten zu finden. Kurz: es war ein toller Abend. Komische Leidenschaften Das Stück der Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy mit der Musik von Jacques Offenbach ist eine veritable Buffo-Oper mit einer in jeder Hinsicht virtuosen Persiflierung der Gesellschaft und auch der seriösen und tragischen Grande-Opéra. Will heissen, es kommen alle grossen Lei-denschaften um Macht, Geld, Ehre, Liebe und Eifersucht zum Zug, jedoch mit der Umformung ins Satirische und Komische. Wie schnell schlägt auch im Leben Tragik und vermeintliche Grösse in Komik um, zeigen uns die Textautoren und der geniale Musiker, der Offenbach war. Der gesell-schaftskritische Unterton, der den Offen-bach-Werken auch zugrunde liegt, na, der wurde hier nicht speziell heraus gearbeitet. Aber das kennen wir ja ohnehin: diejeni-gen, die oben in Saus und Braus feiern, während die unten fürs tägliche Brot auch mal ihre Ehre aufs Spiel setzen müssen, auch ohne es zu wollen. Also amüsieren uns darüber statt uns zu ärgern.Und Regisseur Thomas Schulte- Michels |
setzt dies mit den nicht luxuriösen Mitteln einer Kleinstadtbühne aber hoch motivier-ten Mitwirkenden zu mindest hoch amü-sant um. Wobei eine leicht veränderte und gekürzte Textfassung des Theaters Biel, die aber in der französischen Originalspra-che gesungen wird, zum Zuge kommt. Das Bühnenbild ein Kasten mit rotem und im zweiten Teil silbern leuchtendem Stan-niol ausgekleidet. Die Kostüme (Tanja Lie-bermann) passend zu clownesken und überdrehten Auftritten.
Ausgelassen, doch nicht peinlich
Bereits beim ersten Auftritt des Chors und der Protagonisten zeigt sich die Fähigkeit des Regisseurs, einerseits zu organisieren, zu choreografieren und zu koordinieren, andererseits der Spielfreude der Individuen freien Lauf zu lassen. Die wilde Fete zu Be-ginn und auch die totale Besoffenheit des gesamten Bühnenpersonals im zweiten Bild wirken so ausgelassen und echt komisch, aber ohne grobe Peinlichkeit. Der Chor, einstudiert von Valentin Vassilev, zeigt sich in diesen Szenen, aber auch später, wo er mehr zum Beobachter und Kommentator wird, einmal mehr von seiner besten Seite. Musikalisch sicher, weitgehend präzis (bis auf einige kleine Verzögerungen) und ausnehmend spielfreudig.
Verwandlungskunst
Bei den Darstellern staunt man über die immense und anscheinend äusserst ver-gnügliche Wandlungsfähigkeit des Opern-ensembles. Carmela Calvano Forte zeigt eine temperamentvolle, selbstsichere und |
lustvolle, in der Briefszene auch zu echten Gefühlen fähige Péricole. Ihr etwas un-glücklicher Geliebter und unfreiwilliger Ge-mahl Piquillo wird von Valery Tsarev auf anrührend komische Weise gespielt und gesungen. Einen in jeder Hinsicht glänzend persiflierten Vizekönig mit Machtanspruch aber ohne Scheu, in jeden Fettnapf zu tre-ten, zeigt Michael Raschle. Umwerfend die Hofschranzen und Meister der Korruption und diensteifrigen Unterwerfung Konstan-tin Nazlamov, der sein komisches Talent noch einmal überbietet, und Yongfan Chen-Hauser, von dem man solch lächer-liche Rollenporträts weniger gewohnt ist. Die beiden Notare Valentin Vassilev und Jérémie Brocard spielen die Sturzbesoffen-heit in ihrem Auftritt völlig glaubwürdig. Von den Damen überrascht Rosa Elvira Sierra, die sich von der Tragödin (in „Lucia di Lammermoor") zu einer der lebens-lustigen wie geldgierigen „Cousinen" ver-wandelt, sekundiert von Julia Schiwoka und Barbara Horáková und Verena Poncet als Ninetta, die letzteren drei Studierende des Schweizer Opernstudios.
Gelungene Premiere
Schliesslich der musikalische Leiter des Abends, Moritz Caffier. Es ist seine erste eigene musikalische Produktion, und er überzeugte mit handwerklichem Können, straffer und genauer Führung und doch viel Flair für den französischen Esprit der Musik sowohl ein vortrefflich mitgehendes Orchester wie die Sänger wie auch das Publikum, das ihm herzlich und stürmisch und auch wohlverdient zu seiner gelungenen Premiere applaudierte. |
23. Oktober 2008. Eine selten abgerundete Glanzleistung bot das Opern-Ensemble des Theaters Biel Solothurn am Donnerstag in „Lucia di Lammermoor“ von Gaetano Donizetti.
Daniel Andres
Donizettis tragisch-romantische Oper „Lucia di Lammermoor“ ist ein Vorstoss in das Innere eines Menschen. Der Versuch, die psychologischen Vorgänge eines Men-schen und insbesondere einer Frau musi-kalisch und szenisch darzustellen ist vor-her kaum einmal so weit getrieben worden. Etliche Gestalten in dem verhängnisvollen Ablauf des Stücks entsprechen noch fast typisierten Figuren. Der Schurke Norman-no, der Geistliche Raimondo, Lord Arturo, der Lucia aus irgendwelchen Gründen, bloss nicht aus wirklicher Liebe heiratet, handeln nach einem Schema und nach ein-er hergebrachten Dramaturgie. Differenzierter sind Lord Enrico, der Bruder Lucias, und Sir Edgardo, der wirkliche Ge-liebte der Titelfigur, dargestellt. Sie haben innere Konflikte und handeln zwar nach gewissen gesellschaftlichen Vorgaben – Ehre, Rache, Ansehen, Stellung, finanzielle Sicherheit -, aber vor allem Edgardo (der Gute im Stück) ist doch bereit, Konventio-nen hinter sich zu lassen und aus Liebe zu Lucia auf die Rache gegen Enrico zu ver-zichten. Lucia ist dazwischen und ist einer Männergewalt und –logik ausgesetzt, der sie sich nicht unterziehen will und der sie sich, dazu gezwungen, durch Mord und „Flucht“ in den Wahn entzieht.
Ambivalente Figuren
Die Inszenierung von Gregor Horres ging im Grunde sehr genau auf diese Konstella-tion ein. Sie zeigt die Positionen im Macht-spiel und wie am Schluss alle verlieren schnörkellos geradlinig und konsequent auf. Zusammen mit dem einfachen, dank
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Lichtfarben auf die psychologische Situa-tion eingehendem Bühnenbild und den – mit Ausnahme weniger Frauen - weit-gehend schwarzen Kostümen (Eva-Maria Pfeiffer) wird auch die Stimmung für einen erbarmungslosen Verlauf der Tragödie ge-schaffen. Ein Verdienst der Inszenierung ist aber auch die treffliche Charakterisierung der doch ambivalenten Figuren. Lord Enrico ist ein Egoist, aber auch aus Schwäche und Zukunftsangst. Arturo bleibt recht farblos, ein anständiger Edelmann, der nicht recht realisiert, was mit ihm gespielt wird. Ed-gardo ist der jugendliche Liebhaber, der alle Gefahren aus einer alten Familienfehde vergisst und verdrängt und neben Lucia ein Opfer der Intrigen wird. Raimondo ist voll guten Willens, aber unfähig, die zum Unheil drängenden Konventionen zu durchbrechen, und Normanno ist der Fies-ling und Drahtzieher und hat als Einziger ausschliesslich schurkenhafte Züge (und eine entsprechende Mimik).
Sängerische Höchstleistung
„Lucia di Lammermoor“ wurde aber zur Erfolgsoper bis zum heutigen Tag wegen der Musik. Einerseits wegen ungeheuer schlagkräftiger Dramatik bereits im ersten Akt, welche von einer aussagestarken Mu-sik grossartig unterstützt wird. Anderer-seits wegen der alles dominierenden Wahnsinnsszene im zweiten Akt. Und hier zeigt sich die Künstlichkeit der Oper, indem der musikalische Ausdruck an eine unglaubliche stimmliche Virtuosität geknüpft ist, welche bis heute genau so fasziniert wie das eigentliche Bühnendrama. Eine Frau die ausser sich ist
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und Koloraturen und höchste Spitzentöne und ein wahres Feuerwerk an Gesangs-technik produziert, das auch reine Stimm-fetischisten immer wieder begeisterte. Und diese Ambivalenz war auch an der Premiere vorhanden. Man ist gerührt vom Schicksal der unglücklich Liebenden und bewundert gleichzeitig die Singkunst der Sopranistin Rosa Elvira Sierra, welche das Publikum zu Ovationen hinriss. Franco Trinca, der musikalische Opernchef, hat ja eine Fassung der „Lucia“ gewählt, die noch etwas höher liegt als die meist ge-bräuchliche. Und das meistert die mexika-nische Sängerin, welche uns schon in „La Sonnambula“ beglückte, bewundernswert. Sängerisch und darstellerisch eine wahre Höchstleistung.
Begeistertes Publikum
Sehr viel Gefallen finden auch die sängeri-schen Leistungen der Herren, von Michele Govi als stimmstarkem Enrico über den schönen Tenor von Valery Tsarev als Ar-turo über den strahlenden Tenor von Os-car Roa in der Partie des Edgardo bis zum fülligen Bariton von Yongfan Chen-Hauser als Raimondo. Barbora Horakova als Alisa und Konstantin Nazlamov als Normanno haben nicht so grosse sängerische Partien, meisterten diese aber auf dem guten Ni-veau der gesamten Aufführung. Wozu auch das gut disponierte Orchester beitrug. Kleine Unreinheiten im Blech, aber insgesamt sehr geschlossen und mit her-vorragenden Soli der Harfe (Johanna Baer) und der Flöte (Polina Peskina) und mit viel Elan, aber auch Differenzierung des musi-kalischen Leiters Franco Trinca. Ein rund-um und zu Recht begeistertes Publikum.
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Ein musikalisch hörenswerter „Don Giovanni“
2. September 2008. Mozarts Dramma giocoso „Don Giovanni“ wurde am Dienstag im Theater Palace gegeben. Die Ausführenden waren Gäste aus dem Jura, die im Rahmen der Sommerkonzerte des Bieler Sinfonieorchesters auftraten.
Daniel Andres
Es war eine halb konzertante Aufführung von Mozarts berühmter Oper um den ruch-losen Frauenverführer Don Juan. Die Pro-duktion wurde in Moutier bereits sechs Mal szenisch aufgeführt und weitere Gastspiele in der Romandie werden folgen. Es war also keine eigentliche Premiere und sowohl Orchester wie Sänger sind bereits eingespielt. Halb konzertant bedeutet, dass in Kostü-men aufgetreten wird und die Handlung zu-mindest angedeutet wird, aber im „Palace“ verzichtete man auf ein eigentliches Büh-nenbild und spielte vor einer je nach Szene in unterschiedlicher Farbe ausgeleuchteten Wand. Für die Inszenierung verantwortlich zeichnet Robert Bouvier, der als Theater- und Filmschauspieler, aber auch als Thea-ter- und Opernregisseur aufgetreten ist, selber mehrere Filme gestaltet hat und künstlerischer Leiter der „Compagnie du Passage“ in Neuenburg ist.
Keine Psychologisierung
Wohl liess er sich ein bisschen von der „Giovanni“-Inszenierung von Peter Sellars aus den 80er-Jahren anregen. Dort ist Don Giovanni kein spanischer Edelmann, son-dern ein freakiger Punk, und auch bei Ro-bert Bouvier wird Büchsenbier getrunken und der Kaffee am Fest aus Thermos-flaschen serviert. Der Titelheld ist auch bei Bouvier kein Edler, sondern ein Playboy
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mit Sonnenbrille, und die Donna Elvira er-scheint mindestens zu Beginn als blondes Dummchen, das sich naiv verführen liess wie eine teutonische Touristin an einem spa-nischen Strand. Doch eigentlich bleiben alle Protagonisten in dieser Aufführung Typen und werden nicht weiter psychologisch im Detail ge-zeichnet. Das ist auch vertretbar, denn so-wohl Don Giovanni wie sein Diener Lepo-rello, die Donna Anna wie ihr Verlobter Don Ottavio, der Bauer Masetto wie seine Frau Zerlina sind Archetypen. Am leben-digsten noch das Paar Zerlina-Masetto, welches das gewöhnliche Volk verkörpert.
Leichtes und präzises Spiel
Musikalisch erreicht die Aufführung ein beachtliches Niveau. Das Orchestre Sym-phonique du Jura – mehrheitlich junge und sehr junge Musikerinnen und Musiker – erzielt unter Facundo Agudin eine gute Performance, zeichnet sich durch lebendig artikuliertes und engagiertes, aber gleich-zeitig leichtes und präzises Spiel aus. Der Dirigent wählt von Beginn an eher rasche Tempi, mehrere Male muss er sie im Verlauf etwas zurücknehmen, ob aus Rücksicht auf die Sänger oder vielleicht auch unbe-absichtigt bleibt offen. Insgesamt scheint die Tempowahl etwas zufällig intuitiv und nicht etwa wie bei Harnoncourt innerhalb der ganzen Oper aufeinander abgestimmt.
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Starke Stimmen
Von den Sängerinnen gefiel spontan Cris-tiana Presutti als Zerlina mit einer natürlich aber untadelig eingesetzten Stimme. Svet-lana Ignatovich erweist sich als stimmstar-ke und willensstarke Donna Elvira und Ma-rine Deinyan ist durchaus sicher in der Par-tie der Donna Anna, gelegentlich ein biss-chen schrill in der Höhe bei gleichzeitiger Kraftanwendung, aber auch ausdruckstark. Von den Männern hinterliess auch Lisandro Abadie als Masetto einen gelösten Eindruck. Wie Cristiana Presutti hat er barocke Musik studiert und mit Barockspezialisten aufgeführt, was bei beiden an der klaren und leichten Stim-me zu erkennen ist. Don Giovanni war mit Ru-bén Amoretti stimmstark besetzt, der helle Ba-riton konnte Gefallen erwecken. Auch Lepo-rello war mit Alejandro Meerapfel insgesamt komödiantisch wie stimmlich in guten Händen und Andreas Scheidegger gab einen virilen und vokal soliden Ottavio. Und schliesslich füllte Miklos Sebestyen die Rolle des Komturs vor allem auch im zweiten Finale kraftvoll aus. Der kleine Chor zeichnete sich durch geformte Stimmen aus und erzielte gute Wirkung. Insgesamt also eine durchaus hörenswerte Aufführung, auch wenn, auch bedingt durch szenische Einschränkungen, die Charakterdarstellung der einzelnen Rollen teilweise summarisch blieb.
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