Klassik Schweiz - Suisse classique - Swiss classic

Das Swiss-Classic-Journal

 

Luzern

 

 

 

Lucerne Festival Ostern 2016

Lucerne Festival Piano 2012

Lucerne Festival Sommer 2012

Lucerne Festival Sommer 2011

Lucerne Festival Ostern 2011

Lucerne Festival Sommer 2010 (Tonkünstlerfest)

Lucerne Festival Sommer 2009

Lucerne Festival Ostern 2009

 

 

 

 

Ostern 2016                    Gegensätze vereinen, Neues ermöglichen              Gedenkkonzert für Pierre Boulez

 

Piano 2012

21. November 2012          Das junge Genie und der alte Meister

Sommer 2012

12. September 2012         Junge Musiker und junges Schaffen

Sommer 2011

18. September 2011         Lucerne Festival stösst an Grenzen

25. August 2011               Entdeckungen und neue Massstäbe

Ostern 2011

15. April 2011                 Brahms-Zyklus mit Bernard Haitink

Sommer 2010

11. September 2010        Festival für Neue Schweizer Musik 

Sommer 2009

  1. September 2009    Zwei Pianisten-Persönlichkeiten (Début-Reihe)

22. August 2009           Ein interessanter Klang-Aesthet

14. August 2009           Jörg Widmann schreibt für Heinz Holliger

Ostern 2009

  5. April 2009               Klassiker und Klassizisten am Osterfestival

Sommer 2008

16. September 2008.  Die Kunst der Berührung (Julian Vital Frei, Cembalist)

11. August 2008.          Balance von Virtuosität und Musikalität

31. August 2008           Sinfónica Juventud Venezolano Simón Bolívar

26. August 2008.         Junge Tastenkünstler (Début-Reihe)

24. August 2008.         Rüstzeug für den Nachwuchs

24. August 2008.         Zusammenhänge sichtbar machen

16. August 2008.        Eröffnungskonzert

 

 

 

 

Gegensätze vereinen, Neues ermöglichen

Im KKL Luzern fand vergangenen Sonntag nachmittag ein Gedenkkonzert für Pierre Boulez statt. Kurzfristig hatte man das Alumni-Orchester der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY aufgeboten. Matthias Pintscher dirigierte und Wolfgang Rihm, der Nachfolger von Pierre Boulez als Leiter der Academy, hielt eine Ansprache. Scheinbar aus dem Stegreif, jedenfalls ohne Manuskript und bezugnehmend auf das eben gehörte Werk von Boulez, Don aus „Pli selon pli“, schilderte er die Persönlichkeit von Boulez vor allem als Anreger und Anstösser, einer der Institutionen schuf, nicht um etwas zu verwalten, sondern um Möglichkeiten zu eröffnen. So bei der Gründung der „Domaine musicale“, bei der Einrichtung des IRCAM und natürlich auch bei der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY.

Der Ausschnitt aus Pli selon pli mit der Sopranistin Yeree Suh zeigte auch fast exemplarisch eine weitere Seite von Boulez in seinem kompositorischen Schaffen, nämlich Dinge zu vereinen, z.B. den Klangsinn von Debussy mit der Konstruktivität von Schönberg und der Wiener Schule.

Pierre Boulez

Pierre Boulez

Matthias Pintscher dirigierte in der Folge zwei Werke, die dem Dirigenten Pierre Boulez über Jahre hinweg nahe standen, die Drei Orchesterstücke op. 6 von Alban Berg und den „Sacre du printemps“ von Igor Strawinsky. Das Orchster, das nur zwei Tage zum Proben zur Verfügung hatte, zeigte eine bemerkenswerte Leistung, es waren alles ehemalige Schüler der Acedemy, in der Boulez sowohl Instrumentalisten wie Dirigenten die Interpretation der Moderne des 20. Jahrhunderts von Bartok und Varese, von Schönberg und Webern bis zu Uraufführungen junger Komponisten vermittelt hatte. Den berührenden Abschluss bildete „Mémoriale (...explorante-fixe...) für Flöte und acht Instrumente, ein Werk das Pierre Boulez einst selbst dem Gedenken enes früh verstorbenen Flötisten gewidemet hatte und das nun als trauermusik für Boulez selbst erklang.

Das Programmbüchlein ist selbst eine kleine Dokumentation, indem es neben einer Würdigung von Pierre Boulez durch Peter Hagmann die Liste der Konzerte und Werke enthält die Pierre Boulez in Luzern dirigierte und auch eine imposante Liste aller Werke von Boulez, die am LUCERNE FESTIVAL je aufgeführt worden sind.

Daniel Andres


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Junge Reife und Altersweisheit

 

 Daniil Trifonov und Leon Fleisher am Festival Piano von Luzern

 

 Daniel Andres

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Piano-Festival in Luzern gab Daniil Trifonov sein Début. Seit er 2011 den Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau gewon-nen hat, kann sich der jetzt 21-jährige Pianist der Engage-ments kaum erwehren. Boston, Chicago,

Luzern, Manchester, Glasgow,

Milano waren die Stationen

innerhalb drei Wochen allein in

diesem November. Und überall

erntet er glänzende Kritiken, Dem

Urteil von Martha Argerich ist

kaum etwas beizufügen „er hat

alles und mehr. Was er tehnisch

mit seinen Händen tut ist unglaublich

– er hat Zärtlichkeit und auch

dämonische Elemente. Ich habe

noch nie so etwas gehört.“

In Luzern spielte er ein Rezital vor

ausverkaufter Lukas-Kirche und

erhielt am Schluss die verdiente

Standing Ovation. Schon mit den

ersten Klängen der 2. Sonate op.

19 in fis-moll von Alexander

Skrjabin begann die Faszination. Es

ist tatsächlich fast unglaublich,

welche Klänge, welche Farben,

welche Schattierungen er aus dem

Flügel heraus holt. Und in den

virtuosesten Passagen, ob brillant

oder perlend leicht gespielt, hat er

die Reserven um eine kleine agogi-sche Verzögerung, einen kleinen

Akzent einzubringen und so den

 

musikalischen Text bis in die letzten

Verästelungen auszudeuten.

In der h-moll-Sonate von Franz

Liszt konnte er seine Vielseitigkeit

voll ausspielen. Die Gefahr, dass

ob der vielen Details und der Viel-schichtigkeit die Architektur dieses Sonatengebildes auseinander fallen könnte, bestand, aber letztlich

hatte man doch den Eindruck, dass

sich am Ende alles richtig zusam-mengefügt hatte. Da waren auch

die rasenden Oktavpassagen, das

luzide Fugato, die singenden Melo-dien, das hintergründige Pochen

und die wilden Ausbrüche, die

zarten himmlischen und die hym- nischen Choräle, alles richtig

dosiert und gleichzeitig fesselnd

und packend.

Die vierundzwanig Préludes von

Frédéric Chopin sind ein Kosmos

für sich. Manchmal ein paar Se-kunden dauernd, manchmal breit ausladend, manchmal wild und dramatisch, gelegentlich schlicht und einfach, manchmal perlend leicht, manchmal mit donnernden Oktavgängen. Die ganze Vielfalt, der ganze Reichtum entstand unter Trifonovs Händen in jeder Hinsicht – technisch, hinsichtlich Anschlag, im Erfassen des musika-lischen Klimas im Grossen und im Kleinen – perfekt und faszinierend. Und dann das glückliche entspannte

 

Gesicht des Jungen, fast knabenhaft wirkenden Künstlers in „Widmung“ von

Schuman/Liszt. Zum unglaublichen

Pianisten kommt ein bescheidener

liebenswürdiger Mensch.

Am Abend desselbigen Tages trat

Leon Fleisher im grossen Saal des

KKL auf. Mit der Bearbeitung einer

Arie von Bach „Schafe werden si-

cher weiden“, begann er zurück-haltend. Er setzte fort mit zwei Kompositionen für die linke Hand, die Jenö Takács und Leon Kirchner für den Pianisten geschrieben haben. Es sind gefällige und nicht uninteressante Werke in einem von Bach inspirierten Stil. Und Leon Fleisher schloss den ersten Teil mit der Chaconne aus der Partita d-moll für Violine von Bach in der Bearbeitung für die linke Hand von

Johannes Brahms. Da war es ein

Erlebnis, mit welcher Innerlichkeit

und aller äusserlichen Wirkung

abholden Einstellung der reife und

weise Künstler dieses Werk vortrug.

Am Morgen der jungreife Trifonov,

am Abend der altersweise Fleisher, das waren Gegensätze und gleichzeitig eine Versöhnung der Gegensätze. Man wird den weiteren Reifungsprozess des jungen Trifonov aufmerksam verfolgen in der Hoffnung, dass da einer der ganz grossen Meister des Klavier heran wächst.

 

 

 

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Junge Musiker und junges Schaffen

 

Das Lucerne Festival unter dem Motto „Glaube“ geht in diesen Tagen zu Ende. Unter der Vielfalt des Angebots

muss man eine Auswahl treffen, etwa auf die Moderne oder auf die „Débuts„ junger Talente.

 

Daniel Andres

 

29 Sinfoniekonzerte mit so be-rühmten Orchestern wie den Berliner und den Wiener Philhar-monikern, dem Concertgebouw Orchester Amsterdam, dem London Sym-phony, dem Cleveland Or-chestra um nur einige zu nennen, natürlich mit den entsprechend berühmten Dirigenten und Solisten. Das ist das Festival-Programm für das grosse Publikum. Doch, und das ist das Erstaunliche in Luzern, auch die Reihe Moderne mit neuen und neusten Werken und etlichen Uraufführungen kann sogar den grossen Saal des KKL weitgehend füllen. Mit Intendant Michael Häfliger und dem jetzt 87-jährigen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez und seiner Academy für Neue Musik hat das zeitgenös-ische Musikschaffen weit mehr als nur einen marginalen Platz im Festivalprogramm.

Sofia Gubaidulina und Philippe Manoury waren dieses Jahr die eingeladenen Composer in Resi-dence, von denen gleich mehrere Werke in die Konzertreihen ein-gebaut waren.

 

Ehrung und Werkauftrag

 

Neue Stücke und sogar Urauf-führungen fanden ihren Weg sogar in Sinfoniekonzerte statt bloss in Werkstattkonzerte für ausgesuchte Liebhaber und Spezialisten. So ehrte das Luzerner Sinfonieor-chester, das im Übrigen in den letzten Jahren einen fulminanten Aufstieg mit Konzerten in den USA und China verzeichnet, und seinem

jungen Dirigenten James Gaffigan den Komponisten Wolfgang Rihm zum 60. Geburtstag mit der Urauf-führung von „Nähe – fern“. Es ist ein Auftragswerk der Luzerner, auch das erstaunlich, mit vier Orchester-stücken die gleichsam die vier Sin-fonien von Johannes Brahms kom-mentieren und die erstmals als Ganzes in einem Konzert erklangen. Seit einigen Jahren erklingt auch jeweils in einem Konzert des Cleve-land Orchestra ein Auftragswerk der „Roche Commissions“, dieses Jahr „Chute d’Étoiles“ von Matthias Pin-scher.

 

 

Farbenreiche Orchestermassen

 

Das Lucerne Festival Academy Orchestra, eine Grossformation aus über 120 jungen Teilnehmern der Academy studiert jedes Jahr unter Pierre Boulez und anderen Dirigen-ten wie Peter Eötvös Stücke des 20. und 21. Jahrhunderts ein. In einem denkwürdigen Konzert unter Eötvös spielte es „Terre d’Ombre“ von Tris-tan Murail, ein überaus farbenrei-ches Stück des französischen „Spektralisten“, sowie ein ein-drucksvolles Konzert mit dem Titel „Shadows“ für Flöte, Klarinette und Orchester von Peter Eötvös. Eindrücklich danach im gleichen Konzert die sehr aufwendige und daher selten aufgeführte vierte Sinfonie von Charles Ives für gros-ses Orchester, Chor, Nebenorches-ter und Hintergrundchor.

In einem weiteren Konzert des Academy

 

Orchestra, welches der junge Brite Clement Power anstelle des an einer Augenentzündung leidenden Pierre Boulez leitete, kamen von Philippe Manoury „Sound and Fury“ für grosses Orchester und von Jonathan Harvey „Speakings“ für grosses Orchester und Live-Elektro-nik zur Aufführung. Beide fast halb-stündigen Stücke liessen die gros-sen Orchestermassen, bei Harvey angereichert durch Elektronik, viel-fältig und differenziert, beide mit literarischem und spirituellem Hin-tergrund erklingen.

 

Künstlerische Reife

 

Bei den Débuts sei das Rezital des jungen Schweizers mit rumänischen Wurzeln Teo Gheorghiu erwähnt, der als 13-jähriger im Film „Vitus“  von Fredi Murer schauspielerisch und pianistisch für Aufsehen sorgte. In einem sehr geschlossenen Programm mit einer Sonate von Alexander Skrjabin, den „Images“ von Claude Debussy und „Vallée d’Obermann“ aus den „Années de Pélerinages“ von Franz Liszt zeigte der nun 21-Jäh-rige höchst erfreuliche künstlerische Reife. Und schliesslich ebenso eindrücklich war das ebenso in sich geschlossene Programm des französischen Pianisten Pierre-Laurent Aimard mit dem zweiten Band von Debussys „Préludes“, zwei Stücken von Franz Liszt und  zwei Stücken aus „Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus“ von Olivier Messiaën, das erstaunliche Parallelen zwischen den Komponisten aufzeigte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Sommer 2011

 

Lucerne Festival stösst an Grenzen

 

Das Musikfestival von Luzern, das grösste der Schweiz, ging am Wochenende zu Ende mit Konzerten der Staats-

kapelle Berlin und der Aufführung der Kammeroper „Nacht“ des Composer in Residence Georg Friedrich Haas.

 

Daniel Andres

 

Unmöglich für einen Einzelnen, die Vielfalt und Fülle der Veranstal-tungen des Som-merfestivals einzufangen. So beschränkt man sich auf einzelne Aspekte, mögli-che Interpretations-Highlights, Uraufführun-gen neuer Werke, Vorstellung junger, vielverspre-chen-der Musiker, möglicherweise kommende Fixsterne am Musik-firmament.

Intendant Michael Häfliger verkündete zwar am Freitag einen Erfolg des Festivals mit 95 200 Besuchern für insgesamt 114 Veranstaltungen. Er meinte aber doch auch, dass der Ausbau des Festivals an Grenzen stösst. So war die Anzahl der Sinfonie-Konzerte grösser als im Vorjahr, dafür die Auslastung etwas geringer. Eine Weiterentwicklung muss daher eher in der Vertiefung als in der Ausweitung des Angebots gesucht werden. Das Festival Academy Orchestra unter Pierre Boulez wird im Oktober in Mailand und Turin, Paris und Amster-dam, München und London gastieren, Baden-Baden, Paris und London sind die Stationen der diesjährigen Gast-spielreise, die Claudio Abbado und das Lucerne Festival Orchestra im Herbst 2011 antreten.

 

Nacht unerer Seele

 

Am Freitag war die Premiere  der Kammeroper „Nacht“ des diesjährigen Composer in  Residence Georg Friedrich Haas, von dem unter anderem drei seiner sieben Streichquartette sowie am letzten Samstag drei weitere Werke zu hören waren.

Das Werk basiert auf Texten von Hölderlin,

die der Komponist aus Theater-stücken, Schriften und Briefen zusammengestellt hat und handelt vom Verlust aller Uto-pien, „eine Nacht unserer Seele“. Sechs Personen singen, rezitieren, agieren auf der kleinen einfachen Bühne, sind aber eigentlich alle Hölderlin. Ein Orchester aus Studenten der Musikhochschule Basel mit auf-fallend viel Perkussion, geleitet von Jürg Henneberger, liefert die musikalische Untermalung, die gleichzeitig Kommentar und Dar-stellung der Emotionen ist und agiert zwischendurch auch als Sprechchor in einer einfach raffi-nierten Inszenierung von Désirée Meiser.

 

Àussere und innere Schönheit

 

Vergangene Woche spielte die Geigerin Julia Fischer mit dem London Philharmonic Orchestra unter Vladimir Jurowski das einsätzige Violinkonzert mit dem Titel  „Mar'eh“ von Matthias Pintscher zum ersten Mal. Ein filigranes Werk, vom Komponisten „der äusseren und inneren Schönheit von Julia Fischer und ihrem schlanken, reinen Geigenton und den Dirigenten schien schwer zu übertreffen an Sorgfalt der Farbabstimmungen.

Vladimir Jurowski gehört zu den steil aufstrebenden Dirigenten. In Werken, die dem Prometheus-Thema gewidmet waren von Beethoven, Liszt und Skrjabin zeigte er auch Ecken und Kanten, manch-mal auch eine gewisse Härte.

Genau dem versuchte der andere Shootingstar der Dirigentenszene, der Kanadier Yannick Nezet-Séguin, in seinem Luzerner Début am Pult der Wiener Philharmoniker zu

 

 

entgehen. Zum Einen betörte ab den ersten Sekunden der Klang der Wiener in dem frühen Stück „Les Offrandes oubliées“ von Olivier Messiaën. In der „Unvollendeten“ von Franz Schubert bemühte sich der Dirigent mit Erfolg um „weiche“ Akkordschläge und auch sonst war die differenzierte Dynamik eine Ohrenweide, ganz ohne Schubert zu verharmlosen.

 

Abgestimmtes Klangfest

 

Ein fein abgestimmtes Klangfest waren die beiden anderen franzö-sischen Werke, „Nocturnes“ von Claude Debussy mit dem exzellen-ten Frauenchor der neugegründe-ten Singakademie Zürich und „Daphnis und Chloé“ von Maurice Ravel. Nur gerade im mitreissenden Schluss des Bacchanale gingen dem überzeugenden Dirigenten das Tem-perament durch und da wirkte es etwas knallig.

Der spanisch-französische Abend mit Zubin Mehta und dem Israel Philharmonic Orchestra konnte da in keiner Hinsicht mithalten, da fehlte es an fast allem, vor allem an de-taillierter Klangbalance, Farbab-mischung und letztlich am Parfum. Nichts auszusetzen dagegen bei Sir Simon Rattle und den Berliner Phil-harmoniker in der Siebenten Sinfo-nie von Gustav Mahler. Da war im Grossen wie im Kleinen alles da und alles am richtigen Ort und dazu in einem vollkommenen Bogen. Ein Erlebnis und wohl eines der wirkli-chen Ereignisse des diesjährigen Luzerner Sommers.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Entdeckungen und neue Massstäbe

 

Am Festival von Luzern sind die bedeutendsten Orchester, Dirigenten und Solisten der Welt zu Gast. Daneben bietet der Anlass aber auch zahlreiche Entdeckungen an: junge Interpreten, Uraufführungen neuer Werke, Auseinandersetzung mit Unbekanntem. Dieses Jahr unter dem Motto „Nacht“.

 

Daniel Andres

 

 

 

 

Sogar ein Strassenmusikfestival findet im Rahmen des grössten Klassik-Festivals der Schweiz statt. Am Dienstag wurden die acht ausgewählten Gruppen, die während sechs Tagen die Plätze Luzerns musika-lisch beleben, an einem Konzert auf dem Europa-Platz vor dem KKL vorgestellt. Anschliessend ging’s in den Konzertsaal, um den Brahms-Zyklus des Dirigenten Bernhard Haitink mit dem European Cham-ber Orchestra zu verfolgen. Seit Herbst 2010 führt Haitink mit dem mit zehn bis zwölf ersten Violinen eher klein besetzten Orchester sämtliche Sinfonien, Ouvertüren und Instrumentalkonzerte des Komponisten auf.

 

Transparente Polyphonie

 

Bewusst verzichtet Haitink auf die grosse philharmonische Besetzung und wählt die Grösse der Meininger Hofkapelle, welche die Werke von Brahms seinerzeit unter Hans von Bülow aufgeführt hatte. Die Polyphonie komme so klarer zum Vorschein ist seine Überzeugung, die man absolut teilen kann. An diesem Abend standen die Akademische Fest-Ouvertüre, drei Bearbeitungen von Schubert-Liedern und die dritte Sinfonie in F-Dur auf dem

 

Programm. Eine Entdeckung war der kurze Auftritt des Baritons Hanno Müller-Brachmann. Und wie kaum anders zu erwarten, war die Dritte von Brahms ein Erlebnis, weil die reichverzahnte Motivik dieser Sinfonie beispiel-los heraus gearbeitet  und der Klang dazu zwar transparent, aber auch beseelt und vielfältig gefärbt war.

 

Verschwenderische Musikalität

 

Über die Mittagszeit war in der Lukaskirche der Cellist Elschenbroich mit dem Pianisten Alexei Grynyuk eine weitere Entdeckung. Unfehlbare Technik, ein wunderschöner Klang und eine verschwenderische Musika-lität verband die beiden jungen Musiker in Werken von Claude Debussy, Robert Schumann und der grandios emphatisch gespiel-ten Sonate von Sergej Rachmaninov.

 

Erschreckend und packend

 

Unübertrefflich am Sonntag zuvor das Hagen-Quartett in Fugen aus Bachs „Kunst der Fuge“, der schweizerischen Erstaufführung des 6. Streichquartetts von Georg Friedrich Haas, dem diesjährigen „Composer in Residence“, und dem letzten Streichquartett von Franz Schubert. Das Werk von Haas ist eine

 

zwanzigminütige Abfolge von Trillern, Tremolos und Glissandos, in der manchmal faszinierend, gelegentlich auch bis ins Absurde die Klangsprache aufgelöst wird. Bei Schubert finden sich ja Ansätze dazu, jedoch ist Schuberts „späte“ Tonsprache, der damals noch verkannte Schöpfer war gerade 29 Jahre alt, erschreckend und packend zugleich. Zumal das bis aufs Letzte eingespielte Hagen-Quartett sowohl die Schroffheiten wie die unendlich zarten Seiten dieses gewaltigen Werks unbeschreiblich und wohl un-übertrefflich, beglückend und „aufregend“ zum Ausdruck brachte.

 

Behäbiger Beethoven

 

Nicht viel mehr als Pflichtübung erwies sich der Besuch des Konzerts mit dem West Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim, welches das ungleiche Paar der fünften und sechsten Sinfonie von Beethoven aufführte. Das Projekt des aus israelischen, palästinensischen, arabischen und spanischen jungen Musikern gebildeten Orchesters ist als Idee höchst erfreulich. Barenboim musiziert mit den an sich qualifizierten In-strumentalisten aber einen etwas bombastischen, heldenhaften, gemächlich behäbigen und oft  wenig transparenten Beethoven.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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2011 Ostern

 

Brahms in Konzert und im Dirigierkurs

 

Ausser geistlichen Werken zur Passionszeit präsentierte das Luzern-Festival zu Ostern die Fortsetzung des

Brahms-Zyklus mit dem Dirigenten Bernard Haitink, der auch einen dreitägigen Dirigierkurs leitete.

 

Daniel Andres

 

 

Bernard Haitink macht es vor

 

Die erste Sinfonie von Brahms gilt als Fortset-zung der Sinfonik Beethovens, den man im 19. Jahrhundert vor allem in der heroischen Perspektive sah. So gilt auch immer noch Brahms als knorrig und nordisch düster. Bernard Hai-tink führt die Sinfonien und Konzerte von Brahms seit letzten Herbst mit dem Chamber Orchestra of Europe auf, das „nur“ mit zwölf ersten Violinen antritt. Man erwartete deshalb auch einen leichteren, transparenten und weniger wuchtigen Brahms. In der ersten Sinfonie wurde diese Erwartung nicht wirklich erfüllt, denn schon die Einleitung und der ganze erste Satz waren dann doch recht gewichtig. Eine gute und vom Publikum bejubelte Auf-führung war es dennoch.

 

Hell-dunkel, schwer oder leicht

 

Die Brüder Renaud und Gautier Capuçon spielten im gleichen Programm das Doppelkonzert a-moll für Violine, Violoncello und Orchester. Sie sind unter sich und mit Brahms auch aus der Kammermusik aufs intimste ver-traut. Trotz einem Saitenriss des Violinisten im ersten Satz, der ohne Unterbruch „überbrückt“ wurde, und trotz der Verschiedenheit der Brüder (der Ältere eher reserviert, der Jüngere jovial und generös) war ihre Gestaltung fas 

zinierend und aus einem Guss. Das Orchester sehr sinfonisch und gelegentlich die Solisten etwas überdeckend.

Das Violinkonzert und die zweite Sinfonie, beide in D-Dur und in der gleichen Periode entstanden, gelten als hell und licht, obwohl beide Werke auch dunklere Töne aufweisen. Schöner als es Leonidas Kavakos tat, kann man das Konzert kaum spielen. Man bewundert immer wieder die makellose Reinheit sei-nes Spiels und den wundervollen, nicht expressiv überladenen Ton, bei aller Leidenschaft die er auch im ungarisch gefärbten Finale entwickelte. Im Mittelteil des Adagios wäre vielleicht doch ein bisschen mehr Ab-gründigkeit gefragt. Die Sinfonie wiederum in jeder Beziehung tadellos, herrlich in Klang und Durchgestaltung.

 

Weniger ist oft mehr

 

Am ersten Tag des Dirigierkurses nahm Haitink mit sieben als aktive Teilnehmer zugelassenen Kandidaten die vierte Sinfonie in e-moll durch. Zwei junge Dirigenten und eine Dirigentin durften einen ganzen Satz ohne Unterbrechung durchspielen, und es waren nicht zufällig die Teilnehmer, die den reifsten Eindruck hinterliessen. Darunter ein blutjun-

 

ger Russe, aber alle mit gründlicher Schulung und bereits etlicher Erfahrung vor grossen Orchestern. Auch ein fast dreissigjähriger Spanier und die einzige, aus Rumänien stammende, Frau hinterliessen positive Eindrücke sowohl hinsichtlich Begabung wie auch Können. So ging es bei den Lektionen nicht um elementare Fragen, sondern um Tempo-nüancen, Übergänge und vor allem um eines: Ökonomie der Bewegungen. Keine unnötigen Körpereinsätze, weniger grosse, dafür genaue Bewegungen der rechten Hand. „Lasst das Orchester spielen und greift bloss ein, wenn ihr besondere Akzente setzen wollt, macht das Meiste mit der rechten Hand und setzt die Linke dort ein, wo es Sinn macht“, waren die meisten Ratschläge. Einige der Teilnehmer sind be-reits in Stellungen als Assistent-Dirigenten, leiten kleinere Ensembles oder haben selbst Erfahrung als Orchestermusiker. An den folgenden zwei Tagen wurde an der Vierten von Bruckner und dem Orchesterkonzert von Bela Bartok gearbeitet. Der Dirigierkurs des 82-jährigen Maestro Bernard Haitink wird in den kommenden zwei Jahren fortgesetzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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2010

 

Festival für Neue Schweizer Musik

 

Vierundzwanzig Uraufführungen in drei Tagen. Das Schweizerische Tonkünstlerfest 2010 fand unter dem Motto  

„(z)eidgenössiCH“ unter den Fittichen des Lucerne Festival statt.

 

Daniel Andres

 

 

Die Bezeichnung Tonkünstler ist einerseits beinahe archaisch und stammt noch aus dem 19. Jahrhundert. Heute ist sie fast pro-phetisch, bezeichnet sie doch kreative Mu-siker aus allen Sparten, die Komponisten, Improvisatoren und neuerdings sogar wieder die Volksmusiker, welche aus altem Musikgut Neues schöpfen.

Am Wochenende kamen alle in verschiede-nen Luzerner Sälen zum Zug: die Improvi-sierenden, das musikalische Theater und auch die „Tanzmusik“ die auf Volksmusik zurückgreift, am Samstag im Südpol, einem Raumgebilde, das verschiedenen Sparten und Richtungen dient. Im Luzerner Saal des  KKL am Samstagvormittag und Sonn-tagnachmittag die Kammermusik und En-semblemusik, vertreten durch das Collegi-um Novum aus Zürich und die Bratschistin Anna Spina. Im grossen Saal des KKL am Sonntagvormittag die grosse Orchestermu-sik mit der Basel Sinfonietta und zum Schluss die Vokal- und Orgelmusik am Sonntagabend in der Hofkirche.

 

Bestandteil des Festivals

 

Die Konzerte waren alle in das Gesamtpro-gramm des Lucerne Festival eingebettet, ganz im Sinne der Programmpolitik wie sie Intendant Michael Häfliger seit Jahren er-folgreich befolgt. Es gibt einerseits die Rei-he „Lucerne modern“ im Festival, die mit neuer und neuester Mu-sik aufwartet, dann die Kurse für  zeitgenössische Interpreta-

 

tion, welche Pierre Boulez als Mentor ha-ben und die ins Festivalprogramm  aus-strahlen und schliesslich die Sinfoniekon-zerte, in denen sowohl die klassische Mo-derne wie auch Uraufführungen, oft in Verbindung mit Kompositionsaufträgen, ihren festen Platz haben.

 

Preis für einen Stillen

 

Am Sonntagnachmittag wurde anlässlich eines gemeinsamen Empfangs von Lucerne Festival, Tonkünstlerverein und der Stift-ung Pro Helvetia der diesjährige Preis Margerite Stähelin, der frühere Tonkünst-lerpreis an den Komponisten Franz Furrer-Münch vergeben. Der 86-jährige Kompo-nist konnte aus gesundheitlichen Gründen den mit zwanzigtausend Franken dotierten Preis nicht persönlich entgegen nehmen. Er gehört – wie Roman Brotbeck im Pro-grammheft schrieb – zu der Kategorie der Aussenseiter, wie sie die schweizerische Komponistenszene in reichem Ausmass aufweist, zu den Verweigerern des Modis-chen und „Angesagten“. „Er arbeitet unbe-

irrt an seinem Werk; er schreibt unpräten-tiös und gerade darum so eindringlich und kompromisslos radikal,“ sagte Thomas Gartmann (Stiftung Pro Helvetia) in seiner Laudatio.

 

Mit grosser Kelle

 

Die Orchesterwerke am Sonntagvormittag

im grossen Saal des KKL waren meist prä-tentiöser, sowohl Martin Jaggi in „Mo-loch“ für grosses Orchester wie Nadir Vas-sena in „altri naufragi“ und vor allem Michael Wertmüller in „Zeitkugel,“ einem dreisätzigen Konzert für Klavier/Orgel und Orchester richten mit der grossen Kelle an. Die Basel Sinfonietta unter der Leitung von Stefan Asbury verhalfen den Werken und den Komponisten zu etlichem Beifall. Das Klavierkonzert in dem der brillante Solist Dominik Blum im dritten Satz auf die grosse Konzertorgel wechselte war das wirkungs-vollste, aber auch das bombastischste Stück und strafte die Einschätzung Lügen, dass Schweizer Komponisten „eine Skepsis gegenüber dem Erzählenden und dem über-wältigenden Espressivo“ hätten. Eine Aus-nahme bildete eine Art Kollektivimprovisa-tion mit dem Perkussionisten Fritz Hauser und Mitgliedern des Orchesters mit Ge-räuschen die aus dem Nichts kamen und wieder im Nichts verschwanden und eine magische Wirkung ausübten.

Intimer ging es am Nachmittag zu, als Anna Spina auf der Viola und mit ihrer Stimme Werke der chinesischen Komponistin Xu Yi, von Kathrin Frauchiger, Michel Roth und Gérard Grisey, zum Teil aus dem Pro-jekt „trois femmes“ das im Rahmen des Kulturprogramms „China 2008 – 2010“ von der Pro Helvetia ausgezeichnet wurde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Junge Pianisten-Persönlichkeiten

 

Zwei jungen Pianisten in der Reihe „Début“ am LucerneFestival. Beide entpuppten sich als Persönlichkeiten.

Vielleicht nicht ganz so perfekt wie die jungen Shootingstars, die von den Medien hochgejubelt werden. Aber

beide zeigen musikalische Reife und – einen eigenen Ton.

 

Daniel Andres

 

Andriy Dragan (Foto Georg Anderhub, Lucerne Festival)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Boris Giltburg (Foto Daniel Andres, swissclassic.org)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der 1986 in der Ukraine geborene Andriy Dragan erhielt den „Prix Credit Suisse Jeunes Solistes“ in der Höhe von 25 000 Schweizer Franken. Er stellte sich im Luzerner Casineum mit einem Programm aus Schubert, Bartok und Prokofieff vor. Sein eigener Klavierklang ist körperhaft und cantabile, seine Interpretation von Schuberts „Wandererfantasie“ D 760 auch schnörkellos aber vertieft. Er legt den Schwerpunkt nicht auf die dem Werk auch innewohnende Virtuosität sondern auf die Geschlossenheit der Form, in einem viersätzigen Stück, das als Vorbild für Schumann und Liszt und weitere Romantiker für eine Sonatenform mit thematischer Einheitlichkeit diente.

Die fünf Stücke „Im Freien“ von Bela Bartok erfuhren eine ähnliche Behandlung, nicht so sehr in formaler Hinsicht, aber klanglich. Zwar differenziert, etwa in den „Klängen der Nacht“ mit typisch Bartok’ schen Klangwolken, aber das „Pesante“ nicht hart und trocken, sondern auch federnd und dem Klavierklang Raum lassend. Der Einfluss seines Lehrers Adrian Oetiker mag da spürbar sein.

 

Schliesslich die Sonate Nr. 7 von Sergej Prokofieff in ihrer ganzen Vielfalt vom „inquieto“ über das „caloroso“ bis zum „precipitato“ des Finale. Eine Klangwelt, die vorzüglich erfasst war. Nicht alles restlos makellos, aber unbedingt beeindruckend.

Der zweite Pianist; Boris Giltburg, spielte eine Woche darauf ein Programm, das mit Beethovens „Appassionata“ begann, über Liszt und Chopin dann auch bei Prokofieff, der Sonate Nr. 8, endete. Der 1984 in Moskau geborene Russe erhielt den grössten Teil der Ausbildung in Israel. Er machte durch eine ausgeprägte Klang-lichkeit seines Spiels unmittelbar aufmerksam, bereits bei den ersten Tönen der Beethoven-Sonate. Und er verfügt über eine weit grössere Klangpalette als sein ukrainischer Kollege, hat aber ebenfalls einen ausgeprägten Sinn für die Form und fesselte immer mehr durch eine eigenwillige, aber immer letztlich plausible Gestaltung. Die „leggierezza“ bei der Konzertetüde von Liszt war nicht Haupteigenschaft, sondern im Anfang und im

 

Schluss doch die Kantabilität. In der Ballade in g-moll von Chopin gefielen die Tempi, die vom liebenswürdigen (und liebevollen) Erzählerton in einem überlegten Verhältnis in Dramatik und schliesslich in die atemlose Stretta mündeten.

Unfehlbar in jeder Hinsicht, und auch unwiderstehlich sowohl technisch wie auch gestalterisch und klanglich, die Sonate von Prokofieff, offenbar eines seiner Paradestücke. Da war die Lieblichkeit des beginnenden Andante, die Rastlosigkeit des „piu animato“ im ersten Satz aufeinander abgestimmt. Und nicht erst im „Andante sognando“ betörte er durch wirklich subtile Anschlagskunst. Das Finale wiederum hatte Härte, Kompromisslosigkeit und auftrumpfende Virtuosität und gleichzeitig mit den Anklängen an das beginnende Andantino und auch in den „wilden“ Partien eine bewundernswerte Beherrschung der Mittel. Boris Giltburg überzeugte auch in den Zugaben, dem cis-moll-Prélude von Rachmaninoff und einer äusserst sublimen Wiedergabe einer Bearbeitung von Kreislers „Liebesleid“ durch Rachmaninoff.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Ein interessanter Klang-Aesthet

 

22. August 2009. Der Komponist Jörg Widmann hat Erfolg bei Kritik und Publikum, das zeigte auch das ihm gewidmete Konzert vom

letzten Samstag in der Luzerner Lukaskirche.

 

Daniel Andres

 

 

Nach der Uraufführung eines Oboenkonzertes durch Heinz Holliger und das European Chamber Orchestra (s. Bericht vom 14. August) konnte das interessierte Publikum einen Querschnitt durch das Schaffen des diesjährigen Composer in Residence verfolgen. Ausführende der Werke in verschiedenen Besetzungen war das Collegium Novum aus Zürich und als Solistin die polnische Sopranistin Olga Pasichnyk. Diese betörte in den „Sieben Abgesängen auf eine tote Linde“ die Widmann 1997 als erst Vierundzwanzig-Jähriger geschrieben hat. Es gibt hier wie auch in späteren Werken offenbar eine gewisse Seelenverwandtschaft mit Heinz Holliger, das Hingezogenfühlen zu einer zerbrechlichen oder zerbrochenen Welt. Wobei – und das mag durchaus als kritische Bemerkung gelten – diese zer-

brochene Welt in ästhetischen Klängen nachgeformt wird.

Im vergangenen Jahrhundert war pure

 Schönheit so gut wie verpönt, sie konnte

allenfalls noch in durchsichtigen und zerbrechlichen Strukturen untergebracht werden. Klangkomposition kam mehr oder weniger aufgerauht, ungeschliffen und in einer nicht auf Anhieb ansprechenden Geräuschhaftigkeit daher. Schönheit war verdächtig (und ist es immer noch bis zu einem gewissen Grad).

 

Raffinement, das gefällt

 

Die „Fieberphantasie“, welche den späten, irren Schumann evoziert, lebt von geräuschhaften Klängen, doch ist in ihnen kaum Hässlichkeit, Schrecken oder Entsetzen auszumachen. Dasselbe gilt eigentlich für die „Freien Stücke“, die in verschiedenster Weise ein grosses Ensemble aus fünf Streichern, neun Bläsern und zwei Perkussionisten fast ausschliesslich Klangfarben und Klang-

 

Mischungen erzeugen lässt. Doch auch hier ist das Hörerlebnis angenehm, wenn  auch durchaus hoch interessant. Am stärksten kommt diese Aesthetik im Oktett aus dem Jahre 2004 zur Geltung, wo ganz offenbar mit traditioneller Harmonik und Tonalität, mit Vorhalten, die sich auflösen aber gleich zu neuer Spannung führen, gespielt. Ein reizvolles Spiel, das sich manchmal in sehr irrationale Gefilde „verirrt“ aber am Schluss doch wieder mit Hörerwartungen spielt, ohne sie jemals ganz zu erfüllen. Vorbei offensichtlich die Musik, die aufschrecken und verstören will. Die „Verstörung“ ist rein aesthetischer Art und letztlich ist es eine Musik, die in all ihrem Raffinement gefällt. Aber das ist ja wohl wieder erlaubt, wofür man vor drei oder vier Jahrzehnten noch gesteinigt worden wäre. Hervorragende Interpretationen durch die Könner des Collegium Novum, in den „Freien Stücken“ unter kundiger Leitung des Komponisten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Jörg Widmann schreibt für Heinz Holliger

 

Das zweite Konzert des diesjährigen Lucerne Festival wartete mit einer Uraufführung auf. Vom „Composer in residence“ Jörg Widmann spielte der Oboist (und Komponistenkollege) Heinz Holliger, der heuer seinen 70. Geburtstag feiert, ein rund 17-minütiges Oboenkonzert.

 

Daniel Andres

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Heinz Holliger als Interpret (links)

 Der Komponist Jörg Widmann mit seinem Interpreten (oben)

 (Fotos LucerneFestival)

 

 

 

Dirigiert wurde es vom englischen Kom-ponisten George Benjamin, der vor einem Jahr Composer in residence am Lucerne Festival war.

Ein eigentliches Konzert im klassischen Sinne ist das Werk nicht. Nach Angaben des Komponisten besteht es aus fünf Teilen, korrespondierend mit den fünf Buchstaben des Vornamens von Heinz Holliger und die beiden H der Namen sollen auch eine wichtige Rolle spielen. Unbedingt hörbar ist das nicht, die Teile gehen ineinander über, doch eine deutliche Gliederung ist wahrnehmbar mit drei ru-higen, klanglichen und dazwischen zwei eher etwas bewegteren Teilen.

 

Natürliche Klänge

 

Führend ist fast immer das Soloinstrument,

wobei es vorwiegend melodisches Ma-terial, häufig in extremen Höhen, vorträgt. Verfremdetes Klangmaterial ist relativ sparsam eingesetzt, gegen Schluss ein paar Multiphones, im Verlauf ein paar „piz-ziccati“ und einige Schmatzer. Mit anderen Worten, Jörg Widmann setzt vorwiegend auf natürliche Klänge des Soloinstruments wie auch des nicht allzu gross besetzten Orchesters.

 

Raffinierte Klangmischungen

 

Allerdings sind die Klangmischungen raf-finiert und teilweise betörend, oft Töne der Oboe, die in den Streichern oder auch den Posaunen oder sogar in der Perkussion übernommen und verlängert werden. Über-haupt, so auch die Absicht des Kom-ponisten, wird melodisches Material der

Oboe im Orchester auf die vertikale Dimension übertragen und Grundlage eines unterschiedlich dichten Klangge-webes.  So faszinieren vor allem die ru-higen Teile und der verklingende Schluss, während die bewegten und stärker rhythmisch strukturierten Partien eher etwas konventionell klingen und weniger „inspiriert“ wirken.

 

Aufführung auf höchstem Niveau

 

Dirigent wie das Chamber Orchestra of Europe und natürlich der Solist, dem das Werk auch gewidmet ist, spielten auf höchstem Niveau und mit unbestreitbarer Kompetenz. Der Komponist konnte sowohl mit der Aufführung wie mit der Aufnahme durch das Publikum im Konzertsaal des KKL äusserst zufrieden sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Klassiker und Klassizisten am Osterfestival

 

Die Osterfestspiele in Luzern gingen am Sonntag mit einem Konzert des Bayrischen Rundfunkorchesters München

unter Mariss Jansons Leitung zu Ende.

 

Daniel Andres

 

 

Zum Haydn-Jahr hatte der Dirigent die letzte Messe des Wiener Klassikers gewählt. Die „Harmonie“-Messe – so bezeichnet, weil die Bläserbesetzung, die Harmonie, in ihr eine grosse Rolle spielt  - entstand 1802 als letztes Opus Haydns. Mit dem Chor des Bayrischen Rundfunks und den Solisten Malin Hartelius, Sopran, Judith Schmid, Alt, Kurt Streit, Tenor, und David Wilson –Johnson, Bass, erlebte das Werk eine sehr schöne Aufführung. Vielleicht etwas weich gezeichnet und nicht so akzentuiert, aber in den Details von Chor und Orchester gut ausgearbeitet und schön im transparenten Gesamtklang.

 

Kristalliner Strawinsky

 

Vorher erklang die Psalmensinfonie für Chor und Orchester von Igor Strawinsky auf lateinische Psalmtexte. Eines der gelungensten und wertbeständigsten Werke aus der klassizistischen Periode des Komponisten, das auch ein interessantes Pendant zur lateinischen Messe des Klassikers Haydn abgab. Auch hier schätzte man den lupenrein singenden Chor und ein kristallin klingendes Orchester, das bei den Streichern nur aus Celli und Bässen, dazu mit Bläsern, Schlagzeug und zwei Klavieren besetzt ist. Das „Prélude à l’après-midi d’un faune“ von Claude Debussy wollte nicht so recht in diese Programmzusammenstellung

 

passen, aber als Zuhörer nahm man die fein abgestimmten Farben und Nüancen gerne als Einstimmung auf. Und Strawinsky klang anschliessend auch gar nicht so spröd, sondern man nahm auch dort feine Farbzusammensetzungen auf.

 

Revolutionär ohne Pathos

 

Mit dem diesjährigen Osterfestival brachte auch Bernhard Haitink seinen vor einem Jahr in Angriff genommenen Beethovenzyklus mit dem „Chamber Orchestra of Europe“ zum Abschluss. Der im März achtzig Jahre alt gewordene Dirigent brachte innerhalb eines Jahres alle Sinfonien, die Instrumentalkonzerte und die Ouvertüren des Meisters zur Aufführung. Und was man schon letztes Jahr bewundern konnte, war die Klarheit dank durchwegs kleiner Orchesterbesetzung, die zügigen Tempi dank rigoroser Befolgung der Beethoven’schen Tempovorschriften und die Akzentuierung und die Artikulation nach Auffassungen einer modern-historischen Aufführungspraxis. Beethoven wirkt so revolutionär ohne Pathos.

 

Weite Horizonte

 

Das letzte Konzert stellte die erste Sinfonie der Neunten mit dem Chorfinale gegenüber. In der Ersten konnte man noch die unmittelbare Fortsetzung des durch Haydn in den Londoner

 

Sinfonien erreichten erleben. Die Neunte dagegen öffnet weite Horizonte für das 19. Jahrhundert. Haitink benötigte nur je ein Pult mehr bei den Streichern, wählte die zügigen Tempi Beethovens, und das Orchester spielte mit unglaublicher Präzision aber auch – wie von diesem Orchester gewohnt – mit Engagement und Hingabe. Nie kam im Geringsten der Eindruck von Hetze auf, obwohl etwa das Scherzo atemberaubend klang und der überirdische langsame Satz fliessend, ohne den üblichen Weihrauch, aber doch himmlisch vorbeizog. Und das Chorfinale mit dem ausgezeichneten Schweizer Kammerchor und den Solisten Sally Matthews, Sopran, Christianne Stoijn, Alt, Steve Davislim, Tenor, Gerald Finley, Bass, hinterliess einen kontrastreichen, kompakten aber nie bombastischen Eindruck. Hier waren die stehenden Ovationen zweifellos verdient für die Interpretation eines Achtzigjährigen, der, obwohl aus gesundheitlichen Gründen sitzend dirigierend, sehr jung und voller jugendlicher Anspannung wirkte.

An diesem Festival hatte Maria Joao Pires vor begeistertem Publikum in zwei vorangehenden Konzerten die Klavierkonzerte zwei und drei gespielt und Haitink dazu die zweite und die achte Sinfonie sowie die erste und die dritte Leonoren-Ouvertüre von Beethoven dirigiert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Début 8

 

Die Kunst der Berührung

 

16. September 2008. Julian Vital Frey ist Cembalist und gehört zu den auserwählten jungen Musikern, die am Lucerne Festival ihr offizielles Début geben konnten.

 

Daniel Andres

 

Julian Vital Frey am Cembalo im Luzerner Casineum

Foto: Daniel Andres

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„L’art de toucher le clavecin“ ist ein be-rühmtes Buch des Clavecinisten und Komponisten François Couperin, wo er in allen Einzelheiten die Kunst des Cembalospiels abhandelt. Julian Vital Frey begnügte sich in seinem Rezital im Luzerner Casineum, einem hüb-schen neobarocken Saal im Casino, nicht damit, die Werke des Programms zu spielen, sondern er plauderte auch mit dem Publikum und stimmte es so auf die Musik ein. So schien es ihm wich-tig, zu betonen, dass die Fran-zosen des 18. Jahrhunderts „toucher le clavecin“ sagten, während es in Italien „battere il clavicembalo“ hiess. Und weil die Spielvorschrift der Stücke in Frank-reich häufig „tendre“ oder „tendrement“ heisse, so wolle er sich bemühen, die entsprechende Musik möglichst tend-rement zu touchieren.

Neben seinem musikalischen Vortrag

 

holte er sich mit den mündlichen Ein-führungen zusätzlichen Kredit bei der aufnahmewilligen Zuhörerschaft.

 

Anschlagskunst

 

Im Programm hatte er die dritte Engli-sche Suite in g-moll von Johann Se-bastian Bach, fünf Stücke aus den Liv-res pour le clavecin von Jacques Duphly und die Suite Nr. 5 in E-Dur von Georg Friedrich Händel. Und er bewies in allen Werken nicht bloss Fingerfertigkeit, sondern Stilsicherheit, Geschmack (auch in den hinzu gefügten Auszie-rungen) und eine ausgeprägte Fähig-keit, das als spröde geltende Instru-ment auf die vielfältigste Weise zu „touchieren“.

Mit andern Worten erbrachte er den Be-weis, dass auf dem Cembalo eine sehr differenzierte Anschlagskunst möglich

 

ist. So können die Staccati im Prélude der Englischen Suite ganz unterschied-lich lang  oder das Legato in einer Al-lemande mehr oder weniger lang sein. Man kann das Instrument „schlagen“ und damit siegessichere Klänge wie in „La Victoire“ von Duphly erzeugen, oder zart und legato doch sehr sangliche und sensible Klangwelten öffnen. Julian Vital Frey zeigte eine sowohl virtuose und aufrauschende Seite wie auch die subtile Klanglichkeit eines sehr schö-nen Instrumentes mit betörenden Bäs-sen und einem Diskant, der keine Spur von Sprödigkeit aufweist und durchaus melodiöse Linien hervorbringen kann. Der Beifall forderte eine Zugabe, die in einer langsamen Sonate von Domenico Scarlatti noch einmal Gelegenheit zu einer reich verzierten und „ornamen-tierten“ Gestaltung einer Melodie gab.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Début 7

 

11. August 2008. Balance von Virtuosität und Musikalität

 

Der junge Luzerner Cellist Adam Mital hatte mehrere gute Pfeile in seinem Köcher. Mit der Pianistin Olimpia Tolan zusammen erwies er sich als versierter Kammermusiker und im Solostück von Richard Dubugnon zusätzlich als Virtuose, dem scheinbar nichts zu schwer ist.

 

Daniel Andres

 

Adam Mital im Luzerner Casineum (Foto Daniel Andres)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die beiden jungen Musiker begannen ihr Luzerner Festivaldébut mit Franz Schuberts „Arpeggione“-Sonate. Ein Stück, nicht zu schwer und nicht zu problembeladen, wie geschaffen, um unbeschwert ein Rezital zu beginnen. Und Adam Mital betörte mit schönen Melodiebögen und leicht hingeworfenen virtuoseren Passagen, und er liess seiner Musikalität freien Lauf. Etwas zu zurückhaltend „begleitend“ die Pianis-tin.

Ähnlich die drei Sätze von „Pohádka“, den musikalischen Märchen von Leoš Janáček, welche auch leicht und un-dramatisch daher kommen. Kein gros-ser, fülliger Ton des Cellos, aber viel Feingefühl und ein beweglicher leichter Bogen.

Etwas mehr Energie am Schluss in der

ersten  Rhapsodie von  Béla  Bartók, urprünglich für die Violine komponiert, aber längst auch von den Cellisten adoptiert.

 

Verständliche  Novität

 

Während die vom Klavier begleiteten Stücke vor allem durch die feine Ge-staltung beider Spieler auffielen, wobei die Pianistin durchaus etwas mehr aus der Begleiterrolle heraus treten dürfte, konnte Adam Mital in der ihm gewidme-ten „Folia“ von Richard Dubugnon die ganze Technik von Bogen und linker Hand entfalten. Dabei ist der 1968 ge-borene Westschweizer Dubugnon kein Komponist, der ausschliesslich auf sogenannt „neue Spieltechniken“ und Klangeffekte setzt. Im Gegenteil, sein

Werk knüpft einerseits auffällig an bereits bei Bach und der Solo-Literatur für Streicher bekannten Techniken an: Doppelgriffe und Mehrfachgriffe, Arpeg-gien, sogar vorgetäuschte Mehrstim-migkeit in der Einstimmigkeit in einer längeren Pizzicato-Passage. Dazu kommen auch neuere Techniken und Erfindungen, aber das Wichtigste ist wohl, dass für die Hörer eine spannen-de und nachvollziehbare Musik ent-steht, die durchaus eigenständig und sehr gekonnt wirkt. Halsbrecherisch virtuos bedient sich die Musik doch einer verständlichen kommunikativen Syntax.            

Der Widmungsträger spielte das äus-serst schwierige Stück mit überlegener Sicherheit und trug so zum verdienten gemeinsamen Erfolg von Interpret und Komponist entscheidend bei.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Hinreissender Auftritt

 

31. August 2008. Ein Ausbruch von Musizierfreude war das erste Konzert des Venezolanischen

Jugendorchesters unter Gustavo Dudamel vom vergangengen Sonntag.

 

Daniel Andres

 

 

Manche mögen es stellenweise al zu lärmig empfunden haben. Besonders am Schluss der „Bilder einer Ausstellung“von Modest Mussorgsky , im „Grossen Tor von Kiew“, aber auch schon vorher bei „Baba Yaga“ oder in den „Katakomben“ sparte der 27-jährige Dirigentenaufsteiger Dudamel nicht mit Anfeuerungen. Die reich besetzte Blechsektion liess sich nicht zweimal bitten und trumpfte auf, aber gerechterweise muss man auch Bewunderung für die Ge-nauigkeit im Rhythmischen wie auch in der Intonation ausdrücken.

Dazu kommt, dass das Orchester eine weit grössere Besetzung aufweist als bei Phil-harmonischen Orchester üblich, alle Bläser, auch die Blechbläser, waren verdoppelt und die Streicher spielten auf einem Fun-dament von 13 Kontrabässen, anderthalb mal so viel wie üblich.

 

Kraftvoll und geschmeidig

 

Das ergibt natürlich einen mächtigen, kraft-

vollen Sound im Fortissimo und auch einen süffigen Klang im Piano und Pianissimo der Streicher. Die zwei Werke, die den Rah-men des Programms bildeten, mögen das hergeben. Obwohl: in „La Valse“ von Maurice Ravel wurde nach einem an sich guten dynamischen Aufbau und einer sehr schönen Geschmeidigkeit in den Tempi und den verschiedenen Walzerrhythmen der allerletzte Schluss vergeben. Der von Ravel als wirkungsvoll, ja effektvoll ge-plante abrupte Fortissimoschluss fiel selt-samerweise ins Leere.

In den belebten Bildern wie „Tanz der Kücken in den Eierschalen“ oder dem „Marktplatz von Limoges“ wählte Dudamel auch effektvolle Tempi, sehr rasant, aber auch sehr leicht und vor allem unübertreff-lich präzis. Da kamen die individuellen und kollektiven Qualitäten der Orchestermu-siker voll zur Geltung. Auch in den her-vorragend intonierten und gestalteten Soli etwa des Saxophons, der Tenortuba (trotz eines kleinen Aussetzers) der Hörner und Trompeten.

 

Sensibel und nüancenreich

 

Und dass sie auch ganz anders können bewiesen sie im kammermusikalischen Oboenkonzert von Richard Strauss mit Al-brecht Mayer als Solist. Mayer zeigte seine herausragende Klasse mit einem betören-den und modulationsfähigen Klang und mit einer subtilen Gestaltung der Melo-dielinien und des Rankenwerks. Und Du-damel mit dem reduzierten Orchester (aber immer noch verhältnismässig gross besetz-ten Streichern) war ein sensibler und eben-falls nüancenreicher Begleiter.

Also möglicherweise ist Purismus bei die-sem Orchester und diesem Dirigenten nicht immer angebracht, aber wenn Musik bei Musikern und Zuhörern auch Freude aus-lösen soll, dann wurde das in diesem Kon-zert mit Sicherheit erreicht. Vor allem in den schmissigen Zugaben mit Latino-Rhyth-men, in denen das Orchester soviel Reser-ven bewies, dass es auch noch mit Show-Einlagen glänzen und das hingerissene Publikum begeistern konnte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Lucerne Début

Junge Tastenkünstler

26. August 2008. Der 1991 geborene Jean Sélim Abdelmoula aus Lausanne erfreute sein Publikum im ausver-

kauften Casineum nicht bloss mit Werken des französischen Fin de Siècle sondern mit eigenen Kompositionen und Improvisationen.

Daniel Andres       

Jean-Sélim Abdelmoula (Foto Daniel Andres)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der schmächtige Pianist begann mutig mit einem Werk, das andere an den Schluss stellen würden, nämlich mit „Prélude, Choral et Fugue“ von César Franck. Die Akkordbrechungen des Prélude spielte er weich und erzielte einen beinahe impressionistischen Klang, der Choral „stand“ stabil und die Fuge wirkte nachdenklich, erst die Coda erhielt eine gewisse Brillanz. Der Interpret hat sich mit diesem Werk aus-einandergesetzt und seine inneren Qua-litäten erkundet, die Wiedergabe wirkte reif und fast etwas abgeklärt.

Zwei „Préludes“ aus  dem 2ème   Livre, 

 

„La Terrasse des Audiences du Clair de Lune“ und „Ondine“ zeigten einen ähn-lich sensiblen, sehr auf genaue Klang-wirkung bedachten Künstler. Und im Nocturne in h-moll opus 113 von Gabriel Fauré führte er sein Publikum in eine etwas herbere Tonsprache mit klaren Linien.

In seinen eigenen „Interludes“ knüpft der Komponist einerseits an einen impres-sionistischen Klang an, schärft ihn aber immer wieder mit grossen Septimen, die dann mehr als Farbe denn als Spannungselement wirken. Ein ähn-liches Vorgehen auch  in seiner  zwei-ten  Sonate für Klavier, welche bereits

 

eine beachtlich eigene Sprache verrät und zudem pianistisch interessant und auch technisch anspruchsvoll ist. Seinen eigenen Werken war der junge mehrfach Begabte ein absolut glaub-würdiger Vermittler.

Vielleicht etwas weniger überzeugend die am Schluss gegebenen Improvisa-tionen, welche die persönliche Sprache der Sonate verliessen und etwas im Un-verbindlichen blieben. Insgesamt gab der junge Westschweizer in Luzern ei-ne sehr gute Visitenkarte ab und em-pfahl sich wärmstens für weitere Ent-deckungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Lucerne modern

 

Rüstzeug für den Nachwuchs

 

24. August 2008. Unermüdlich setzt sich der 83-jährige Pierre Boulez dafür ein, dass junge Musiker die Sprache der Neuen Musik gründlich und solid lernen. Dies ist auch ein entscheidender Beitrag zur Verbreitung neuer Kompositionen.

 

Daniel Andres

 

Samstag nachmittag im Luzerner Saal, Probe des Academy-Orchestra für "Sacre du Printemps". Die Probe ist öffentlich und die ansteigenden Ränge sind voll-besetzt von neugierigen Zuhörern, Mu-sikliebhabern und Profis. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht aber nicht das Or-chester, sondern die Arbeit von Pierre Boulez mit vier Dirigierstudenten. Und so wird auch fast nur der Schluss des Werks geprobt, von Ziffer 129 in der Partitur bis zum Ende. Es sind heikle Übergänge und die bekannten vertrackten Taktwechsel, in denen der Dirigent absolut sattelfest und absolut klar in den Gesten sein muss.

Ein Beispiel für die Arbeit von Boulez mit den Studierenden an einem Klassiker der Moderne. Die Kursteilnehmer erarbeiten aber auch neuere Werke, nicht nur im grossen Orchester, sondern auch in wechselnden kleineren Ensembles. Etwa vom Composer in Residence George Ben-jamin die Palimpseste von 1998/99 be-ziehungsweise von 2001/02 oder Urauf-führungen von den 1979 geborenen On-drej Adamek und Johannes Boris Borow-ski, dem 1971 geborenen Jérôme Combier oder dem jüngsten Komponisten Johan-nes Fischer mit Jahrgang 1981. Die Aca-demy trägt so auch entscheidend zum Programm der Reihe "Lucerne modern"

bei. Die Mischung von "Klassikern der Moderne" und ehemaligen Vorreitern der Musikentwicklung wie Edgar Varèse, Oli-vier Messiaën oder dem in diesem Jahr sein hunderstes Lebensjahr erreichenden Elliot Carter ist nicht bloss Unterrichts-stoff für die jungen Lernenden, sondern gibt einem interessierten und immer grös-ser werdenden Publikum die Möglichkeit, sich mit Zusammenhängen und auch ver-schiedenen Entwicklungslinien in der neueren Musik besser vertraut zu machen

Olivier Messiaën, der in diesem Jahr sein hundertstes Lebensjahr erreicht hätte, sind einige Programmereignisse gewid-met. Nach den "Oiseaux exotiques" in "Moderne1" kamen in der Lukaskirche in "Moderne2" die Fantasie für Violine und Klavier und das "Quatuor pour la fin du temps" zu mustergültigen Aufführungen. Ein weiteres Ereignis wird zweifellos das grandios farbige Werk "Des Canyons aux Etoiles", das in einem Workshop vorgestellt (29.8.) und einige Tage später 3.9.) in einem Konzert aufgeführt wird.

Auch vom immer noch schöpferisch tätigen Elliot Carter kommen einige Werke zur Aufführung. Das Clarinet Concerto wird am 30. August vormittags von Pierre Boulez, dem Klarinettisten Ismail Luma-

 

novski und dem New Juillard Ensemble er-läutert und im Programm vom 2. Septem-ber aufgeführt. Im selben Programm wird auch das "Triple Duo" (1982/83) von Car-ter gespielt, umgeben von Werken von Varèse und Strawinsky, den Palimpsesten von Benjamin und "Dérive" von Pierre Boulez.

Die "Lucerne Festival Percussion Group" tritt am 4. September unter anderem mit zwei weiteren Uraufführungen vor das Publikum. Neben Werken von Johannes Fischer und Yan Maresz für jeweils zwölf Schlagzeuger wird von Gary Berger (*1967) "wellen.zerstäuben", in diesem Jahr entstanden, gespielt, und von Yann Robin (*1974) ebenfalls ein Werk aus die-sem Jahr "Titans", beides Auftragswerke des Lucerne Festival.

Vor zehn Jahren erschien der starke Akzent des Intendanten Michael Häfliger auf die zeitgenössische Musik (auch in den Sinfoniekonzerten) als risikobehafte-tes Wagnis, nicht zuletzt dank Pierre Bou-lez ist die Reihe "Moderne" innerhalb des Lucerne Festival zu einem starken An-ziehungsfeld und auch zu einem wichtigen Identifikationselement des Festivals geworden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Zusammenhänge sichtbar machen

 

24. August 2008. In Luzern bietet die Reihe Lucerne modern sehr willkommene Einblicke in das Schaffen der Avantgarde von gestern und heute.

 

Daniel Andres

 

Luzern ist wohl das einzige Festival europaweit, das der Neuen Musik so breiten und prominenten Raum einräumt. Ein Konzert des Ensemble Intercontem-porain machte den Auftakt der Konzerte, welche ausschliesslich Werken des 20. und 21. Jahrhunderts vorbehalten sind, wobei die neuste Musik immer repräsen-tativ vertreten ist. Am Pult stand unauf-dringlich der diesjährige  „Composer  in residence“ George Benjamin, der auch zwei eigene Werke dirigierte.

Von seinen englischen Komponistenkol-legen Harrison Birthwistle und Oliver Knussen standen „Cantus lambeus“ für 13 Instrumente und „Ophelia Dances“ für neun Instrumente im Programm. Von seinem Lehrer Olivier Messiaën dirigierte George Benamin die „Oiseaux exotiques“ mit Hideki Nagano am Klavier. Äusserte Sorgfalt und Genauigkeit ist das Mar-kenzeichen des Ensemble Intercontem-

 

porain und so kann man gewiss sein, dass man auch bei neuer Musik genau das hört was in den Noten steht. Auch die Diri-gierweise von George Benjamin steht für präzise Disziplin. Aber damit kommen auch die Klangreichtümer und Finessen der Partituren voll zur Geltung. Auch gerade bei den beiden Werken von Ben-jamin konnte man so die mannigfach auf-gefächerten Klänge und die vielschich-tigen Klangkombinationen „At First Light“ (nach einem Gemälde von William Turner) für Kammerorchester und  „Three Inventions“ für Kammerorchester schät-zen, bewundern und geniessen.

Am Donnerstag spielte Maurizio sein „Pollini-Project 1“ im gut besetzten gros-sen Saal. Zunächst spielte der  Klarinettist Alain Damiens, assistiert von den Klang-regisseuren André Richard und Reinhold Braig von Pierre Boulez „Dialogue de l’Ombre double“ für Klarinette und

 

Tonband. Sowohl vom ungemein vir-tuosen Klarinettisten wie von der Klang-regie hatte man den Eindruck völliger Au-thentizität. Zusammen mit Maurizio Pollini interpretierte der Klarinettist anschlies-send die vier Stücke opus 5 von Alban Berg mit delikatester Raffinesse der Klän-ge auch hier.

Und Pollini schliesslich stellte die Klavier-stücke sieben, acht und neun von Karl-heinz Stockhausen aus dem Jahr 1954 wieder ins Rampenlicht. Pollini wirkte sehr vertraut mit dieser Klangwelt, die bereits untergegangen scheint („so hat man damals komponiert?“) und die – nicht zuletzt auch dank Boulez – in Luzern wieder aufersteht und so die Zusammen-hänge in der avancierten Musik des 20. Jahrhunderts sichtbar gemacht werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Eröffnungkonzert

 

16. August 2008. Drei Mal vor ausverkauftem Haus dirigierte Claudio Abbado das Festival Orchestra mit einem französischen Programm.

 

Daniel Andres

 

Und es ist wohl schon eine grosse Leistung, drei Mal hintereinander ein schwieriges Programm hervorragend zu ge-stalten. Man merkte auch am dritten Abend keine Schwäche, weder beim Dirigenten, noch bei der Solistin, noch beim wunder-voll differenziert reagierenden (und auch agierenden) Orchester.

Die einzige aber nur subjektiv wahr-nehmbare Einschränkung: die "Stimmung" in den "Nocturnes" von Claude Debussy. Der Orchesterklang war fast unbeschreib-lich sorgsam  ausgewogen und die dynami-schen Werte bis ins feinste Pianissimo (Trompeten in "Fêtes") erreichen eine unüberbietbare Differenzierung. Das war unbestreitbar Vollkommenheit pur.     Aber der Schauer, der Zauber, der sich vor vielen Jahren bei einer Aufführung durch Ernest Ansermet und "sein" Orchestre de

la Suisse romande über uns legte, wollte sich nicht einstellen. Doch die Erin-nerungen liegen ungefähr fünfzig Jahre auseinander, also von einem objektiven Vergleich kann natürlich keine Rede sein.

Ein wenig mehr Magie kam über uns bei "Schéhérazade" von Maurice Ravel. Da waren nicht bloss die zauberhaften Klänge des Orchesters, sondern mindestens eben so sehr die grossartige, aber auch fein-fühlige und doch sinnliche Stimme und Interpretation durch die Sopranistin Elina Garanča mit verantwortlich.

Hector Berlioz "Symphonie fantastique" kann man ebenfalls schwerlich perfekter und auch wirkungsvoller aufführen. Dabei legte Claudio Abbado den Schwerpunkt keineswegs auf äusserliche Effekte, die hier ja so nahe lägen. Auch hier wurde sorg-

fältig ausgewogen. Auch hier gab es magi-sche Pianissimi, aber das Wunder war eher die Wirkung trotz zurückhaltender Tem-pi.und dem Vermeiden von jeglicher Effekt-hascherei. Es gab aber auch Akzente, Schärfungen und am Schluss fast masslose Steigerungen und es war herrlich, zu hören, wie diese "Exzesse" nicht brutal wirkten, sondern bei einer idealen Akustik noch einen beherrschten und federnden Klang erzeugten. Dabei wurde an Drastik der Klangfarben (Glissandi, Flatterzungen von Posaunen und Tuba, battuto col legno bei den Streichern) nicht gespart.

Es war eine ungeheure und stellenweise ungeheuerliche Farbigkeit, welche das Publikum auch ohne zusätzliche Effekt-hascherei mitreissen musste. Entsprechend die Begeisterungsstürme am Schluss des Konzertes. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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